Meereswelt

Gefährliche Geisternetze

Ein altes Fischernetz, auch Geisternetz genannt, hängt am Wrack der "Sturmvogel" in der Ostsee östlich von Rügen.
Ein altes Fischernetz, auch Geisternetz genannt, hängt einem Wrack in der Ostsee östlich von Rügen. © Wolf Wichmann/archaeomare/dpa
Von Lutz Reidt |
Seit rund 60 Jahren gehen Fischer mit Nylonnetzen auf Fangreise. Sie sind fast für die Ewigkeit gestrickt - und belasten so nachhaltig die Meereswelt, wenn sie verloren gehen.
Leuchtend rot und gut 40 Meter hoch - wie ein Gigant thront der Lummenfelsen am westlichen Felsrand von Helgoland über der schäumenden Gischt der Nordsee-Brandung.
Zu Tausenden kleben Nester von Meeresvögeln auf schmalen Vorsprüngen: Zierliche Dreizehenmöwen und albatrossähnliche Eissturmvögel, gänsegroße Basstölpel und - vor allem - schwarz-weiß gefiederte Trottellummen.
Diesem "Charaktervogel" von Helgoland verdankt der markante Fels seinen Namen. Jetzt - im Hochsommer - bieten die Jungvögel ein einzigartiges Naturschauspiel, den spektakulären Lummensprung: Dutzende junger Lummen stürzen sich wagemutig vom roten Fels in die schäumende Brandung.
Zwei von ihnen haben es allerdings nicht geschafft. Nils Guse hat die beiden leblosen Vögel auf einem Felsvorsprung entdeckt:
"Da haben sich jetzt innerhalb des Nestmaterials der Basstölpel, was hier eben überwiegend aus Netzresten besteht, zwei Trottellummen verfangen und sind da eben auch daran zugrunde gegangen."
Meeresschildkröten fressen unsichtbare Gardinen
Stranguliert im Gewirr der Nylonnetze. Nils Guse arbeitet am Forschungs- und Technologiezentrum der Uni Kiel in Büsum. Der Biologe dokumentiert seit Jahren das Sterben unzähliger Meeresbewohner in den Geisternetzen aus Nylon. Nicht nur die Seevögel am Helgoländer Lummenfelsen verheddern sich darin, sondern auch unzählige Fische und Delfine.
Doch das ist nicht alles. Nils Guse findet Seehunde, die in Getränkekästen steckenbleiben und qualvoll verenden; Seevögel, die sich in den Plastik-Trägern von Bierdosen-Sixpacks strangulieren. Und dann auch noch Meeresschildkröten, die auf der Suche nach Nahrung unsichtbare Gardinen im Meer fressen. Und zwar: Plastikfolien und -tüten:
"Die Meeresschildkröten ernähren sich eben zu einem großen Teil von Quallen, natürlicherweise; und da sind natürlich solche transparenten Plastiktüten optisch einfach ähnlich; und darum sind diese Tiere wahrscheinlich anfällig dafür; und man nimmt an, dass das für die Meeresschildkröten gerade auch ein sehr wichtiger Sterblichkeitsfaktor sein kann."
Nylongarne sind fast für die Ewigkeit gestrickt
Das größte Problem sind aber mit Abstand die Geisternetze. Seit rund 60 Jahren gehen die Fischer mit Nylonnetzen auf Fangreise. Zu ihrem Berufsrisiko gehört es, dass ein Netz an einem Hindernis unter Wasser hängenbleiben kann und dann verloren geht. Auch bei schwerer See kann es vorkommen, dass sich das Fanggerät vom Schiff losreißt: oder auch ein am Meeresgrund verankertes Stellnetz davon driftet. Für den Fischer ist das jedes Mal ein herber Verlust.
Doch für die Meereswelt ist das Problem noch viel größer. Denn Nylongarne sind fast für die Ewigkeit gestrickt. Bei diesen Kunststoffen kann es viele hundert Jahre dauern, bis sie verrotten. Kein Wunder also, dass sich immer mehr Geisternetze in den Meeren ansammeln und dass viele Seevögel an manchen Tagen mehr Netzreste auf dem Meer einsammeln als Seetang, mit dem sie sonst immer ihre Nester anglegen würden - so auch am Lummenfelsen von Helgoland. Nils Guse:
"Von der Insel Helgoland ist bekannt, dass da die Basstölpel insbesondere den Müll zum Nestbau verwenden; und da insbesondere eben Reste von Nylonnetzen aus der Fischerei; und natürlicherweise würden Basstölpel überwiegend ihre Nester aus Seetang bauen; aber man kann eben sehen, dass wenn viel Netzreste verfügbar sind, dass eben dann auch da alternativ drauf zurückgegriffen wird."
Nylonnetze mit akustischen Signalgebern
Die Naturschutz-Organisation WWF schätzt, dass allein in der Ostsee jedes Jahr aufs Neue 5.000 bis 10.000 Netze und Netzteile verloren gehen. Es schwimmen also immer mehr davon im Wasser umher, bleiben an Wracks hängen oder bedecken den Meeresgrund, wo sie ebenfalls zur Todesfalle für tauchende Vögel, Seehunde und unzählige Fische werden.
Deswegen werden jetzt Forderungen laut, die Nylonnetze mit akustischen Signalgebern auszurüsten. Gehen die Netze verloren, können die Geisternetze geortet und dann auch geborgen werden.
Technisch wäre das kein Problem. Doch die Frage bleibt, wer solche umfangreichen Bergungsaktionen immer wieder bezahlen soll.
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