Meena Kandasamy: "Reis & Asche"

Eine Hommage an den Widerstand

Arbeiter demonstrieren in Neu-Delhi.
Arbeiter demonstrieren in Neu-Delhi. © imago/Hindustan Times
Von Claudia Kramatschek · 15.07.2016
Meena Kandasamys "Reis & Asche" ist ein ebenso politischer wie herausfordernd experimenteller Roman, dessen Herz für die Rechte von Indiens "Unberührbaren" schlägt. Er handelt von einem bis heute ungesühnten Massaker an den Menschen der untersten Gruppe im Kastensystem.
Indien ist in vielerlei Hinsicht im 21. Jahrhundert angekommen. Schlichtweg veraltet aber ist das noch immer virulente indische Kastenwesen. 1950 schrieb die indische Verfassung bereits fest, dass kein Mensch mehr wegen seiner Kaste diskriminiert werden darf. Die Realität sieht – bis heute – anders aus.
Das betrifft vor allem die Dalits, die sogenannten "Unberührbaren" und die unterste Gruppe im Kastensystem – mit immerhin rund 200 Millionen Menschen. Viele von ihnen verdingen sich als Landarbeiter, die für ihre Herren, die Großgrundbesitzer, zwar den Boden bestellen, selbst aber keinerlei Rechte besitzen.
Ihre Arbeit verrichten sie für einen Hungerlohn – um zu überleben, müssen sie sich Geld leihen zu hohen Zinsen. Am Ende bleibt nur der Schuldenkreislauf, aus dem es kein Entkommen gibt.

Der Widerstand wächst - auch literarisch

Doch der Widerstand der Dalits gegen ihre Unterdrückung wächst – auch literarisch: Schon in ihrem ersten Gedichtband "Touch" (2010) schrieb die 1984 geborene Autorin und Aktivistin Meena Kandasamy scharfsichtig und scharfzüngig u.a. an gegen die Ausbeutung der Dalits.
"Reis & Asche" wiederum – ihr erster Roman, der 2014 im Original erschien – handelt von einem historischen, bis heute ungesühnten Massaker an den Dalits. Schauplatz ist ein kleines südindisches Dorf namens Kilvenmani. Am 25. Dezember 1968 wurden dort 44 Dalits – Männer, Frauen, Kinder, Junge und Alte – auf grausame Weise getötet.
Sie hatten sich den Kommunisten angeschlossen, die rote Fahne gehisst und den wiederholten Drohungen und Einschüchterungsversuchen der Großgrundbesitzer hartnäckig widerstanden.

Schlüpft in die Köpfe beider Seiten

Meena Kandasamy liefert allerdings keine Chronik des Geschehens. Sie tastet sich vielmehr, in den Zeiten hin und her springend, an das Massaker heran und schlüpft dafür in unterschiedliche Stimmen und Perspektiven: in die Köpfe der Aufständischen wie auch in die der Großgrundbesitzer.
Sie beleuchtet die feudale Struktur des repressiven indischen Staatsapparats – und schildert mit unerbittlicher Akkuratesse das damalige Schlachtfeld, auf dem die Opfer wie Tiere erst gejagt und dann in ihren eigenen Hütten bei lebendigem Leibe verbrannt worden sind.
Auf Gerechtigkeit hoffen die Hinterbliebenen so lange wie vergeblich. Und doch wird der Tag der Rache kommen, auf den die Menschen in Kilvenmani immer gewartet haben. Der Roman – dessen Herz unverkennbar für die Rechte der Dalits schlägt – ist insofern Memorial, aber auch Hommage: Hommage an den Widerstand und das Aufbegehren dieser Menschen.

Keine leichte Kost

Leichte Kost ist das allerdings nicht: Diverse Passagen sind aufgrund der dargestellten Grausamkeiten nur schwer zu ertragen. Andere sind gespickt mit Anspielungen, Fußnoten und Exkursen rund um das Massaker und weitere Aspekte der indischen Kultur.
Nicht zuletzt denkt Meena Kandasamy darüber nach, für wen und wie sie erzählen soll: als indische Autorin mit tamilischer Zunge, aber englischer Sprache. "Reis & Asche" ist also nicht allein ein durch und durch politischer, sondern auch ein herausfordernd experimenteller Roman. Doch es lohnt sich, die Herausforderung anzunehmen.

Meena Kandasamy: Reis & Asche
aus dem Englischen und mit einem Glossar versehen von Claudia Wenner
Verlag Das Wunderhorn, Heidelberg 2016
221 Seiten, 24,80 Euro

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