Medizinstudium und Ärztemangel

"Eine Abiturnote von 2,5 reicht aus"

09:48 Minuten
Eine junge Frau hört in einem Auditorium einer Vorlesung zu.
Für ein Medizinstudium herrscht in Deutschland der Numerus Clausus. Dabei sage die Abiturnote bei Weitem nicht alles über einen Menschen aus, sagt Jürgen Westermann. © picture alliance/dpa/Raphael Knipping
Jürgen Westermann im Gespräch mit Dieter Kassel · 24.05.2022
Audio herunterladen
Für ein Medizinstudium zählt noch immer der Durchschnitt der Abiturnoten viel. Studienleiter Jürgen Westermann von der Universität Lübeck findet das "tragisch". Doch würden mehr Studierende auch den wachsenden Ärztemangel beheben?
Fast 90.000 Ärzte werden nach Angaben des Marburger Bundes in den kommenden Jahren in den Ruhestand gehen. Verbandschefin Susanne Johna fordert deshalb mindestens zehn Prozent mehr Studienplätze für Medizin. Ob das dem Mangel tatsächlich entgegenwirkt, bezweifelt der Mediziner Jürgen Westermann. Aus mehreren Gründen.
Nach Angaben des Studienleiters Humanmedizin an der Universität Lübeck kommen in Deutschland auf 1000 Einwohner durchschnittlich mehr als vier Ärzte. Das sei mehr als in Frankreich oder Großbritannien. An staatlichen Universitäten gebe es hierzulande 11.000 Medizinstudienplätze. Würde diese Zahl erhöht, bleibe ein Problem: In den lukrativen Bereichen gebe es einen "Stau", in den weniger gut bezahlten wie der sprechenden Medizin fehle hingegen das Personal.

Kein Ärztemangel in Innenstädten

"Ein Teil der Problematik besteht auch darin, dass die Ärzte sich nicht gleichmäßig verteilen", sagt Westermann. "Zum Beispiel haben wir keinen Ärztemangel in der Lübecker Innenstadt. Das werden wir auch nicht haben, nachdem jetzt sehr viele in den Ruhestand gegangen sind. Auf dem Land sehr wohl."
Eine so genannte "Landarztquote" an Universitäten hält Westermann allerdings auch für "problematisch": Dabei gehe es um eine Zulassung zum Studium auch mit weniger herausragenden Noten – wenn man verspreche, später auf dem Land zu prakizieren.
Erfahrungsgemäß würden sich Studierende aber erst am Ende des Studiums für eine bestimmte Fachrichtung entscheiden. Wer entgegen der eigenen Überzeugung versprochen habe, Landarzt zu werden, gerate dann womöglich in eine "unmoralische Situation" und werde sich hinterher "herauskaufen".

Keine Chance mit Abiturnote 1,9

Grundsätzlich kritisiert der Professor für Anatomie die Vergabe der Studienplätze für Medizin. Es sei "tragisch", dass Bewerber mit einer angeblich "nicht so guten Abiturnote von 2 oder 1,9" im System der staatlichen Universitäten "keine Chance" hätten. Selbst der Umstand, dass Universitäten 60 Prozent ihrer Studienplätze nach eigenen Kriterien vergeben könnten, ändert nach seiner Darstellung daran wenig.
Denn diese "eigenen Kriterien" seien stark reguliert: "Es muss das Abitur nach wie vor zu über 50 Prozent eine Rolle spielen." Erst dann könne es durch Auswahltests, Berufserfahrung oder Leistungen in anderen Bereichen wie "Jugend forscht" ergänzt werden.

Empathie und Kommunikation prüfen

"Die Abiturnote sagt ja längst nicht über einen Menschen alles aus", betont Westermann. "Ich glaube, in der Medizin ist es wichtig, dass man schon gut lernen kann und daran auch Freude hat. Aber da würde ich sagen, da reicht eine Abiturnote von 2,5 bis 2,4 aus – und der Rest muss eben anders gezeigt werden."
Zum Beispiel in einem Auswahlgespräch, in dem man Bewerber und Bewerberinnen persönlich kennenlerne und deren Empathie und Kommunikationsfähigkeiten prüfen könne.
(bth, mit dpa)

Abonnieren Sie unseren Weekender-Newsletter!

Die wichtigsten Kulturdebatten und Empfehlungen der Woche, jeden Freitag direkt in Ihr E-Mail-Postfach.

Vielen Dank für Ihre Anmeldung!

Wir haben Ihnen eine E-Mail mit einem Bestätigungslink zugeschickt.

Falls Sie keine Bestätigungs-Mail für Ihre Registrierung in Ihrem Posteingang sehen, prüfen Sie bitte Ihren Spam-Ordner.

Willkommen zurück!

Sie sind bereits zu diesem Newsletter angemeldet.

Bitte überprüfen Sie Ihre E-Mail Adresse.
Bitte akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung.
Mehr zum Thema