Mediziner auf Abwegen

Auftritte der "Anti-Drostens" aus Sachsen-Anhalt

05:29 Minuten
Chefarzt Markus Motschmann spricht auf der Corona-Kundgebung der AfD Fraktion in Magdeburg.
Chefarzt Markus Motschmann spricht Ende April auf der Corona-Kundgebung der AfD Fraktion in Magdeburg. © imago images / Christian Schroedter
Von Niklas Ottersbach · 23.05.2020
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Ärztin Yvette Silbersack aus Halle sieht eine Zwangsimpfung in Vorbereitung und vergleicht das mit der Judenverfolgung. Chefarzt Markus Motschmann warnt vor einer Diktatur. Unser Autor hat den Medizinern aus dem rechten Spektrum zugehört.
Markus Motschmann steht auf einem Podium der AfD auf dem Magdeburger Domplatz. Es ist Ende April, nach dem die AfD wochenlang im öffentlichen Diskurs abgemeldet war, soll die Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung nun ein Befreiungsschlag werden. Rund 200 Demonstranten aus dem erweiterten Parteiumfeld der AfD sind gekommen, auch die lokale Neonazi-Szene ist vor Ort.

Markus Motschmann, Chefarzt für Augenheilkunde in der Ameos-Klinik Haldensleben, ist der Stargast der Demo, der "Anti-Drosten" der AfD.

Durchseuchung und Herdenimmunität

Motschmann spricht sich für das schwedische Modell aus: Die Bevölkerung soll durchseucht werden. Das Ziel: Herdenimmunität. Die Coronatests in Deutschland seien völlig ungenau. Dabei verschweigt er, dass in Schweden prozentual mehr alte Menschen an Corona gestorben sind als in Deutschland.

Der Arzt belässt es aber nicht nur bei medizinischen Thesen, er teilt auch gegen die Medien aus: "Wenn hier jemand Fake News verbreitet, dann sind es die GEZ-Medien. Und zwar Fake News mit Ansage."

Ein paar Wochen später: Motschmann tritt auf bei Compact TV, einem Magazin der neuen Rechten. Diesmal verknüpft er seine medizinische These mit der politischen Ebene. Die Maskenpflicht in Geschäften: eine Gehorsamkeitsprüfung der Bundesregierung.
"Ich kann es nicht beweisen. Es sieht mir aber zumindest danach aus, dass die Bevölkerung schrittweise an jedoch irgendwie autoritative, diktatorische Repressionen allmählich herangeführt werden soll", sagt er.

Vor 30 Jahren bei den "Republikanern"

Motschmann war Ende der 1980er- bis Anfang der 1990er-Jahre Mitglied der Partei "Die Republikaner". Rechtsextremismus-Experte David Begrich aus Magdeburg ist daher nicht überrascht von dessen neuen Rolle. "Wenn man bei den Republikanern tätig war, das war in den Endachzigern, Anfang der Neunziger die wichtigste Rechtspartei in Deutschland, die auch parlamentarisch erfolgreich war unter der damaligen Führung von Schönhuber. Da bewege ich mich schon sehr deutlich in einem rechten Milieu."

Motschmann als Mediziner sei der ideale Experte für die AfD, sagt David Begrich. Er biete eine medizinische Beglaubigung der eigenen Position. Ein Chefarzt, der zum Sprachrohr der neuen Rechten avanciert: Was sagt sein Arbeitgeber, die Ameos-Klinik Haldensleben, dazu? Auf Anfrage heißt es: Motschmann übe als Privatperson sein Recht auf Meinungsfreiheit aus und zwar außerhalb des Dienstes. Das könne und wolle man nicht regulieren.

Markus Motschmann ist kein Einzelfall: Auch andernorts haben sich Mediziner der rechten Anti-Corona-Allianz angeschlossen.

Impfgegner und Verschwörungstheorien

Eine Montagsdemo auf dem Marktplatz in Halle an der Saale. Organisiert von Sven Liebich, einem rechtsextremen Blogger, der Woche für Woche gegen die Regierung hetzt. Letztes Wochenende musste ein ZDF-Team unter Polizeischutz die Demonstration verlassen.

Mit diesen Leuten will Yvette Silbersack eigentlich nichts zu tun haben. Sie demonstriert Anfang Mai ein paar hundert Meter von Sven Liebich und seinen Leuten entfernt. "Ich bin Ärztin für Orthopädie und Unfallchirurgie und auch noch hygienebeauftragte Ärztin an der Sportklinik Halle, dort bin ich angestellt", sagt sie. "Und diese Zeit der sechs Wochen hat mich verändert in meinem Dasein."
Diese Veränderung sieht so aus, dass Silbersack an die große Verschwörung glaubt: Bill Gates wolle die ganze Menschheit zwangsimpfen. Und sie teilt auf Facebook den gelben Davidsstern, mit der Aufschrift "ungeimpft". Und das in der Stadt, in der vor einem halben Jahr ein rassistischer Antisemit eine vollbesetzte Synagoge stürmen wollte. Silbersack findet nichts dabei, ihre Corona-Skepsis mit der Judenverfolgung zu parallelisieren.

Sie sagt: "1933 hätten es alle sehen können, 1938 kam der Judenstern und 1945 waren sechs Millionen Juden vergast." Und antwortet auf die Frage, was das jetzt mit Corona zu tun habe: "Das hat was mit dem ‚Geimpft‘ zu tun. Das heißt, wir sollen gezwungen werden, uns impfen zu lassen. Erst dann kriegen wir unsere Grundrechte zurück oder können uns normal bewegen. Das ist sozusagen jetzt in Arbeit."

Die gleiche "Paradoxie" wie bei Pegida

Für den Rechtsextremismus-Experten Begrich ist klar, dass diese Ärztin das Maß bei der politischen Einschätzung der gegenwärtigen Situation offenkundig verloren habe. Die Rhetorik von Silbersack erinnere ihn allerdings an eine andere Protestbewegung: "Diese Paradoxie zu sagen, ich stehe auf dem Marktplatz, genieße die Aufmerksamkeit von Politik und Medien und teile dann mit: Mir wird es untersagt, meine Meinung zu sagen und ich werde potenziell politisch verfolgt, diese rhetorische Figur, die kennen wir von Pegida."

Eine weitere Parallele zu Pegida ist, dass der Riss durch die Familien geht: Im Fall von Silbersack ist es der Konflikt mit ihrem Mann Andreas Silbersack. Der FDP-Politiker trat im letzten Herbst als Spitzenkandidat für die Oberbürgermeisterwahl in Halle an. Er will sich auf Anfrage nicht zu seiner Frau äußern.

Der Resonanzraum der beiden Ärzte Silbersack und Motschmann wird nach Ansicht von Begrich überschaubar bleiben. Der Soziologe meint, die "Anti-Drostens" aus Sachsen-Anhalt würden ohnehin nur eine kleine Minderheit ansprechen.
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