Mediziner

Ärztliches Handeln als Geschäftsmodell

Ein Mediziner-Team operiert in einer Klinik in Baden-Württemberg eine Hüfte.
Immer mehr Ärzte operieren mit zusätzlichen Bonus-Vereinbarungen. © dpa / picture alliance / Felix Kästle
Hartmut Siebert im Gespräch mit Joachim Scholl |
Immer mehr Verträge von Chefärzten in deutschen Kliniken enthalten Bonus-Vereinbarungen. Der Arzt, aber auch das Krankenhaus profitieren davon, meint Hartmut Siebert vom Aktionsbündnis Patientensicherheit. Doch der "Patient ist kein Produkt, ist keine Materie, die in irgendeinen Ablauf passt".
Joachim Scholl: Am Telefon ist jetzt der Arzt Hartmut Siebert. Er ist Vorstand im Aktionsbündnis und Verein Patientensicherheit. Guten Morgen, Herr Siebert.
Hartmut Siebert: Guten Morgen.
Scholl: Jeder zweite Chefarztvertrag enthält Bonusvereinbarungen, wie wir gerade gehört haben. Herr Siebert, ist die deutsche Medizin auf dem Weg, nur noch ein Wirtschaftsunternehmen zu werden, das sich für Krankenhäuser und die verantwortlichen Ärzte auf diese Weise rentieren muss?
Siebert: Den Anschein hat man in der Öffentlichkeit. Insbesondere geht das ja schon sehr lange zurück. Seit 2000 wird die Medizin kolonialisiert von der Ökonomie, und damit wird immer mehr das ärztliche Handeln zu einem Geschäftsmodell. Ich glaube, dass dieser Eindruck besteht und zurecht besteht.
Scholl: Wer profitiert eigentlich von dieser Praxis, nur der behandelnde operierende Arzt, oder auch das Krankenhaus?
Siebert: Ich denke, beide profitieren. Sonst würde das Krankenhaus so ein unzulässiges Angebot gar nicht unterbreiten.
Scholl: Wie wirkt sich denn diese Praxis der Bonuszahlung auf die medizinische Qualität aus? Gibt es da schon Erkenntnisse?
Siebert: Darüber gibt es keine Erkenntnisse. Man darf ja auch nicht sagen, dass jede Zielvereinbarung, die damit verbunden ist, dass der Arzt mehr Geld bekommt für eine Leistung, dass seine Leistung deshalb schlechter in der Qualität ist. Ich glaube, er kann sich das nicht lange leisten, denn dann würden die Patienten, die immer noch bestimmen, ob sie in ein Krankenhaus gehen oder in das andere, nicht mehr dort hinkommen.
Scholl: Jetzt haben wir schon gehört, dass Ärzte sich durchaus auch weigern, solche Bonusvereinbarungen zu unterzeichnen. Wer setzt hier eigentlich dann wen unter Druck?
Siebert: Ich denke, dass es heute, 2014, anders ist als 2012, 2011. Wir haben Zahlen, dass diese Zielvereinbarungen deutlich zurückgehen, dass sie aber anders formuliert werden und dass die Chefärzte - und das ist auffällig - in den letzten fünf, sechs Jahren deutlich häufiger ihren Arbeitsort wechseln, aus welchen Gründen auch immer.
"Jede Ärztekammer hat eine Berufsordnung"
Scholl: Nun hat die Bundesärztekammer jene Koordinierungsstelle eingerichtet, bei der Kollegen also Verträge zur Prüfung einreichen können. Allerdings ist das nicht verpflichtend, es gibt auch keine Kontrollen. Was soll dann eine solche Stelle überhaupt bringen?
Siebert: Ich denke, schon der Hinweis, dass es so eine Stelle gibt, gibt denjenigen, die noch solche Chefarztverträge anbieten, einen Warnhinweis. Jede Ärztekammer hat eine Berufsordnung, in der wir uns Ärzte unterwerfen, und da ist ganz klar geregelt, dass wir nicht aus ökonomischen Gründen handeln.
Scholl: Bonuszahlungen im Krankenhaus - wir sind im Gespräch hier im Deutschlandradio Kultur mit Hartmut Siebert vom Aktionsbündnis Patientensicherheit. Man sieht diese Verträge natürlich nicht öffentlich, Herr Siebert. Das heißt, ein Patient hat auch keine Möglichkeit herauszufinden, welches Krankenhaus seinen Ärzten Boni zahlt, oder?
Siebert: Nein. Dass das nicht publiziert wird, das ist eine freiwillige Leistung, und ich denke, dass Krankenhäuser durchaus damit auch in Wettbewerb treten, dass sie eben kundtun, dass sie keine derartige Zielvereinbarung mit ihren leitenden Ärzten getroffen haben.
Scholl: Was raten Sie denn, Herr Siebert, Patienten, die sich eventuell auch an Sie wenden? Wie kann man sich informieren, wie sich eventuell auch schützen?
Siebert: Ich will nochmals betonen, dass die Bonizahlung alleine jetzt nicht ein Merkmal einer schlechten Qualität ist, sondern einer schlechten Kultur. Und Patienten müssen sich nicht schützen, sondern Patienten müssen sich informieren und Vertrauen haben in den sie behandelnden Arzt. Dazu gibt es unterschiedliche Informationsquellen, die unabhängige Patientenberatung Deutschlands, die Krankenkassen und andere Institutionen, auch die Ärztekammern anbieten.
Scholl: Lassen Sie uns mal auf diese Kultur kommen, Herr Siebert, als die Ursache für diese Entwicklung. Die liegt natürlich auch am wirtschaftlichen Druck, unter dem Krankenhäuser und medizinische Einrichtungen immer stärker stehen. Ist hier nicht etwas grundsätzlich faul am System?
"Bonuszahlung ist nur ein Symptom"
Siebert: Genau! Genau, das kann ich nur bestätigen. Seitdem wir begonnen haben, ärztliches Handeln und Gesundheitsversorgung als einen Produktionsmechanismus, als eine Industrie zu begreifen, damit fing es an, und der Patient ist kein Produkt, ist keine Materie, die in irgendeinen Ablauf passt, wie es eine Autofabrikation ist.
Hier liegt das Übel des Ganzen und Bonuszahlung ist nur ein Symptom. Wenn wir ein Moskito erschlagen, haben wir damit nicht die Ursache behoben. Wir müssen den Sumpf austrocknen. Und das bedeutet, dass die Krankenhäuser eine wirtschaftliche Grundlage bekommen, die es ihnen ermöglicht, tatsächlich Qualität und Sicherheit in den Vordergrund ihrer Behandlung zu stellen.
Ganz typische Beispiele sind der Personalmangel, ganz typisches Beispiel ist, dass die Länder ihrem Investitionsbedarf, der inzwischen auf Milliardenhöhe angekommen ist, nicht nachkommen. Damit müssen Krankenhäuser aus ihrem betriebswirtschaftlichen Gewinn Investitionen tätigen, die aber an sich die Länder tätigen sollten, und dieses System muss dringend geändert werden und dafür hat die Politik ja nun schon etwas angekündigt. Ich hoffe sehr, dass es bald umgesetzt wird.
Scholl: Hartmut Siebert vom Aktionsbündnis Patientensicherheit über Boni im Krankenhaus. Herr Siebert, herzlichen Dank für das Gespräch.
Siebert: Dankeschön, Ihnen auch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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