"Ein neuer Paragraf wird das Problem auch nicht lösen"

Günther Jonitz im Gespräch mit Marietta Schwarz · 27.06.2013
Gesundheitsminister Daniel Bahr will im Sozialgesetzbuch Anti-Korruptionsregeln verankern. Das Problem der Ärztebestechung werde dadurch aber nicht gelöst, sagt Günther Jonitz von der Ärztekammer Berlin. Außerdem würden nicht diejenigen bestraft, "die aktiv bestechen".
Marietta Schwarz: Ein Wochenende im Luxushotel, eine Einladung im Sternerestaurant, ein Beratervertrag oder ein neues Gerät für die Praxis: Das sind übliche Belohnungen von Pharmafirmen für Ärzte, die mit ihnen kooperieren, das heißt, Pharmaprodukte an den Mann bringen, weil ein sogenannter Pharmareferent der Praxis vorher einen Besuch abgestattet hat. Das ist keine Seltenheit, die Krankenkassen schlagen Alarm, weil ihnen jährlich Milliardenbeträge durch Korruption, Falschabrechnungen, Betrug verloren gehen, der Bundesgerichtshof stellte im vergangenen Jahr in einem Fall korruptes Verhalten fest, doch strafrechtlich können niedergelassene Ärzte nicht verfolgt werden.

Gesundheitsminister Daniel Bahr will Regelungen für ein Antikorruptionsgesetz im Sozialgesetzbuch verankern, das soll heute im Bundestag verabschiedet werden, aber was bringt ein solches Gesetz? Fragen dazu an Günther Jonitz, den Präsidenten der Ärztekammer Berlin. Guten Morgen, Herr Jonitz!

Günther Jonitz: Guten Morgen, Frau Schwarz!

Schwarz: Hilft dieses geplante Gesetz, den – ja, ich nenne es mal so – unlauteren Einfluss der Pharmaindustrie auf Ärzte und Krankenhäuser einzudämmen?

Jonitz: Tendenziell eher nicht, weil es ist beileibe nicht so, dass die Staatsanwaltschaften derzeit keine Möglichkeiten haben, dagegen vorzugehen, sie können nur nicht wegen Korruption vorgehen, denn Korruption setzt voraus, dass jemand sich bestechen lässt, der im Dienste einer größeren Firma oder Unternehmung steht. Das ist der niedergelassene Arzt aber nicht, der Arzt ist nicht der Sachwalter oder Amtsträger der Krankenkasse, dem es primär um das Wohl der Krankenkasse geht, sondern um das Wohl der Patienten.

Das heißt, ein neuer Paragraf wird die Möglichkeiten nicht wesentlich ausdehnen, und ein neuer Paragraf wird das Problem auch nicht lösen.

Schwarz: Deshalb genau fordert ja die Opposition – Herr Lauterbach – dass das nicht ins Sozialgesetzbuch, sondern ins Strafgesetzbuch eingetragen wird. Wäre dass die bessere Lösung?

Jonitz: Nein, da erst recht nicht. Wir haben gerade aus den Erfahrungen der letzten Jahre, bei denen die Staatsanwaltschaft mit enormem Aufwand ermittelt hat, aus Riesenaufwand nur minimale Ergebnisse rausbekommen. Und dadurch, dass das ins Strafgesetz käme, würde das ebenfalls an den Möglichkeiten der Staatsanwaltschaft nichts ändern.

Die jetzt vorgesehene Regelung, das Ganze im Sozialgesetzbuch V, also in den Verantwortungsbereich der Krankenkassen einzubauen, ist noch die vergleichsweise harmlosere Variante, harmlos in dem Fall nicht, weil es weniger wirksam wäre, oder noch weniger wirksam wäre, sondern weil der Kassenarzt selbstverständlich auch eine Mitverantwortung hat für die Gelder der Versicherten, die ja bei den Krankenkassen liegen.

Das heißt, da ist das Thema richtig platziert, im Strafgesetzbuch wird nur ein neuer Pranger daraus ohne neue Möglichkeiten. Ein Beispiel aus 6.000 Seiten Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft im Jahr 2012: Über Gesamtdeutschland blieben in Berlin neun förmliche Untersuchungsverfahren übrig, und das zeigt nun mal die Größenordnungen, dass das Thema bei den Staatsanwälten nicht richtig platziert ist.

Schwarz: Sie sagen, das bringt also nichts, aber ich frage mal, würde es denn dem Arzt schaden, ein solches Gesetz, dem Arzt, der sich korrekt verhält?

Jonitz: Also dem Arzt, der sich korrekt verhält, schadet ein solches Gesetz natürlich unmittelbar nicht. Man muss sich dann nur überlegen, wo das Gesetz herkommt, und das Gesetz würde massiv befördert von den Krankenkassen in Deutschland, die nun selber per Gesetz völlig legal Ärzte bestechen. Das nur ... bestechen Krankenkassen die Ärzte auf dem Boden von Verträgen, die – allerdings auch nicht alle – rechtswirksam sind, auf dem Boden geltender Gesetze. Das heißt, der Arzt bekommt dort Bonuszahlungen, wenn er sich in einer bestimmten Art und Weise verhält.

Wenn die Industrie das Gleiche macht, dann ist die Industrie der Verbrecher, schlechte Korruption, die Krankenkassen dürfen das, gute Korruption. Eine solche Zweiteilung zeigt schon mal die Schizophrenie des Systems und der Politik.

Und das zweite Problem besteht darin, dass damit natürlich erst mal wieder der pauschale Generalverdacht über alle Ärzte ausgeschüttet wird, und der Wahnsinn geht noch mal einen Schritt weiter: Es werden diejenigen bestraft, die Bestechungsgelder annehmen, wenn es denn solche sind – diejenigen, die aktiv bestechen, und zwar beileibe nicht nur die Ärzte, sondern auch Krankenhäuser, auch Universitäten, auch die Politiker, die gehen straffrei raus, nämlich die Pharmaindustrie. Das ist nicht gerecht.

Schwarz: Die hat sich ja gerade zu einer Selbstverpflichtung erklärt. Was halten Sie denn davon?

Jonitz: Da halte ich überhaupt nichts von, weil die Pharmaindustrie nur dann vorsichtig anfängt zu reagieren, wenn sie massiv dazu gezwungen wird, und sie müssen sich die Zahlen vorhalten, dass die großen Pharmafirmen, die Firma GlaxoSmithKline im Jahr 2011 drei Milliarden Dollar Strafe gezahlt hat wegen illegalen Marketings, die Firma Pfizer, eine der größten forschenden Arzneimittelfirmen weltweit hat 2009 2,3 Milliarden Dollar Strafe gezahlt wegen illegalen Marketings, und solche Firmen haben hier praktisch weiterhin vom Gesetz her freie Wildbahn. Die Selbstverpflichtung ist das Papier nicht wert, auf dem sie steht.

Schwarz: Herr Jonitz, jetzt haben Sie mir gerade erklärt, was alles gesetzlich nicht funktioniert. Jetzt schauen wir doch einfach mal in Ihre Berufsordnung, die verbietet Provisionen und Geschenke. Wäre es nicht einfach eine saubere Lösung, wenn Ärzte ihre Sprechzimmer Pharmavertretern nicht mehr öffnen?

Jonitz: Das wäre eine ganz einfache Variante, die kriegen Sie nur per Gesetz nicht durch, denn so lange auch das Gesundheitswesen von der Politik zu einem Gesundheitsmarkt und Gesundheitswirtschaft deklariert wird, ist es legitim, dass Menschen, die Produkte idealerweise zum Wohle der Patienten anbieten, auch diejenigen besuchen dürfen, bei denen diese Medikamente dann verschrieben werden.

Ich persönlich würde wahrscheinlich keinen einzigen Pharmavertreter in meine Praxis hineinlassen, weil auch klar ist, dass dieser Mann mich nicht berät, sondern er will mir was verkaufen, das ist ein Riesenunterschied. Aber da baue ich darauf, dass die freiwillige Initiative, die innerhalb der Ärzteschaft da ist, dann weiter zunimmt.

Schwarz: Günther Jonitz, Präsident der Ärztekammer Berlin – vielen Dank für das Gespräch, Herr Jonitz!

Jonitz: Ich danke Ihnen, Frau Schwarz!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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