Medien

Hybrides Fernsehen von der Leine lassen

Von Annegret Faber · 11.03.2014
Filme oder Shows mit Informationen und Diensten aus dem Netz aufpeppen, das kann HbbTV. Allerdings funktioniert diese Technik bisher nur sehr begrenzt. Das Forschungsprojekt Casual TV versucht, das zu ändern.
Ein Raum. Mehrere Computer, Bildschirme, Fernsehgeräte und oben rechts an der Decke eine 20 Zentimeter lange, dicke, graue Antenne. Auf einem der Bildschirme läuft ein Fußballspiel.
Christian Siehler: "Wir befinden uns im DVB Testlabor der HTWK und was hier so rauscht ist unsere Teststrecke, mit der wir die Aufbauten eines Fernsehsenders nachbilden können."
Der Daten-Austausch zwischen Fernsehsender und Fernsehzuschauer wird hier gemessen, erklärt Christian Siehler, der an der Leipziger Hochschule für Technik, Wissenschaft und Kultur Medien Management studiert hat. Was die Wissenschaftler im Forschungsprojekt Casual TV besonders interessiert sind Zeitdifferenzen.
"Bei den Übertragungswegen ist es immer so, dass das Fernsehsignal eine Verzögerung aufweist, eine Latenz und dadurch ist das, was wir live sehen, nie wirklich live, sondern mehrere Sekunden, manchmal ne Minute, manchmal noch länger verzögert."
Sagt der wissenschaftliche Mitarbeiter Rene Welz. Anders sei es bei Informationen aus dem Internet:
"Das Internet geht einen eigenen Weg und einen schnellen Weg, sodass es wirklich in Echtzeit bei mir ist, oder in gefühlter Echtzeit. Das heißt, wenn irgendwo auf der Welt ein Tor geschossen wird, kann ich die Information sofort bei mir live sehen."
Geändertes Zeitverständnis
Während im Netz das Tor schon gefallen wird, wird auf dem Fernsehbildschirm noch verteidigt. Das geht nicht zusammen und deshalb kommt HbbTV bisher nur zeitunkritisch daher. Ein paar Informationen vor und nach Filmen oder Sendungen und das war's.
Es wäre aber viel mehr möglich, sagt der Dekan der Fakultät Medienwissenschaften in Leipzig, Prof. Uwe Kulischer und erklärt es am Beispiel eines Fußballspiels:
"Wir müssen ja als Fernsehzuschauer immer warten, bis nach dem Spiel oder in der Halbzeitpause sogenannte Experten dann darüber philosophieren, welche Kurven, welche Laufstrecken, welche Ballkontakte es in dem Spiel oder dem Sportler gegeben hat."
Mit Hybrid TV braucht der Fußballfan nicht mehr warten. Er bekommt die Hintergrundinformationen, wann er sie möchte:
"Der kann dann zu der Zeit, wenn er sagt, mein Lieblingsspieler X, der ist aber heute wieder faul gewesen, der rennt gar nicht. Und ein anderer, der mit Ihnen Fernsehen schaut, der sagt, nee, das ist der beste Spieler. Bevor man sich dann streitet, kann man dann über HbbTV gehen und sieht, das der Lieblingsspieler heute doch sehr flink unterwegs ist und schon Kilometer geschrubbt hat und vielleicht doch nicht so oft im Bild war."
Diese Informationen braucht der Zuschauer synchron zum Bild, also genau dann, wenn es passiert. Dafür müssen Internet und Fernsehen zeitgleich funktionieren.
Eingebettete Stream Events
Das geht, indem die schnellen Daten aus dem Netz auf einem Speicher geparkt werden, um sie im richtigen Moment loszuschicken, erläutert Christian Siehler. Die erste Aufgabe in dem Forschungsprojekt war deshalb:
"Wir mussten irgendwie herausfinden, wie groß diese Zeit ist, die das TV Bild benötigt um beim Fernsehzuschauer anzukommen und die Zusatzdaten um diese Zeit dann verzögern."
Und genau das simulieren die Forscher in dem Testlabor:
"Wir haben also einmal die terrestrische Fernsehübertragung, die Kabelübertragung und die Satellitenübertragung und um zu errechnen, wie groß dieser Zeitraum ist, die die Übertragung benötigt, betten wir kleine Signal-Anteile, so genannte Stream Events, in das Signal ein."
Diese Stream-Events im Fernsehsignal messen die Zeit zwischen Anbieter und Fernsehgerät:
"Der Fernseher bemerkt: Oh, ich habe so einen Event bekommen, fragt dann beim Webserver nach, aha, wann hast du dieses Signal, oder wann wurde das Signal abgespeichert und kann sich anhand dieser Differenz die Latenz errechnen."
Die errechnete Zeit ist dann der Zeitunterschied zwischen Internet und Fernsehen. Und um genau diesen Zeitraum parkt dann der Fernsehanbieter die Informationen auf einem Echtzeit-Webserver.
Christian Siehler: "Genau, aber wir verzögern nicht das Internet. Also wir verzögern nur die Internetdatenübertragung, aber nur die spezifische, für diese Anwendung.
TV-Zuschauer als Datenlieferanten
So kann langsames Fernsehen und schnelles Internet zusammen kommen und den Fernsehabend umkrempeln. Doch auch Kritik wird laut. Die neue Technik macht es möglich, Daten zu sammeln. Zuschauerverhalten oder Einschaltquote zu messen. Der Fernsehzuschauer wird ungewollt zum Datenlieferanten.
Für Uwe Kulisch ist das ein grundsätzliches Problem für Internetnutzer, aber kein Problem der Fernsehanstalten. Der Zuschauer selbst habe viele Vorteile und könne endlich mal seine Meinung sagen, oder seine Argumente mit Fakten untermauern:
"Wir sind am Fernseher bisher nur inaktive, passive Zuschauer. Aber warum nicht mal eine Zukunftsdiskussion am Fernsehen führen, wo die Zuschauer auch mit eingreifen können? Oder ihre Meinung direkt sagen können? Das fände ich mal spannend."
Derartige Interaktion ist mit einem zweiten Gerät möglich. Ein Tablet PC oder das Smartphone werden dann zum Zweitbildschirm und zur Tastatur. Doch will das der Fernsehzuschauer überhaupt? Sich einmischen? Informationen zu jeder Zeit?
Uwe Kulisch: "Die Frage kann man gar nicht mehr stellen, weil der Nutzer die Frage nicht mehr stellt, sondern er möchte es einfach."
Und so ist HbbTV der Versuch, auch für junge Zuschauer am Ball zu bleiben und das "Altherren"-Fernsehen in die digitale Welt zu retten.
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