McGhee/Bluhm: "Liebe Schwester"

Man muss sie einfach lieben

05:46 Minuten
Das Cover zeigt die Illustration von einem Jungen der auf einem Berg aus zerknüllten Briefen sitzt und dabei einen Brief schreibt.
„Liebe Schwester — Briefe an meine kleine Nervensäge“ von Allison McGhee und Joe Bluhm © Knesebeck / Deutschlandradio
Von Kim Kindermann · 16.06.2020
Audio herunterladen
Geschwister haben ist nicht leicht - und trotzdem sind sie das Beste, was es gibt. Warum? Das erzählen Alison McGhee und Joe Bluhm in ihrem wunderbaren Comic-Briefroman. Einfach toll!
Die Geschichte dieses saulustigen Buches ist schnell erzählt: Da ist man acht Jahre lang allein mit den Eltern, genießt deren volle Aufmerksamkeit, ist ihr Augenstern und geliebtes erstes Kind. Und dann plötzlich muss man diesen Sockel teilen, von dem man gefühlt ja eher gestoßen wird! Denn obwohl das Geschwister monatelang in Mamas Bauch heranwächst, ist es plötzlich da: mit voller Kraft. Und vor allem mit dem unbedingten Anspruch darauf, gesehen und gehört werden.

Liebe kann man nicht bestellen

Es ist für alle eine neue Situation, vor allem aber für den Bruder: Denn jetzt soll er nicht nur den Sockel teilen, sondern auch Zuwendung noch in Form von Bildern und Briefen fürs Baby-Album zeigen. Wie aber soll das gehen, wenn man noch gar nicht weiß, ob man diesen ständig schreienden Mensch mag? Diese kleine Schwester? Das stelle sich doch erst mit der Zeit raus, schreibt Bruder.
Und so ist dieses Buch, eine Mischung aus Comic und Briefroman, ein großer Spaß. Denn einfach macht es der Bruder seiner Schwester nicht. Egal wie sehr sie sich bemüht, nichts kommt bei ihm an. Kleine Schwester nervt. Punkt. Sie will immer Aufmerksamkeit, will vorgelesen bekommen und stört, wenn der beste Freund da ist.
Das ist Joe. Er teilt alles mit Bruder; unterstützt ihn; ist da, wenn Kummer droht; und findet Bruders kleine Schwester eben auch einfach nur nervig. Und so kommen die Bilder von Schwester, für die Bruder Ärger von den Eltern bekommt, ins gemeinsame Baumhaus, zu dem Schwester nie, aber auch wirklich nie Zugang erhalten soll. Dafür erhält sie immer mehr Briefe, die ihr sagen, wie furchtbar sie ist! Zeugnisse etwa über ihr Verhalten oder Bilder darüber, wie er zukünftig auf einem Hausboot alleine lebt, sobald die Eltern, die hier ausnahmslos als Wärter bezeichnet werden, es erlauben.

Großartig und treffend beschrieben

Selten wurde Geschwisterliebe so großartig und treffend beschrieben wie hier. Denn natürlich bricht Seite für Seite immer mehr die Zuneigung des großen Bruders durch. In kleinen Dosen natürlich nur, aber beständig: etwa bei der gemeinsamen Abneigung gegen weiße Bohnen oder beim Ermutigen fürs Feriencamp.
Und auch der Berg an Briefen, der wächst und wächst, beweist das. Von Jahr zu Jahr, von Ereignis zu Ereignis werden es mehr und sie erzählen von der festen Zahnspange, der ersten Absage zum Tanz oder dem Umzug von Joe nach Florida – und wie Schwester versucht zu trösten.

Wort und Bild fließen perfekt ineinander

Alison McGhee hat genau den richtigen Ton getroffen – lustig, ironisch und trotzdem feinfühlig. Auch dass Bruder und Schwester namenlos bleiben, gibt dem Buch eine besondere Note und macht das Thema so universell gültig.
Joe Bluhm hat genial passende, schwarz-weiß-blaue Comics dazu gemalt – schlicht und dennoch ausdrucksvoll, mit starkem Strich und zahlreichen Details.
Beides – Wort und Bild – fließen perfekt ineinander. Nicht selten wird der Text selbst gestalterischen eingesetzt: wenn etwa nur einzelne Wörter sich über eine ganze Doppelseite ergießen. Das hat viel von den erfolgreichen Büchern wie "Gregs Tagebuch", "Lotta Leben", "Mira" oder "Super Mats" – und beweist einmal mehr: Schwere Themen lassen sich hervorragend thematisieren, wenn man auf Humor und Spaß setzt – und Kinder lieben das. Bestimmt auch dieses Buch hier!

Alison McGhee/Joe Bluhm: "Liebe Schwester. Briefe an meine kleine Nervensäge"
Aus dem Englischen von Kathrin Köller
Knesebeck Verlag, München 2020
192 Seiten, 14 Euro

Mehr zum Thema