Max Annas: "Die Mauer"

Geschlossene Gesellschaft

Ein Paar spaziert vor ärmlichen Hütten im Township Khayelitsha nahe Kapstadt.
Zäune und Mauern trennen in Südafrika oft Weiße und Schwarze - wie hier in einem Township nahe Kapstadt © picture alliance / ZB / Ralf Hirschberger
Von Thomas Wörtche · 01.06.2016
Ein junger Schwarzer sucht in "Die Mauer" nach einer Autopanne Hilfe in einer "Gated Community" in Südafrika. Am Ende muss er um sein Leben rennen. Ein brillanter, actionreicher Krimi auf der Höhe der Zeit.
Unter bestimmten Umständen können Alltagssituationen zur Katastrophe werden. Ein junger Mann hat eine Autopanne und sucht Hilfe. Der junge Mann ist schwarz, Hilfe sucht er fatalerweise in einer "Gated Community", also in einer Siedlung für betuchte Weiße, die sich hinter Mauern verschanzt haben, von Kameras kontrolliert, von einem Sicherheitsdienst bewacht.

Vom Hilfesuchenden zum Einbrecher

Wir befinden uns in der Republik Südafrika, einer der gewalttätigsten Gesellschaften dieser Welt. Für viele Weiße ist der schwarze, junge Mann das gefährlichste Wesen überhaupt, und das bekommt auch Moses, unsere Hauptfigur zu spüren. Man hält ihn für einen Einbrecher, das böse Wort "Vergewaltiger" taucht auf, und er muss um sein Leben rennen. Alle sind hinter ihm her: besorgte Bürger, die Wachleute, später die angerückte Polizei.
Seine Optionen sind begrenzt, die Mauer, die ihn eigentlich draußen halten sollte, hält ihn drinnen gefangen. "Die Mauer" heißt folgerichtig der schmale zweite Roman von Max Annas, der selbst lange Zeit in Südafrika gelebt und gearbeitet hat.
Wie in seinem viel gelobten Erstling "Die Farm" verdichtet Annas auch in "Die Mauer" Raum und Zeit. Die erzählte Zeit beträgt nur ein paar Stunden, für einen der Höhepunkte zerdehnt er wie in Zeitlupe Sekunden zu beinahe fünf Seiten konzentrierter Prosa. Zudem zieht Annas noch eine Parallelhandlung ein: Zur selben Zeit, in der Moses gehetzt wird, findet ein schwarzes Einbrecherpärchen in einem der Häuser eine Leiche und verbringt die meiste Zeit in einem Kleiderschrank beziehungsweise in einer Kühltruhe, von wo aus sie das losbrechende Chaos beobachten und vor allem belauschen.
Das wiederum ist eine klassische Konstellation der Boulevard-Komödie. Und gleichzeitig durch die Fokussierung aufs Akustische ein weiterer Akt der Reduktion. So entsteht, gleichsam zur Essenz gepresst, eine komische Tragödie oder eine tragische Komödie.
Aber Achtung: So minimalistisch Annas' Dramaturgie auch erscheinen mag: die Hochspannung des Romans entsteht aus den überraschenden Wendungen, die die Handlung nimmt. Die Katastrophe und das Chaos, das entsteht, sortiert die Fronten plötzlich anders, als man denkt.

Die Mauer produziert mehr Konflikte

Zwar spielt der Roman in einem sehr konkret dargestellten Südafrika, hat aber wegen seiner Konstellation globale Gültigkeit. Schließlich geht es um drinnen und draußen, um Inklusion und Exklusion, um die Verheerungen des Rassismus, die nur Verlierer kennt, um hysterische, letztendlich unkontrollierbare Gewalt als angebliche Ultima Ratio von Angst und Misstrauen gegenüber den jeweils "Anderen".
Die Mauer schützt nicht vor den Realitäten der Welt, sie produziert nur mehr Konflikte, mehr Gewalt, mehr Elend. Sie wird zur allgemeingültigen Großmetapher, die sowohl die "Festung Europa", die Grenzzäune oder Donald Trumps Mexiko-Mauer-Projekt mit assoziiert, ohne das groß zu betonen.
Für all das braucht Max Annas genau 221 Seiten, vollgepackt mit Action, Thrill und Suspense. Das ist brillant, formal und inhaltlich Kriminalliteratur auf der Höhe der Zeit.

Max Annas: "Die Mauer". Roman.
Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 2016
221 Seiten, 12,00 Euro

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