Overtourism

Touristen müssen Eintritt zahlen

Viele Menschen auf einem Plat in Venedig.
Versuch gegen den Overtourismus in Venedig: Ab dem 25. April müssen Tagestouristen an zunächst 29 Tagen bis Mitte Juli fünf Euro zahlen. Ab 2025 soll dasTagesticket dann generell eingeführt werden. © picture alliance / CHROMORANGE / Viennaslide
23.04.2024
Venedig macht ernst. Als erste Stadt der Welt verlangt das beliebte italienische Reiseziel ab dem 25. April von Tagestouristen fünf Euro Eintritt. Doch nicht nur Venedig ist vom sogenannten Overtourism betroffen.
Seit Jahren ächzt Venedig unter den vielen Touristen. Allein im vergangenen Jahr kamen nach Schätzungen 15 Millionen Menschen in die Lagunenstadt an der italienischen Adria, manchmal mehr als 100.000 an einem Tag. Dabei leben nicht einmal mehr 50.000 Einwohner in der Altstadt. Seit Jahren diskutieren sie darüber, wie man mit den vielen Touristen umgehen soll.
Schon im vergangenen Jahr hatte der Stadtrat deshalb eine Tourismusgebühr beschlossen. Ab dem 25. April 2024 kommt sie nun und Tagestouristen müssen zunächst erst einmal bis Mitte Juli fünf Euro Eintritt zahlen. Aber bringt eine Gebühr tatsächlich etwas gegen den Touristenansturm, wie geht es anderen beliebten Reisezielen und ab wann spricht man überhaupt von einem „Overtourism“?

Ist Overtourism das gleiche wie Massentourismus?

„Massentourismus“ und „Overtourism“ werden gerne in einem Atemzug genannt. Die Begriffe sollten aber nicht synonym verwendet werden, erklärt Pascal Mandelartz, Professor für Tourismuswirtschaft an der IU Internationale Hochschule. So sei Massentourismus vielmehr ein „medialer Begriff“, der negativ besetzt sei. Unter bestimmten Voraussetzungen könnten „Massen“ sogar erwünscht sein, gibt er zu bedenken.
In der Tourismuswissenschaft spreche man lieber vom „Overtourism“. Dabei entstehe eine Ballung von Touristen, „die die Kapazitätsgrenzen einer Destination sprengt und quasi die Belastbarkeit übersteigt“. Heißt: Ab einer gewissen Anzahl von Menschen ist eine Stadt oder eine Region überfordert.
Der "gemeinsame Nenner" all dieser Touristen, die Städte wie Barcelona, Amsterdam, Mailand, Budapest, Reykjavik oder Lissabon besuchen, seien „ikonische Destinationen“, die man auf einer „Lebensabhakliste“ stehen habe, sagt Pascal Mandelartz.
Zum anderen verfügten die betroffenen Städte und Regionen oft über Weltkulturerbe und sie hätten einen Flughafen oder einen Hafen für Kreuzfahrtschiffe in der Nähe, sagt Jeroen Klijs von der niederländischen Breda University. "Das sind alles Faktoren, die dazu beitragen, dass die Situation brenzlig werden kann.“
Auch Popkultur kann Anziehungskraft entfalten: Dubrovnik, die kroatische Hafenstadt kann sich z.B. vor Touristen kaum noch retten, seit die TV-Serie "Games of Thrones" dort gedreht wurde.
Städte verändern sich dadurch: Aus Wohnungen für Einheimische werden Übernachtungsmöglichkeiten für Touristen, die fortan leicht online buchbar sind und den Schritt zur Reise noch vereinfachen. Auch Geschäfte und öffentliche Einrichtungen werden nach touristischen Bedürfnisse ausgerichtet.
Das Problem dabei: Die Anwohner in diesen Städten leiden unter dem Ansturm. Die Mieten steigen, weil sich mit Übernachtungen der Touristen mehr verdienen lässt. In Venedig haben über die Jahre viele Menschen die Altstadt verlassen und sind ins Umland gezogen.
Neben Städten leiden auch ländliche Regionen und kleine Orte unter dem Massenantrag von Touristen. Ein Beispiel ist Hallstatt in Österreich, das besonders bei Besuchern aus Asien beliebt ist. Es gibt von dem Städtchen sogar eine Kopie in China.

Wie funktioniert das „Venedig-Ticket“?

Die Gebühr wird keine Gewinne für die Stadtkasse bringen, weil die Kosten der Umsetzung nach Angaben des Bürgermeisters von Venedig, Luigi Brugnaro, ähnlich hoch sind, wie die Einnahmen. Die Gebühr soll Menschen also von einem Besuch der Stadt abhalten. "Erstes Ziel ist es, die Stadt zu schützen und wieder lebenswert zu machen", sagte Brugnaro.
Bis Mitte Juli wird das Ticket für insgesamt 29 Tage erst einmal getestet. Im kommenden Jahr soll es dann ganzjährig eingeführt werden. Ab dem 25. April bis zum 5. Mai müssen Tagesbesucher, die sich von 8.30 Uhr bis 16 Uhr in der Stadt aufhalten, pro Person fünf Euro zahlen. Danach wird die Gebühr an allen Wochenenden bis zum 14. Juli fällig, mit Ausnahme des Wochenendes 1./2. Juni. Einheimische, Pendler und Kinder unter 14 Jahren müssen nichts zahlen.
Auf der Internetseite „Contributo di Accesso“ besorgt man sich einen QR-Code und lädt diesen aufs Handy. Bei Verstößen droht eine Strafe zwischen 50 und 300 Euro. Kontrolliert wird vor allem am Bahnhof und an den wichtigsten Anlegestellen der Boote wie dem Markusplatz. Zu beachten ist, dass auch Übernachtungsgäste einen QR-Code brauchen, sie erhalten diesen aber gebührenfrei zum Beispiel in ihrem Hotel.

Welche Kritik gib es daran?

Bei den Hoteliers in Venedig ist das Ticket unbeliebt, weil es zusätzliche Arbeit macht. Für viele ist die Gebühr reine „Schikane“. Ob Geschäftsleute oder Bürgerinitiativen – über Jahre haben sie aus verschiedenen Gründen versucht, das Vorhaben zu stoppen. Trotzdem hatte der Stadtrat im vergangenen Herbst mit einer klaren Mehrheit für die Einführung gestimmt.
Wohl auch deshalb, weil die UNESCO angekündigt hatte, Venedig auf die Rote Liste des „bedrohten Weltkulturerbes“ zu setzen. Deshalb hatte Bürgermeister Luigi Brugnaro wohl auch angekündigt, mit dem eingenommen Geld Kanäle, Straßen und Gebäude sanieren zu wollen.
Gewinne werden durch das Ticket aber wohl erst entstehen, wenn das Ticket dauerhaft eingeführt und der Preis gegebenenfalls auch erhöht wird. Denn auch die Zeitung "Corriere della Sera" hat errechnet, dass die erwarteten Einnahmen gerade einmal ausreichen, um die nötige Infrastruktur und die Kontrollen zu finanzieren. Für eine zusätzliche Sanierung bliebe also nichts übrig.

Skepsis bei Experten

Viele Experten sind hinsichtlich eines Erfolgs allerdings skeptisch. Warum sollten sich Menschen von fünf Euro abschrecken lassen, wenn alleine schon ein Cappuccino am Markusplatz zwölf Euro kostet?
Auch der Tourismusforscher Pascal Mandelartz hält die Eintrittsgebühr in Venedig für „extremst problematisch“. „Das ist wahrscheinlich, wenn nicht sogar der problematischste Fall. Weil die sogenannte Disneyfizierung hier extrem weit vorangeschritten ist. Eigentlich hat man hier überhaupt keine Stadt mehr, in der Einheimische leben, sondern man hat ein touristisches Disneyland erstellt. Da wird es sehr schwierig, diesen Prozess wieder komplett zurückzudrehen.“

Welche Erkenntnis hat Corona gebracht?

Trotzdem – bei all der Kritik am Overtourismus, Touristen bringen auch viel Geld in eine Region und sie sind ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Pascal Mandelartz spricht sogar von einer „fast schon symbiotischen Beziehung“, die während Corona noch einmal eine andere Facette erhalten hat.
So hätten Regionen wie die spanische Costa de Sol, wo Touristen nur noch als „Feindbild“ angesehen wurden, erkannt, dass ohne Tourismus, die Wirtschaft einbreche. Auch in Städten wie Venedig könne man ohne Touristen kaum noch eine Versorgung der Bevölkerung gewährleisten, sagt er.

Tourismus wird nicht grundsätzlich abgelehnt

Auch auf den Kanarischen Inseln regt sich Widerstand gegen Tourismus. An einem Wochenende im April gingen Zehntausende Menschen gegen Massentourismus unter dem Motto "Die Kanarischen Inseln haben Grenzen" in den großen Städten der sieben spanischen Urlaubsinseln auf die Straße.
Doch auf Fuerteventura seien die Einheimischen nicht grundsätzlich gegen Tourismus, berichtet Korrespondent Thorsten Philipps. „Sie freuen sich über Touristen, wenn die hier nicht gerade ihren Müll in das Meer schmeißen oder am Strand lassen.“ Die Menschen lebten von ihnen, denn außer der Fischerei und Ziegen gebe es nichts auf der Insel.
Es gehe daher nicht um das "ob", sondern um das "wie". So leide die einheimische Bevölkerung zum Beispiel darunter, dass sich reiche Menschen aus Europa Häuser kaufen und dadurch die Immobilienpreise steigen. Personen mit einem Durchschnittsgehalt von 1100 Euro im Monat könnten sich eine gestiegene Miete von 400 Euro auf 800 Euro für eine Zweiraumwohnung nicht mehr leisten.

Was hilft gegen den Overtourism?

Ein Stück weit haben es die touristischen Hotspots heute mit den Geistern zu tun, die sie selbst einmal gerufen haben. Der „Konkurrenzkampf“ untereinander habe dazu geführt, dass in den vergangenen Jahrzehnten in Marketingmaßnahmen intensiviert worden sei, „gerade für diese ikonischen Orte, die dann jeder im Kopf hat“, erklärt Pascal Mandelartz. Das Marketing und die Werbung hätten zu gut funktioniert. So habe man versäumt, den Blick auch auf andere Regionen zu richten.
Überlaufenen Großstädten wie Venedig, Barcelona und Amsterdam, wo als Maßnahme gegen den Ansturm zum Beispiel Führungen durch das berühmte Rotlichtviertel verboten wurden, würde der Tourismusexperte raten, die klassische Werbung zu reduzieren und andere Regionen mit in den Fokus zu nehmen. Es gehe darum, den „Facettenreichtum“ einer Region zu präsentieren.
Zudem plädiert er dafür, auch die einheimische Bevölkerung mehr in Entscheidungsprozesse einzubinden. So könnte mit Bürgerplattformen über die Infrastruktur mitentschieden werden, ob man zum Beispiel in der Innenstadt einen weiteren Souvenirshop haben möchte oder nicht.
Das Problem an den beliebten Reisezielen sei auch, dass alle immer an die gleichen Plätze wollen, sagt Pascal Mandelartz. „In Rom wollen alle zum Kolosseum, in Venedig wollen alle zum Markusplatz.“
Vielleicht sollten Touristen auch einfach mal in weniger bekannte und erschlossene Stadtteile gehen. Diese seien authentischer und man treffe dort auch Einheimische, sagt der Tourismusexperte. Das sei zum Beispiel schöner, als sich drei Stunden in eine Schlange fürs Kolosseum zu stellen.

jad
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