Overtourism

Erdrückt von Touristenmassen

Demonstrierende stehen dicht an dicht bei einer Kundgebung gegen Übertourismus in Lissabon, auf einem Plakat steht der Schriftzug "Make Love Not Tourism".
Mehr als 140 Bürgerinitiativen in Spanien, Portugal und Italien kämpfen gegen die Folgen des Übertourismus. © picture alliance / Associated Press / Armando Franca
Immer wieder protestieren Menschen in Urlaubsregionen gegen die Folgen des ausufernden Tourismus. Mit verschiedenen Maßnahmen wird versucht, die Besucherströme einzudämmen. Was hilft gegen das Problem Overtourism?
Von den Balearen über Südtirol bis nach Japan – an vielen beliebten Reisezielen der Welt regt sich in den letzten Jahren immer wieder Protest gegen den unkontrollierten Strom von Touristenmassen. Das Stichwort lautet „Overtourism“. Die einheimische Bevölkerung kritisiert das ihrer Ansicht nach ungerechte und nicht nachhaltige Entwicklungsmodell im Tourismussektor.
Steigende Mieten, Lärm und Verkehrsprobleme sorgen in Spanien, Österreich, Tschechien oder Schweden für Unmut. Gleichzeitig ist der Tourismus oft eine zentrale Einnahmequelle der Regionen. Lässt sich ein verträgliches Maß finden – und was können bestimmte Maßnahmen gegen Overtourism bewirken?

Was ist Overtourism?

Overtourism ist ein Begriff aus der Tourismuswissenschaft. Dabei entstehe eine Ballung von Touristen, „die die Kapazitätsgrenzen einer Destination sprengt und quasi die Belastbarkeit übersteigt“, erklärt Pascal Mandelartz, Professor für Tourismuswirtschaft an der IU Internationale Hochschule. Heißt: Ab einer gewissen Anzahl von Menschen ist eine Stadt oder eine Region überfordert.
„Wir sprechen von Tragfähigkeitsgrenzen, die überschritten werden“ erklärt Jürgen Schmude, der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Tourismuswissenschaft. Seien dies vor einiger Zeit eher ökologische oder infrastrukturelle Grenzen gewesen, habe sich das auf die ökonomische Tragfähigkeit verschoben, auf die die Einheimischen zunehmend sensibel reagierten. „Die lokale Bevölkerung leidet ökonomisch unter dem Tourismus, zum Beispiel durch die Entziehung von Wohnraum.“

Wie kommt es zu Overtourism?

Der „gemeinsame Nenner“ all dieser Touristen, die Städte wie Barcelona, Amsterdam, Mailand, Budapest, Reykjavik oder Lissabon besuchen, seien „ikonische Destinationen“, die man auf einer „Lebensabhakliste“ stehen habe, sagt Pascal Mandelartz.
Zum anderen verfügten die betroffenen Städte und Regionen oft über Weltkulturerbe und hätten einen Flughafen oder einen Hafen für Kreuzfahrtschiffe in der Nähe, berichtet Jeroen Klijs von der niederländischen Breda University. „Das sind alles Faktoren, die dazu beitragen, dass die Situation brenzlig werden kann.“
Auch Popkultur kann Anziehungskraft entfalten: Dubrovnik, die kroatische Hafenstadt, kann sich zum Beispiel vor Touristen kaum noch retten, seit die TV-Serie „Game of Thrones“ dort gedreht wurde.
Ein Stück weit haben es die touristischen Hotspots heute auch mit den Geistern zu tun, die sie selbst einmal riefen. Der „Konkurrenzkampf“ untereinander habe dazu geführt, dass in den vergangenen Jahrzehnten Marketingmaßnahmen intensiviert worden seien, „gerade für diese ikonischen Orte, die dann jeder im Kopf hat“, erklärt Pascal Mandelartz. Die Werbung habe zu gut funktioniert. So habe man versäumt, den Blick auch auf andere Regionen zu richten.

Welche Probleme verursachen die Touristenströme?

Overtourism bringt für die Bewohner betroffener Orte eine Reihe von Problemen mit sich. Denn nicht alle profitieren vom Geld, das die Touristen in die Region bringen. In den Urlaubsregionen in Spanien, Italien und Portugal berichten Einheimische – gerade auch Beschäftigte im Tourismussektor – von prekären Arbeitsbedingungen und schlechten Löhnen.

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Der Wohnraum wird knapper, weil Wohnungen an Touristen vermietet werden und Gutbetuchte ganze Ferienhäuser kaufen. Dadurch steigen die Mieten und werden für die einheimische Bevölkerung teils unbezahlbar. Auch Menschen, die selbst im Tourismus arbeiten, würden so vertrieben, sagt der Tourismusforscher Harald Pechlaner von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Sie müssten dann weite Wege zurücklegen, um an ihren Arbeitsplatz zu pendeln.
Auch der Verkehr könne in den betroffenen Regionen durch die Menschenmassen überlastet werden und zusammenbrechen, so Pechlaner. Hinzu kommt, dass sonstige Infrastruktur wie etwa der Einzelhandel auf zahlungskräftige Besucher zugeschnitten wird, während Geschäfte für den täglichen Bedarf der Bewohner verschwinden.
Auch die Belastung der Umwelt – etwa durch Müll oder Emissionen – ist eine Folge von Overtourism. Auf Urlaubsinseln wie Mallorca sind zudem Ressourcen wie Wasser und Land begrenzt. Der jährliche Touristenansturm kann das System überlasten.

Welche Gegenmaßnahmen ergreifen betroffene Orte?

In der antiken italienischen Stadt Pompeji gilt inzwischen ein Besucherlimit von 20.000 Personen pro Tag, um den Tourismus besser zu steuern und das wertvolle Kulturerbe zu schützen.
Venedig hat sich eine andere Strategie einfallen lassen: Als erste Stadt der Welt verlangt die Lagunenstadt seit 2024 Eintritt von Touristen. In der Hauptsaison sowie an bestimmten Tagen gilt die Gebühr von fünf bis zehn Euro. Die Zahl der Touristen verkleinern konnte die Stadt damit bisher aber nicht.
Ein weiterer Weg, den betroffene Städte einschlagen, ist das Angebot von Ferienwohnungen einzuschränken. In Amsterdam dürfen Wohnungen nur noch an 30 Tagen im Jahr auf diese Weise vermietet werden, sonst ist eine Lizenz fällig. Auch in Prag hat die tschechische Regierung die Regeln für die Vermietung von Ferienwohnungen verschärft.
In Barcelona sollen Vermietungen über Airbnb & Co. nach 2028 komplett verboten sein. Außerdem gilt schon seit 2015 eine Obergrenze von 170.000 Betten – vom Jugendherbergsbett bis zum Luxus-Ferienappartement. Die Preise sind gestiegen, aber das Wachstum ebbte nicht ab, sondern verlagerte sich von der Stadt in die Vororte, die nicht an die Grenze gebunden sind.

Alkoholverbot am Ballermann

Um gegen die Auswüchse des Party-Tourismus vorzugehen, darf auf offener Straße und am Strand kein Alkohol mehr getrunken werden. Das Verbot gilt für die Playa de Palma mit dem sogenannten Ballermann und für weitere Feierzonen auf Mallorca sowie auf der Nachbarinsel Ibiza. Kritiker befürchten jedoch, dass sich durch die Maßnahme kaum etwas ändern wird.
In Japan wurden an beliebten Reisezielen wie etwa dem Mount Fuji Zugangsbeschränkungen, Wegegebühren und Besucherlimits eingeführt. In stark besuchten Gebieten wie Tokios Shibuya-Bezirk wurden Alkoholverbote und spezielle Regelungen bei Events wie Halloween umgesetzt, um Überfüllung und Chaos zu verhindern. In einigen Regionen werden auch Barrieren oder Sichtschutzwände eingesetzt, um sensible Orte zu schützen und den Ansturm zu verringern.

Wie lässt sich Overtourism langfristig eindämmen?

Bisher gibt es noch keine grundlegende Lösung dafür, wie an Hotspots nachhaltiger Tourismus ermöglicht werden kann. Für Tourismusforscher Harald Pechlaner steht jedoch fest: Tourismus muss in Zukunft deutlich stärker reguliert werden. „Es wird eben in Zukunft nicht mehr möglich sein, alle Orte zu jeder Zeit besuchen zu können“, sagt der Experte.
Dabei sei es wichtig, dass Urlaubsregionen individuelle Maßnahmen ergreifen. Eine Lösung für alle gebe es nicht. Regeln wie Zugangsbeschränkungen könnten zwar kurzfristig wirken. Es brauche aber langfristige Strategien wie Bettenobergrenzen und Wohnungsbau, um die Probleme in den Griff zu bekommen.
Tourismus habe viel mit der Demokratisierung von Gesellschaften zu tun, so Pechlaner. Das müsse auch in Zukunft so bleiben. „Tourismus darf nicht etwas Elitäres werden, was er ganz am Beginn der Entwicklung eigentlich war.“ Allerdings müssten sich Reisende in Zukunft daran gewöhnen, dass ein Urlaub deutlich stärker geplant werden müsse.

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