Martin Salisbury: „Miroslav Šašek“

    Mit der Zeichenmappe um die Welt

    06:03 Minuten
    Cover des Buchs „Miroslav Šašek“ von Martin Salisbury.
    © Midas

    Martin Salisbury

    Übersetzt von Claudia Koch

    Miroslav ŠašekMidas, Zürich 2021

    128 Seiten

    24,00 Euro

    Von Eva Hepper  · 10.01.2022
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    Die illustrierten Stadtreiseführer des Tschechen Miroslav Šašek bezaubern bis heute Kinder und Erwachsene. Eine reich bebilderte Biografie widmet sich nun dem Leben und Werk des Künstlers.
    Was für umwerfend komische Tiere! Neun sind auf der Doppelseite abgebildet, und eines ist fantastischer als das andere: etwa die zehnbeinige, wurstförmige Winzigkeit mit Katzenkopf und Ringelschwanz oder das Ungetüm mit aalglattem Rüssel und enormen Wimpernaufschlag.  
    Jede der Kreaturen ist mit feinem Bleistift gezeichnet und ganz offensichtlich eine extravagante Persönlichkeit. Das vermittelt nicht nur die fantasievolle Komposition ihrer Gestalt, das zeigen vor allem auch die Gesichtsausdrücke. Allein die Nuancen um Augen, Schnauzen und Mäuler – mit und ohne Zähne – zeigen den Charakter.  

    Mit Stadtporträts weltberühmt

    Die Wesen stammen aus der Feder von Miroslav Šašek. Der 1916 in Prag geborene und mit seinen Stadtporträts weltberühmt gewordene Zeichner hat sie in den 1970er-Jahren entworfen, aber leider nie veröffentlicht.
    Zu sehen sind sie nun in dem reich bebilderten Buch des Illustrators Martin Salisbury, der Leben und Werk seines berühmten Kollegen zu fassen versucht.
    Salisbury erzählt chronologisch, gestützt auf alte Zeitungsartikel und Bücher, auf Bildmaterial der Šašek-Foundation sowie selbst geführte Interviews mit dem englischen Verleger Jeffrey Simmons und dem Stiefsohn Dusan Molek-Šašek.

    Legendär neue Bildsprache

    Der umfangreichste Teil des Buches widmet sich Šašeks zentralem Werk, den 18 Städte- und Länderporträts, für die der Illustrator von 1959 bis 1974 rund um die Welt reiste. Unter dem Titel „This is …“ zeigte der Tscheche beispielsweise Paris, London oder Rom in einem damals revolutionär neuen Bilderbuchformat, das legendär wurde und noch heute durch seine Bildsprache besticht.
    Anhand vieler Illustrationen und mit Zitaten Šašeks kann Salisbury wunderbar ausführen, wie der Zeichner arbeitete, wie sich sein Stil entwickelte, und dass es insbesondere der Blick des Exilanten war, der die Besonderheiten von Land und Leuten einfing.
    Tatsächlich hatte Šašek nach einem Studium der Architektur und Malerei für verschiedene tschechische Verlage als Illustrator gearbeitet, bevor er nach der Machtübernahme durch die Kommunisten 1948 nach Paris ging. Dort reifte der Plan eines Stadtreiseführers.
    Es ist spannend, auch die Zeichnungen aus dieser Zeit zu sehen, zumal sie ein zwischenzeitliches Engagement bei dem in München ansässigen „Radio Free Europe“ von 1951 bis 1957 illustrieren. Gern hätte man darüber noch mehr erfahren, doch Salisbury geht hier nicht in die Tiefe.

    Zeitgenössischer Kontext fehlt

    So gut der Autor den Illustrator, seine Arbeit und seinen Perfektionismus vorstellen kann, der zeitgeschichtliche Kontext interessiert ihn weniger. Auch den Menschen hinter der Profession nimmt er nicht in den Blick: Wie Šašek sein Exil erlebte, was ihn bewogen hat, Paris als Heimatstadt zu wählen, warum er nach dem Ende seiner erfolgreichen Städtebuchreihe bis zu seinem Tod 1980 nicht mehr recht Fuß fassen konnte – Salisbury kann es allenfalls andeuten.
    Dennoch ist ihm eine schöne Würdigung gelungen. Und sollten die Fans der „This is ...“-Bilderbuchreihe jetzt noch zahlreicher werden: Miroslav Šašek hat es verdient.
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