Martin Mosebach: "Westend"

Geldadel im Niedergang

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Ein Bürgerhaus in Frankfurter Stadtteil Westend im Hintergrund befindet sich ein Bürogebäude mit verspiegelten Fenstern. Im Vordergrund ist der Buchtitel "Westend" von Martin Mosebach.
Bürgerliches Idyll: Im Frankfurter Westend haben die Familien Has und Labonté mit Immobiliengeschäften viel Geld verdient. © Rowohlt / Imago / Westend61
Von Helmut Böttiger · 29.03.2019
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Manches braucht seine Zeit: 1992 wirkte "Westend" von Martin Mosebach ziemlich altbacken. Doch eigentlich war der Roman über zwei Frankfurter Bürgerfamilien nur einige Jahre zu früh erschienen, wie die Neuausgabe beweist.
Dieses Buch ist umgeben von einer ungeheuren Fama. Als Martin Mosebach im Jahr 2007, nach einer heftigen Huldigungsphase in wichtigen Feuilletonzirkeln, den Georg-Büchner-Preis erhielt, bezeichnete er seinen Roman "Westend" aus dem Jahr 1992 als sein eigentliches Hauptwerk. Ein Buch, das zum Zeitpunkt seines Erscheinens kaum Beachtung gefunden hatte.

Schwelgen in der Vergangenheit

Wenn man sich den damaligen Literaturbetrieb vor Augen hält, fällt das Unzeitgemäße dieses Romans tatsächlich auf: Ringsumher begann der deutsche Pop-Roman seinen Siegeszug. Es ging um die Euphorie des Jetzt, um das Auskosten der unmittelbaren Gegenwart mit ihren äußerst distinktionsfähigen Konsumangeboten. Mosebachs umfangreicher Roman dagegen schien schwelgerisch in eine soeben überwundene Vergangenheit einzutauchen, mit sprachlichen Mitteln zumal, die noch ferner gelegenen Epochen anzugehören schienen.
Mit der jetzt erscheinenden Neuausgabe wirken diese aber wieder verblüffend aktuell. Das Wesentliche an "Westend" ist eine Thomas-Mann-hafte Grundstruktur. Es geht um zwei Frankfurter Bürgerfamilien im Laufe dreier Generationen.
Der Schwerpunkt liegt auf den beiden Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg. Wie bei den Buddenbrooks handelt es sich um die Beschreibung eines Niedergangs. Dabei gibt es aufschlussreiche Einblicke in die Häuserspekulation im Frankfurter Westend. Die unterschiedlichen Entwicklungslinien der Familien Has und Labonté bieten viel Stoff, mit süffisanten Verschiebungen von Manns Künstler-Bürger-Problematik. Es entspinnen und verwickeln sich amouröse Konstellationen verschiedenster Art.

Bürgerlicher Stil

Das Ganze ist fein psychologisch verästelt und oft mit lustvoll gespreiztem kleinen Finger geschrieben. So sieht Alfred Labonté einmal, dass es Eduard Has gelungen ist, eine edle Schweizer Salondame zu ehelichen, und ruft eifersüchtig-entsetzt bei sich aus: "Dass Eduard Has in den Besitz eines solchen Wesens gelangt war!" Lange Satzperioden im klassischen bürgerlichen Stil gelangen in weitausschweifender Weise in die innersten Zonen der Raumausstattung wie des Seelenlebens.
So wie bei Mosebach generell der Konflikt zwischen Katholizismus und Protestantismus ein schöpferisches Potenzial darstellt, gerät dieser Roman allerdings auch spannungsreich zwischen die Stilistiken Thomas Manns und Heimito von Doderers. Der Konversationston des Wieners, die impressionistischen Girlanden am Caféhaustisch, scheinen Mosebachs Stilideal am ehesten zu entsprechen.
Und doch mischt sich noch etwas anderes dazwischen. Während Doderers Sätze auf weite Strecken eine Wirkung entfalten wie leicht moussierender Weißwein, haben sie bei Mosebach eine durchaus schwierigere Note, manchmal schmecken sie sogar ein bisschen nach Korken. Da vermittelt sich etwas Angestrengteres, vor allem im Bemühen um eine ironisch gebrochene Distanz zu den Figuren. Aber in seinem Gestus einer Art herablassender Noblesse war Mosebach seiner Zeit mit diesem Roman auf jeden Fall um ein paar Jahre voraus.

Martin Mosebach: "Westend"
Roman
Rowohlt Verlag, Reinbek 2019
894 Seiten, 20 Euro

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