Martin Mosebach: "Krass"

Zeitlose Charakterstudie

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Buchcover "Krass" von Martin Mosebach
Zwischen Loriot und Thomas Mann: Den neuen Mosebach genießt man am besten bei einem guten Glas Kognac, sagt unser Kritiker. © Rowohlt Verlag / Deutschlandradio
Von Helmut Böttiger · 27.01.2021
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Waffen-, Drogen- und Mädchenhändler Ralph Krass ist ein Machtmensch par excellence. Marin Mosebachs „Krass“ schildert einen faszinierenden dionysischen Charakter, der selbst nach seinem Absturz von unerschütterlichem Selbstvertrauen durchdrungen ist.
Der Autor Martin Mosebach hat eine interessante Karriere gemacht. Seine ersten Bücher aus den Achtzigerjahren wurden zum Teil heftig verrissen – zu "altväterlich" mutete sein Stil damals an, zu gestrig und zu konservativ.
Aus genau denselben Gründen erlebte er aber seit den neunziger Jahren einen enormen konjunkturellen Aufschwung. Plötzlich galt er als der Autor der Stunde, der an vermeintlich verschüttete bürgerliche Traditionen anknüpfte und eine süffissant-ironische Erzählhaltung kultivierte, die spätestens seit Doderer ausgestorben zu sein schien.
Man sagte ihm nunmehr Eleganz und Leichtigkeit nach. In diesem Jahr wird er 70 und er feiert das mit einem entsprechenden neuen Roman: "Krass" zeigt die großen Linien wieder so auf, wie man das nach einem üppigen Festmahl im Herrenzimmer bei einer Zigarre gemeinhin zu tun pflegt.

Undurchsichtiger Tatmensch

Das Buch ist mindestens so dick und also so stark wie sein Protagonist: Ralph Krass, ein undurchsichtiger Tatmensch, der Nietzsches "Willen zur Macht" leibhaftig verkörpert. Krass ist im obskuren Milieu des internationalen Waffen-, Drogen- und Mädchenhandels tätig und wirkt schon durch seine pure äußere Erscheinung. Ganz in Nietzsches Sinn verleibt er sich die Welt ein, ein starker Geist, dem seine Gefolgsleute bedingungslos ergeben, ja ausgeliefert sind.
Mosebach geht es nicht etwa um eine analytische Durchdringung aktueller Mafiastrukturen, sondern um die faszinierte Darstellung eines dionysischen Charakters. Das hat etwas Zeitloses, und deshalb könnte sein Roman auch gegen Anfang des 20. Jahrhunderts erschienen sein oder in den späten Fünfzigern.
Allein die Erwähnung eines Faxgerätes im Jahr 1988 oder eines Tablets im Jahr 2008 lassen auf gegenwärtige Einflüsse schließen, ebenso das bei Mosebach immer etwas kokett eingesetzte Mobiltelefon.

Das Wesen der Existenz

Der Roman besteht aus drei Teilen, die an äußerst unterschiedlichen Orten spielen: 1988 in Neapel, 1989, in diesem deutschen Epochenjahr, völlig unpolitisch, aber theologisch unterfüttert, an der verregneten französischen Westküste und schließlich 2008 in Kairo. Es geht um nichts Geringeres als das Wesen der Existenz.
In Neapel ist Krass ganz auf der Höhe, ein Jahr darauf erleben wir die tiefe persönliche Krise seines ehemaligen Gehilfen, und 20 Jahre später treffen die Protagonisten noch einmal zufällig im morbid-aufgeheizten Kairo aufeinander. Jetzt aber befindet sich Krass im Sinkflug seines Daseins, und sein ehedem kleiner Diener Jüngel ist immerhin Professor geworden.

Lust an karikaturhafter Zeichnung

Krass, Jüngel – allein die Namen lassen auf eine Thomas Mannsche Lust an karikaturhafter Zeichnung schließen, nicht zuletzt auch Lidewine Schoonemaker, die als das Ewig-Weibliche durch alle Zeiten und Räume des Romans geistert.
Der Autor Mosebach agiert an seinem auktorialen Erzählpult zwar nicht unbedingt immer meisterlich, aber auf jeden Fall oft altmeisterlich – manche Passagen changieren genüsslich zwischen Thomas Mann und Loriot, andere zeigen eher eine Lust zu reaktionären Provokationen, über die man bei einem guten Kognac aber getrost hinweglesen kann.

Martin Mosebach: "Krass"
Rowohlt Verlag, Hamburg 2021
524 Seiten, 25 €

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