Martin Hartmann: "Vertrauen: Die unsichtbare Macht"

Was die Gesellschaft zusammenhält

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"Vertrauen – Die unsichtbare Macht" von Martin Hartmann
Den Begriff des Vertrauens nicht überzustrapazieren, mahnt der Philosoph Martin Hartmann. © S. Fischer Verlag
Von Maike Albath · 28.03.2020
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Wem vertrauen wir: Unserem Partner? Den Virologen? Der Demokratie? Gerade in der Krise ist Vertrauen unter Druck wie nie – und gleichzeitig die Basis von allem. Wie es trotzdem gelingen kann, erklärt Philosoph Martin Hartmann in seinem neuen Buch.
Kaum etwas ist grundlegender für das Funktionieren einer Gesellschaft als Vertrauen. Häufig bemerkt man die Notwendigkeit dieser Komponente erst dann, wenn sie fehlt. Martin Hartmann, Professor für Praktische Philosophie an der Universität Luzern, legt in seinem mit angenehmer Klarheit verfassten Buch "Vertrauen. Die unsichtbare Macht" eine philosophische Reflexion über diesen komplexen Begriff vor.
Als erstes beleuchtet er die viel beschworene "Krise des Vertrauens", die sich am Niedergang der Volksparteien zeigt, an der Skepsis der Demokratie gegenüber und am Einfluss, den offenkundige Lügen gewinnen. Islamistischer Terrorismus, wie wir ihn 2015 bei den Pariser Anschlägen erlebt haben, sei eine Attacke auf das Weltvertrauen, schreibt Hartmann. Auch die Anschläge des NSU haben einen ähnlichen Effekt. Dass es dieses Weltvertrauen überhaupt gibt, zählt er zu den zivilisatorischen Errungenschaften. Terror unterläuft dieses Gefühl: Plötzlich scheint es in bestimmten Konstellationen notwendig zu sein, Misstrauen zu empfinden.

Vertrauen heißt, verletzlich zu sein

Hartmanns Qualität liegt darin, den Begriff des Vertrauens an praktische Erfahrungen rückzubinden und sich nicht auf eine abstrakte Erörterung zu beschränken. Mit einleuchtenden Beispielen verweist der Wissenschaftler darauf, dass wir möglicherweise gar nicht vertrauen möchten.
Die Helikoptereltern trauen ihren Kindern nicht zu, mit den Fährnissen des Alltags zurecht zu kommen, die "Gated Communities" schotten sich vor einer vermeintlich gefährlichen Umwelt ab und schüren so eher Misstrauen. Gleichzeitig wird in zahlreichen wirtschaftlichen Zusammenhängen permanent um unser Vertrauen geworben: Banken, Versicherungen und Firmen fordern es ein. Bei der Finanzkrise seien "Strukturen der Blindheit" ausschlaggebend gewesen.

Der Luzerner Philosoph plädiert dafür, eher von Verlässlichkeit zu sprechen und den Begriff des Vertrauens nicht überzustrapazieren. Zum Beispiel müssen Bürokratien verlässlich funktionieren, um Schutz vor Willkür zu bieten und Freiheitsräume zu schaffen. Der Ökonomisierungsdruck verändere aber die Bedingungen des Vertrauens, so Hartmann. Wenn ausschließlich Effizienz regiere, schade dies vor allem Institutionen, weil Anreize entstehen, Vertrauen zu enttäuschen. Kann Transparenz eine Lösung bieten? Zentral für Hartmanns Argumentation ist die Art und Weise, wie Vertrauen Liebesbeziehungen und Freundschaft grundiert: Vertrauen heißt letztendlich das Zulassen von Verletzlichkeit.

Ohne Vertrauen nicht zu meistern

Gerade bei diesem Buch würde man sich ein zusätzliches Kapitel über die aktuellen Zuspitzungen wünschen, denn wohl kaum eine Situation stellt die "unsichtbare Macht" stärker auf die Probe als die Coronakrise. Ohne das Vertrauen in Virologen, Ärzte, Institutionen, staatlichen Strukturen und letztendlich in die Politik wäre die Lage nicht zu meistern. Wie selten zuvor wird der Sinn von Politik erfahrbar. Vielleicht sind wir jetzt im Kern dessen angekommen, was Vertrauen ausmacht.

Martin Hartmann: "Vertrauen. Die unsichtbare Macht"
S. Fischer Verlag, 2020
202 Seiten, 22 Euro

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