Martin Amis: "Inside Story"

Nicht mehr auf Krawall gebürstet

06:31 Minuten
Cover des Buches "Inside Story" des britischen Autors Martin Amis. Auf der Autobiografie ist ein Foto des Autors in jüngeren Jahren zu sehen, er schaut leicht zur Seite. In der unteren Hälfte steht in großen roten Buchstaben der Titel.
© Kein & Aber

Martin Amis

Aus dem Englischen von Eike Schönfeld

Inside StoryKein und Aber, Zürich 2022

659 Seiten

30,00 Euro

Von Johannes Kaiser · 14.12.2022
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Martin Amis, Enfant terrible der britischen Literatur, hat nie ein Blatt vor den Mund genommen, sich nie gescheut, verletzende Wahrheiten auszusprechen. Jetzt hat er eine zweite Autobiografie vorgelegt. Im Mittelpunkt stehen die Themen Sex und Tod.
Es ist nicht die erste Autobiografie, die Martin Amis vorlegt, allerdings auch keine Fortführung. Das Buch ist eine Art Memento mori, ein Klagegesang. Wortreich und wortgewaltig verabschiedet sich Martin Amis nicht nur von seiner ersten großen Liebe, sondern auch vom verstorbenen Vater, vom jüdischen Schriftstellerfreund und vom besten Freund.
Zwei Themen stehen im Mittelpunkt des mit über 650 Seiten umfangreichen Buches: Sex und Tod. Beides kennt man bereits aus seinen Romanen und nie ist er damit zimperlich umgegangen. Doch mit siebzig ist Amis milder geworden, nicht mehr auf Krawall gebürstet.

Erinnerungen an seine intensive Liebe Phoebe

Allerdings scheint er weiterhin sexversessen, das heißt, er kommt ständig auf sein und das Sexleben seiner Hauptprotagonisten zu sprechen, aber im Unterschied zu seinen Romanen ist er dezent. Der erste Teil seiner Erinnerungen ist Phoebe gewidmet, seiner ersten intensiven, sexuell gierigen Liebe. Es ist durchaus amüsant, wie er seiner damaligen Triebhaftigkeit nachspürt.

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Über die beiden Ehefrauen, die nach ihr kommen, verliert Amis in dieser Hinsicht so gut wie kein Wort. Vielleicht weil sie noch leben, denn Details des Geschlechtslebens seiner anderen Protagonisten hat er jetzt nach deren Tod enthüllt. Das betrifft seinen Vater Kingsley Amis ebenso wie seinen amerikanischen Mentor Saul Bellow und seinen engsten Freund, den in England und den USA damals sehr prominenten Journalisten und Essayisten Christopher Hitchens. Deren Sterben nimmt im Buch mindestens genauso viel Platz ein wie der Sex.
Der Tod, sonst in seinen Romanen eher brutal, pervers, schockierend, abstoßend, kommt diesmal als verwundertes, verzweifeltes, ungläubiges Abschiednehmen. Es ist beeindruckend, wie er das langsame Erlöschen des Erinnerungsvermögens seines Zweitvaters Saul Bellow zu akzeptieren versucht. Noch dramatischer der lange Kampf seines engsten Freundes gegen den Krebs, dessen allmählicher körperlicher Verfall die geistige Klarheit nie trübt.

Fußnoten stören den Erzählfluss

Ärgerlich ist, dass er den Lesefluss immer wieder durch zahlreiche, ellenlange Fußnoten unterbricht, sodass man Mühe hat, in die Erzählung zurückzufinden. Irritierend ist auch, dass er einen imaginären, ihm gegenüber sitzenden Leser wiederholt über Sprache, Stil, Struktur, Wortwahl und Satzbau aufklärt, so, als wolle der Schriftsteller werden.
Das ist eitel und selbstverliebt, oftmals langatmig und langweilig.

Was ist fiktiv?

Amis nennt seine Erinnerungen durchgängig Roman, obwohl er mehrfach darauf hinweist, dass alle erwähnten Personen tatsächlich existiert haben. Es gibt sogar Fotos von ihnen. Was also ist fiktiv, außer der Tatsache, dass Erinnerungen immer subjektiv, einseitig, unvollständig sind?
So bleibt eine gemischte Bilanz. Die Geschichten sind oftmals so erheiternd und ironisch wie gefühlvoll und verständnisvoll gegenüber menschlichen Schwächen. Hier zeigt sich ein altersweiser Schriftsteller, der allerdings nie um kräftige Seitenhiebe verlegen ist.
Es ist ein tiefer Blick in die Existenz eines sehr erfolgreichen, viel gelobten und viel geschmähten Stars der angloamerikanischen Literaturwelt.
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