Marte Huke: "Delta"

Die Sprache der Landschaft

06:15 Minuten
Das Cover zu Marte Hukes "Delta" vor einem orangenen Hintergrund
Marte Huke erschafft in "Delta" eine Welt aus Eis und Schnee. © Edition Rugerup/ Deutschlandradio
Von Nico Bleutge · 15.01.2020
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Die norwegische Dichtern Marte Huke verbindet in "Delta" Landschaftsbeobachtungen und naturwissenschaftliche Sprache. Ihre Prosagedichte bringen die kleinsten inneren Regungen und Verschiebungen der äußeren Welt zusammen.
In diesen Gedichten kann der Schnee wie eine Bibliothek erscheinen. Zugleich erinnert das sprechende Ich an ein Gelände, durch das sich die Fährten vergangener Lieben ziehen. Marte Huke, 1974 in der Nähe von Oslo geboren, ist eine Dichterin der Landschaft. Mit ihrer kühlen, ruhigen Sprache bringt sie kleinste innere Regungen und Verschiebungen in der äußeren Welt zusammen: Lichtreflexe sind hier genauso zu sehen wie Spiegelungen auf dem Wasser. Vier Gedichtbände und einen Roman hat sie der Suche nach den Jahreszeiten und der Geschichte der Natur bereits gewidmet.
"Delta" heißt Hukes Debütband, der in Norwegen 2002 erschienen ist. Lange Zeit, notiert sie in einem kleinen Kommentar zu ihren Gedichten, habe sie in Bibliotheken nach den passenden Wörtern gesucht, sich durch Regale voller Belletristik und Fachliteratur gearbeitet. Irgendwann stieß sie auf ein Lehrbuch über Landschaftsformen. Die wissenschaftliche Sprache – naturgeographische Beschreibungen, Tabellen – habe sofort gezündet. Und sich mit Gedanken über eine Sprache der Liebe verknüpft: "Ich wollte herausfinden, was passiert, wenn zwei so unterschiedliche Sprachstile aufeinandertreffen."

Huke fasst Kraft der Natur in Worte

Das Nachdenken über die Sprache führte sie wieder zurück zu szenischen Ideen und Figuren, bis sich beide Sphären ganz und gar verbinden wollten. Wörter wie "ich" und "du" schienen geradezu ein Eigenleben zu entwickeln. Das Umherstreifen im Gelände ist so immer auch eine Reflexion über das Schreiben. Das Wasser zeichnet sich ins Gelände ein. Aber es ist auch die Sprache, die hier ihre Spuren hinterlässt. Huke wiederholt einzelne Wörter und schließt sie mit der gefundenen naturwissenschaftlichen Sprache kurz.
Von einer Liebesbeziehung zu sprechen, wäre schon zu viel Deutung. Auch soll in diesem Buch nichts erzählt werden. Wir sehen ein Haus an einem Fluss. Und ein Ich, das beweglich ist, dessen Konturen verschwimmen und für Momente wieder deutlich sichtbar werden. Wie sein Gegenüber, ein geliebtes Du, mit dem das Ich sich auf kleinen Inseln trifft und versucht, von hier nach dort zu gelangen. Der Fluss bewegt sich derweil durch die Zeit, führt Dinge mit sich, die sich im Flussdelta ablagern. Alles ist offen, vielfältig lesbar, und die Kräfte der Natur treten ebenso hervor wie die Klangfächer der Wörter.

Prosagedichte mit ganz eigenem Satzrhythmus

Manchmal ziehen die Texte Schleifen oder erinnern an Mäander, das Wasser staut sich, dann wieder stürzt es in die Tiefe. So gelingt es Marte Huke, ihren Prosagedichten einen ganz eigenen Satzrhythmus einzuschreiben. Betty Wahl und Uwe Englert haben ihn in ihrer Übersetzung sehr schön nachgeformt. Mitunter bildet er ein Pendant zu "Schneeschmelz-Augen" und zur "weißen Haut" der leeren Seiten. An einigen Stellen beseelt Huke die Natur ein wenig zu deutlich. Trotzdem ist man als Leser in dieser Welt aus Eis und Schnee immer wieder sehr gerne unterwegs.

Marte Huke: "Delta"
Aus dem Norwegischen von Betty Wahl und Uwe Englert
Edition Rugerup, Berlin 2019
78 Seiten, 16,90 Euro

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