Marschiert zu Guttenberg in die richtige Richtung?

Von Helmut Michelis, Rheinische Post · 28.08.2010
Links und rechts vermintes Gelände, vorn dichter Nebel – "Abteilung halt!" möchte man in lautem Kommandoton dem Verteidigungsminister zurufen, der gerade schneidig mit der Bundeswehr in die wohl größte Reform ihrer Geschichte marschiert.
Es muss sich zwar dringend etwas ändern bei den deutschen Streitkräften: Ihre Struktur ist überholt und passt nicht zu den neuen Anforderungen. Doch Guttenbergs Kurs bedarf der Korrektur: Der Vorwurf, es werde nun Sicherheitspolitik vorrangig nach Kassenlage betrieben, ist leider so einfach nicht zu entkräften.

Die entscheidende Frage, wozu wir denn überhaupt Militär benötigen, hat bisher niemand zufriedenstellend beantwortet. Wer die Truppe allein auf ihren Afghanistan-Einsatz fokussiert, denkt schlicht fahrlässig. Es geht um Deutschlands, Europas Sicherheit auch in 10, 20 vielleicht sogar 30 Jahren. Wie sieht unsere sich immer schneller drehende Welt dann wohl aus?

Allerdings verdient die Vorgehensweise des Bundesverteidigungsministers allen Respekt: Karl-Theodor zu Guttenberg nutzt den Milliarden-Spardruck, den längst überfälligen Umbau der Streitkräfte endlich voranzutreiben. Geschickt lotet der CSU-Politiker Widerstände aus und stößt selbst bei der Abschaffung der Wehrpflicht - behutsam als Aussetzung derselben bezeichnet - auf weniger Protest, als eigentlich zu erwarten gewesen wäre.

Dabei nutzt dem Minister das breite Desinteresse der Deutschen an ihrer Bundeswehr: Ob die Armee der Zukunft zum Beispiel noch 350 oder nur 150 Kampfpanzer besitzen wird, das interessiert lediglich wenige Experten. Wohl deshalb bewegen sich auch CDU und CSU auf Schlingerkurs, obwohl sie speziell die Wehrpflicht doch immer als unantastbar bezeichnet hatten.

Ebenso nutzt alles Lamentieren nichts, dass man die Wehrpflicht durch ihre Verkürzung auf einen sechsmonatigen "Schnupperkurs Soldat" und eine ungerechte Einberufungspraxis doch ganz bewusst ruiniert hätte. Tatsache ist: Wehrdienstleistende sind im Ausland schon wegen gesetzlicher Barrieren nicht einsetzbar. Und selbst wenn man die Wehrpflicht wegdenken würde, wäre die Bundeswehr unsichtbar gespalten: Wegen der veralteten Strukturen gehen nur etwa 10.000 Frauen und Männer von mehr als 250.000 regelmäßig in Auslandseinsätze.

Dazu kommen handfeste Rüstungsskandale. Fast alle Großvorhaben funktionieren nicht – wie der Airbus-Militärtransporter, der immer teurer wird und viel zu spät kommt. Hier wird Geld blockiert, das anderswo dringend gebraucht wird. Es ist schon erschreckend, dass Menschenleben gefährdet werden, nur weil Soldaten in der Heimat aus Kostengründen nicht an dem modernen Gerät ausgebildet werden können, das sie im Einsatz zu bedienen haben.

Die Erhöhung der Effektivität der Bundeswehr kann indes nur ein Schritt sein. Der wichtigere ist die sicherheitspolitische Analyse, bitte ohne Scheuklappen! Wer garantiert eigentlich, dass es künftig zu keiner neuen Ost-West-Konfrontation kommt, die Nato-Mitglieder wie Polen, Norwegen oder die baltischen Staaten in Angst versetzt? Russlands gegenwärtige militärische Muskelspiele an der Nato-Nordostflanke erfordern auch Reaktionen des Bündnispartners Deutschland.

Und was ist mit der unheimlichen Führung in Teheran, die der Atombombe bedrohlich näher kommt? Konventionell ist der Iran ebenfalls hoch gerüstet – braucht die Bundeswehr in ihrer Rolle als Nato-Partner wirklich keine breiter aufgestellte Flugabwehr mehr? Und wie ist es mit der Piraterie und sicheren Handelswegen? Und bleiben die afrikanischen Staaten am Mittelmeer auf Dauer stabil genug, um eine Massenflucht nach Europa zu verhindern?

Sollte die Bundeswehr nicht auch die wesentliche Stütze in der Katastrophenhilfe bleiben, die sie bei der Oder-Flut gewesen ist? Haiti und Pakistan zeigen, was uns da noch drohen könnte. Wir alle sollten uns fragen, was uns unsere Sicherheit wert ist. Besteht darüber Einigkeit, marschiert Karl-Theodor zu Guttenberg in die richtige Richtung.
Mehr zum Thema