"Kleiner und effektiver, das halte ich für notwendig"

Karl von Wogau im Gespräch mit Nana Brink · 26.08.2010
Der Generalsekretär der European Security Foundation, Karl von Wogau, sieht die Möglichkeit, durch die Abschaffung der Wehrpflicht in Deutschland effizientere Strukturen in der Bundeswehr zu schaffen und damit Kosten zu sparen.
Nana Brink: Die Bundeswehr steht vor der größten Reform ihrer Geschichte. Anfang der Woche hat Verteidigungsminister zu Guttenberg seine Pläne öffentlich gemacht: Er will die Truppe um ein Drittel verkleinern. Am Ende käme die Bundeswehr auf rund 165.000 inklusive 7500 freiwillig Wehrdienstleistender. Heikles Thema der Reform: Die Wehrpflicht soll ausgesetzt werden. Und im Raum steht auch die Frage: Kann Deutschland mit einer verkleinerten Bundeswehr seinen internationalen Bündnisverpflichtungen nachkommen?

Und genau über diese Fragen möchte ich jetzt sprechen mit Karl von Wogau, bis 2009 Mitglied des Europäischen Parlaments und jetzt Generalsekretär der European Security Foundation, einer Organisation, die sich um europäische Sicherheitspolitik bemüht. Einen schönen guten Morgen, Herr von Wogau!

Karl von Wogau: Guten Morgen, Frau Brink!

Brink: Blickt man nach Europa, ist die Wehrpflicht ein Auslaufmodell. Ist es also richtig, dass sie auch in Deutschland zumindest ausgesetzt wird?

von Wogau: Es ist so, dass es in 27 Ländern der Europäischen Gemeinschaft noch in sechs Ländern die Wehrpflicht gibt, die übrigen haben sie abgeschafft. Aber ich habe mich in den letzten Tagen so etwas umgehört: In denjenigen Ländern, die die Wehrpflicht abgeschafft haben in der letzten Zeit – in Frankreich, in Großbritannien, in anderen Ländern –, und das, was man hört, ist Folgendes: Also einmal eine Effizienzsteigerung durch die Berufsarmee, das findet statt. Unter Umständen kann man auch Kosten senken, wenn man gleichzeitig die Anzahl der Soldaten vermindert. Das Problem, von dem überall gesprochen wird, das ist die Tatsache, dass die Verankerung der Armee in der Gesellschaft, dass sie eben ganz einfach schwächer wird. Und da sollten wir sehen, wenn wir uns dazu entschließen, dass wir von Fehlern lernen, die da in anderen Ländern gemacht worden sind.

Brink: Was sind denn die Fehler, was hören Sie davon?

von Wogau: Also ich höre ganz einfach, dass es keinen Ersatz dafür gibt, dass die jeweilige Armee des jeweiligen Landes stärker verankert wird, dass also gesprochen wird, dass Organisationen aufgebaut werden, auch die Rekrutierung, beispielsweise in Belgien findet man überhaupt keine Soldaten mehr, da gibt es nur noch Unteroffiziere und Offiziere, aber es gibt keine Soldaten mehr, also lauter Häuptlinge, keine Indianer mehr. Diese Probleme, auf die muss man sich frühzeitig einstellen.

Brink: Das spricht ja ein bisschen dagegen, was der Verteidigungsminister gesagt hat, der nämlich gesagt hat, die Bundeswehr schrumpft zwar um ein Drittel, aber sie soll kleiner, effektiver und moderner werden. Ist denn das realistisch?

von Wogau: Kleiner und effektiver, das halte ich für notwendig, also insgesamt in der ganzen Europäischen Union. In der Europäischen Union gibt es zwei Millionen Soldaten, und wir geben 200 Milliarden für Verteidigung aus. Und man hat den Eindruck, dass dieses Geld besser ausgegeben werden könnte, dass man für das gleiche Geld mehr Sicherheit bekommen kann, wenn man mehr Dinge gemeinsam macht.

Brink: Der Verteidigungsminister hat ja versichert, auch eine kleinere Bundeswehr ist in der Lage, das zu leisten, was sie leisten muss, also ich spreche jetzt die Auslandseinsätze an. Sehen wir uns in Europa um: Deutschland ist das einwohnerstärkste Land mit der daran verglichen kleinsten Armee. Kommt Deutschland seinen Verpflichtungen noch nach?

von Wogau: Also ich glaube durchaus, dass es möglich ist, auch mit einer verkleinerten Armee diesen Verpflichtungen nachzukommen. Ich sehe das mal aus dem europäischen Blickwinkel. Ich habe vorhin gesagt, es gibt zwei Millionen Soldaten in Europa. Die Amerikaner haben 1,2 Millionen Soldaten, aber trotzdem wird jeder sagen, dass ein amerikanischer Verteidigungsbeitrag effektiver ist als das, was in Europa geleistet wird. Bei uns in Europa kommt es in erster Linie darauf an, die Effizienz zu steigern, und die Effizienz kann man auch dadurch steigern, dass man mehr zusammenarbeitet, als das in der Vergangenheit der Fall gewesen ist.

Brink: Also Sie haben jetzt die schieren Zahlen genannt, es gibt ja auch schon Kooperationen, es gibt ein deutsch-französisches Korps, aber eigentlich arbeiten die Armeen ja nicht wirklich zusammen.

von Wogau: Es gibt im Bereich der Ausrüstung schon Anfänge von einer stärkeren Zusammenarbeit. Aber ich will Ihnen mal ein Beispiel nennen: Die Helikopter bei allen Friedenseinsätzen der Europäischen Union, also bei Militäreinsätzen, aber auch bei den militärischen Einsätzen im Kongo, dem Tschad, was man da braucht, das sind Helikopter. Und für den Friedenseinsatz im Tschad brauchten die Europäer vier weitere Helikopter, es war nicht möglich, die in Europa zu finden, die waren alle anderweitig beschäftigt. Also ich glaube, man muss stärker als in der Vergangenheit sich aufstellen auf die Bedürfnisse, die tatsächlich bestehen – bei den Einsätzen, beispielsweise humanitäre Einsätze, Katastrophenhilfe, dann aber auch die militärischen Einsätze im Tschad oder am Horn von Afrika unter Führung der Europäischen Union.

Brink: Aber das bedeutet ja genau das, was immer kritisiert wird, nämlich einen europäischen Aufwand, europäische Bemühungen, und das findet ja nicht statt. Muss es dann so etwas geben wie eine Europaarmee?

von Wogau: Also es gibt zunächst einmal … was zunächst einmal notwendig ist, das ist eine engere Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedsländern der Europäischen Union. Und insbesondere da, wo die Ausrüstung besonders teuer ist, wo sie mit dem Weltraum, wo sie mit Satelliten beispielsweise zusammenhängt, wo es unsinnig ist, dass die einzelnen Länder das immer wieder separat tun. Hier gibt es Ansätze, aber diese Ansätze müssen verstärkt werden.

Brink: Sehen Sie denn Chancen, dass dies passiert in den nächsten zehn, 20 Jahren?

von Wogau: Ja, ich glaube, da gibt es also zwei Verbündete: Das eine sind die Bürger die Europäischen Union, die sagen… also wenn Sie fragen, was sollte die Europäische Union eigentlich tun, dann ist Sicherheit und Verteidigung steht dann ganz oben, weil die Menschen bringen Europa mit ihrer Sicherheit in Verbindung. Und der zweite starke Verbündete, das sind die leeren Kassen. Man kann sich das … die einzelnen Länder können sich diese Dinge gar nicht mehr leisten, sie jeweils 27 Mal separat zu tun, also die leeren Kassen sind ebenfalls ein starker Verbündeter, und deswegen glaube ich, dass da durchaus gute Chancen bestehen weiterzukommen.

Brink: Karl von Wogau, Sicherheitsexperte und bis 2009 Mitglied des Europäischen Parlaments. Und wir sprachen über die anstehende Reform der Bundeswehr und die künftigen Bündnisverpflichtungen. Vielen Dank für das Gespräch, Herr von Wogau!

von Wogau: Gern geschehen, Frau Brink!
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