Marlies van der Wel: "Seesucht"

Jonas und das Meer

06:34 Minuten
Das Cover des Buchs "Seesucht" von Marlies van der Wel auf pastell farbenen Hintergrund.
Traumhaft schön sind Marlies van der Wels Bilder zu Jonas' Vision vom Leben im Wasser. © Cover: mixtvision Mediengesellschaft/Deutschlandradio
Von Sylvia Schwab · 16.03.2021
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2016 präsentierte Marlies van der Wel auf der Berlinale ihren Animationsfilm "Jonas and the Sea". Er wurde mehrfach ausgezeichnet. Jetzt ist das dazu passende Bilderbuch "Seesucht" auf Deutsch erschienen – und auch das ist preisverdächtig.
Wir tauchen in dieses Bilderbuch ein wie der kleine Jonas ins Meer. Von dem Moment an, als er das Meer zum ersten Mal sieht, will er nur noch im Wasser leben; tauchen und schwimmen, gleiten und schweben wie ein Fisch.
Jonas baut deswegen sein ganzes Leben lang aus Strandgut Tauchapparate und Unterwasserfahrzeuge. Immer bizarrer werden sie, ähneln anfangs einem Fass, dann einer Rakete, schließlich einem riesigen, fischartigen Ungetüm aus blinkendem Technik-Schrott.
Mit diesem kolossalen Fisch geht der achtzigjährige, bärtige alte Mann dann endlich auf seine Unter-Wasser-Reise.

"Mitten im Meer. Für immer."

"Seesucht" weckt schon beim Betrachten Sehnsucht nach dem Meer. Anspielungsreich heißt der Junge Jonas, sein biblischer Vorfahre hatte ja auch spezielle Erfahrungen mit dem Meer und einem Fisch gemacht.
Der Bilderbuch-Jonas von Marlies van der Wel, den wir als Zweijährigen, Achtjährigen, 18jährigen und 80jährigen mit seinen Tauch-Konstruktionen erleben, hält sein Leben lang an seinem Traum fest.
Jeder Rückschlag spornt ihn zu einem neuen Versuch an, aufgeben ist keine Option. Bis er als alter Mann sein Ziel erreicht und auf große Fahrt geht: "Mitten im Meer. Für immer."

Traumhaftschöne Bilder

Traumhaft schön sind Marlies van der Wels Bilder zu Jonas' Vision vom Leben im Wasser. Das Meer ist endlos und changiert leuchtend in allen Grün-Türkis-Blau-Tönen. Ein weiter Himmel spannt sich hell und licht darüber. Viele Doppelseiten schwelgen in Farbe, andere spielen effektvoll mit Licht und Schatten, Hell und Dunkel.
Wie in Aquarelltechnik gemalt fließen die Farben von Strand, Himmel, Wasser und Wolken ineinander, Schiffe und Häuser dagegen sind scharf konturiert. Die wenigen Menschen wirken - bis auf Jonas - in ihren merkwürdigen schwarzen Kutten wie fremdartige Zauberer oder Mönche.
Von zentraler Bedeutung für die Geschichte sind die Bilder, der ganz sparsame, fein gesetzte Text schmiegt sich ihnen förmlich an.

Mehr als ein Bilderbuch

"Seesucht" ist mehr als ein Bilderbuch, es ist eine Parabel über den Sinn des Lebens, über das Glück und das Altwerden. Das Ende bleibt offen, vielleicht ist Jonas' letzte Fahrt auch nur ein Traum. Denn wirklich schwimmtauglich wirkt die monumentale Fischinstallation nicht.
Zudem lässt er sie nicht zu Wasser, sondern das Wasser "steigt und steigt", hoch zu ihm. Wie eine Sintflut, die schließlich alles Land überschwemmt.
Dass "Seesucht" ursprünglich als Film konzipiert und auch verwirklicht wurde, spürt man nicht. Marlies van der Wels Bilder sind zwar dem Film entnommen oder zumindest sehr ähnlich, aber so malerisch komponiert, dass man den Eindruck eines ganz eigenständigen Kunstwerks hat.
Trotzdem bzw. gerade deshalb ist es auch total interessant, sich den Film mit seinen spaßig-spielerischen Animationen anzusehen. Sollte - wegen der schönen Farben und der leicht melancholischen Geschichte - jemals irgendwo ein Kitsch-Verdacht auftauchen, so ist der vollkommen unbegründet. Auch darum, weil viele Bildideen einen leisen, feinen Witz in sich tragen - das lebensfrohe Augenzwinkern einer echten Künstlerin.

Marlies van der Wel: "Seesucht"
Aus dem Niederländischen von Birgit Erdmann
Mixvision / München
80 Seiten, 20 Euro
ab 3 Jahren

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