Markus Albers: "Digitale Erschöpfung"

"Papa, was war denn Feierabend?"

Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Wie gewinnen wir bei zunehmender Digitalisierung der Arbeitswelt die Kontrolle über unser Leben zurück, fragt der Journalist Markus Albers. © Foto: imago / Coverabbildung: Hanser-Verlag
Markus Albers im Gespräch mit Christian Rabhansl · 16.09.2017
Seine Kinder würden ihn bestimmt einmal später fragen, was denn ein Feierabend gewesen sei, sagt der Journalist Markus Albers. Der einstige Verfechter der mobilen, flexiblen digitalen Arbeitswelt hat sich inzwischen zu einem ihrer Kritiker entwickelt.
Arbeiten, wo und wann man will. Ursprünglich gehörte der Autor und Journalist Markus Albers zu denen, die die schöne, neue, digitale Arbeitswelt begrüßten: ohne den immer gleichen Trott, ohne feste Zeiten. "Das ist ja erst mal ein ganz, ganz schönes Versprechen, das da drin steckt und das für die meisten Menschen inzwischen auch eingetreten ist", so Albers im Deutschlandfunk Kultur.

Statt an den Schreibtisch ans Mobilgerät gekettet

Inzwischen hat Albers seine Meinung geändert - eine, wie er sagt, durchaus erschreckende Erkenntnis: "Wir haben die Ketten an dem Schreibtisch abgeworfen und uns dann nur längere Ketten angelegt und sind jetzt eben an die Bildschirme gekettet, und das ist vielleicht schlimmer", so der Journalist. "Ich sage auch immer so halb im Scherz, dass wenn meine Töchter, die noch klein sind, dann irgendwann mal arbeiten werden, werden die mich fragen, Papa, was war das mal, Feierabend. Der ist ja heute eigentlich schon tot, dieses Konzept, dass man irgendwann das Büro verlässt und dann nicht mehr arbeitet. Die Arbeit sickert gerade in den allerletzten Lebensbereichen auch rein."
Ein Zurück zum alten Nine-to-Five-Arbeitstag gebe es nicht, meint Albers. "Die große Frage ist aber aus meiner Sicht, wie wir das so machen, dass wir dabei nicht kaputtgehen." Eine gesetzliche Regelung wie etwa in Frankreich, dass Arbeitnehmer nach Feierabend nicht mehr erreichbar sein müssen, hilft seiner Ansicht nach wenig: "Gesetzgebung wird immer der technischen Entwicklung hinterherlaufen, und ich glaube, dass da nicht die Lösung liegt."
(uko)

Markus Albers: "Digitale Erschöpfung. Wie wir die Kontrolle über unser Leben wiedergewinnen"
Hanser-Verlag 2017
288 Seiten, 22 Euro


Das Interview im Wortlaut:
Christian Rabhansl: Morgens, der erste Griff, der gilt der Espressomaschine, der zweite dann dem Smartphone. Schnell mal checken, welche Nachrichten so über Nacht gekommen sind, dann die Brote für die Tochter schmieren, gleichzeitig ein paar berufliche E-Mails beantworten, schnell zur Schule, dann ins Büro. Da sind eine Menge Meetings, viele E-Mails, WhatsApp-Nachrichten. Alles schön via Slack koordinieren, und dazwischen immer noch mit zwei elektronischen Kalendern hantieren. Nachmittags dämmert dann langsam die Erkenntnis, dass diese ganzen digitalen Werkzeuge eigentlich alles nur noch schlimmer machen, und abends, wenn man dann die Tochter abholt, dann guckt die genervt, weil man dabei schon wieder aufs Smartphone guckt.
So schildert Markus Albers seinen Tagesablauf in dem Buch "Die digitale Erschöpfung", und das dürfte vielen wahrscheinlich bekannt vorkommen, bis hin zu der Frage um 23:30 Uhr, verdammt noch mal, warum bin ich eigentlich immer noch online. Bei dieser ganzen Sache hilft vielleicht der Untertitel des Buches: "Wie wir die Kontrolle über unser Leben wiedergewinnen", und damit er uns allen helfen kann, habe ich Markus Albers in die "Lesart" eingeladen. Guten Tag!
Markus Albers: Hallo, guten Tag!

"Eine durchaus erschreckende Erkenntnis"

Rabhansl: Vor der Besserung kommt aber erst mal die Diagnose. Sie waren ja eigentlich immer ein Verfechter dieser neuen digitalen Arbeitswelt vor neun Jahren. Ihr Buch, das hatte den Titel "Morgen komm ich später rein: Für mehr Freiheit in der Festanstellung". Jetzt ist diese ganze große Freiheit da, Sie sind aber auch nicht zufrieden. Wann ist Ihnen denn jenseits dieses persönlichen Tagesablaufs gedämmert, dass diese neue Arbeitswelt nicht die ist, die Sie da vor Augen hatten?
Albers: Zunächst mal war das ja eine durchaus auch erschreckende Erkenntnis, dass das, was ich, aber auch ja viele andere da sich erhofft haben, das Emanzipationspotenzial, hat man oft gesagt, das im neuen Arbeiten steckt – also wir können dann überall arbeiten, wo wir wollen, wir müssen nicht mehr den ganzen Tag im Büro sitzen, am immer gleichen Schreibtisch, im immer gleichen Trott und so weiter –, das ist ja erst mal ein ganz, ganz schönes Versprechen, das da drin steckt und das für die meisten Menschen inzwischen auch eingetreten ist. Seit letztem Jahr arbeitet die Mehrheit aller Deutschen, auch teilweise zumindest, so mobil und flexibel, aber die Schattenseite ist, wir haben die Ketten an dem Schreibtisch abgeworfen und uns dann nur längere Ketten angelegt und sind jetzt eben an die Bildschirme gekettet, und das ist vielleicht schlimmer.
Rabhansl: Die Nine-to-Five-Anwesenheitspflicht ist eigentlich zu einer allgegenwärtigen Onlineanwesenheitspflicht geworden.
Albers: Ja, ich sage auch immer so halb im Scherz, dass wenn meine Töchter, die noch klein sind, dann irgendwann mal arbeiten werden, werden die mich fragen, Papa, was war das mal, Feierabend. Der ist ja heute eigentlich schon tot, dieses Konzept, dass man irgendwann das Büro verlässt und dann nicht mehr arbeitet. Die Arbeit sickert gerade in den allerletzten Lebensbereichen auch rein.

Produktivitätsgewinne? Nicht belegbar

Rabhansl: Was können wir da tun?
Albers: Na ja, man muss halt zunächst mal erkennen, dass es so ist, denn was gerade passiert ist, dass ganz viele, auch gerade große deutsche Unternehmen – Daimler, Bosch, Siemens, Lufthansa, Henkel und wie sie alle heißen – anfangen, diese neuen Arbeitswelten überhaupt erst einzuführen. Das heißt, die führen einerseits digitale Tools ein – man nennt das ja auch so Kollaborationsplattformen. Also da ist dann die Hoffnung, dass man weniger E-Mails schickt, aber in Wahrheit muss man eben dann eigentlich noch mehr Nachrichten der Kollegen die ganze Zeit in Echtzeit monitoren. Das wird gerade erst eingeführt in sehr vielen deutschen Unternehmen. Der Mittelstand zieht dann bestimmt nach. Gleichzeitig – zweite Änderung, die passiert ist –, es werden ganz viele Wände rausgerissen, weil Kollaboration ist ja gut, also soll man dann auch im Büro mehr mit den Kollegen reden.
Rabhansl: Also auch die physischen Wände meinen Sie, die Großraumbüros?
Albers: Ich meine tatsächlich die physischen Wände. Da hat man hinterher Großraumbüros, und dann hat man eben beides: Man hat so die digitalen Tools, die einen die ganze Zeit nicht mehr loslassen und hat aber im Büro eigentlich auch keine Ruhe, und das kann dann nicht im Sinne des Erfinders sein.
Rabhansl: Das tut uns Menschen nicht unbedingt gut, aber ist es denn für die Wirtschaft nützlich? Ist denn das große Versprechen, wir werden alle kreativer und effizienter und besser für die Unternehmen, ist das denn eingetreten?
Albers: Das ist durchaus umstritten. Also die Produktivitätsgewinne, die da drin stecken sollen in diesem neuen Arbeiten, haben sich bisher so nicht bewahrheitet, sind nicht belegbar. Was man hingegen belegen kann ist, dass die moderne Wissensarbeit, und dazu gehören ja alle, die so mit dem Kopf und dem Computer arbeiten, etwa die Hälfte aller Deutschen, 75 Prozent seinerzeit im Büro, inzwischen, und auch zu Hause inzwischen, verbringt mit Telkos, mit Meetings, mit E-Mails, mit Chat und so weiter. Das heißt, ich habe eigentlich nur noch 25 Prozent meiner Zeit, um meine Arbeit zu machen, und das kann auch aus Arbeitgebersicht so nicht richtig sein.

Kein Zurück zum Nine-to-Five-Arbeitstag

Rabhansl: Dieses Hineinsickern der Arbeit in unsere gesamten Lebensbereiche, das haben trotzdem manche dieser großen Konzerne, von denen Sie gesprochen haben, schon erkannt. Also VW oder Daimler sind so zwei Beispiele, die haben so Lösungen wie zum Beispiel, dass nach Feierabend der dienstliche E-Mail-Account nicht mehr funktioniert oder dass im Urlaub einfach alles automatisch in den Papierkorb wandert. Davon halten Sie aber auch nichts, lese ich bei Ihnen. Warum nicht?
Albers: Nee, genau. Ich glaube nämlich, dass so patriarchalische Lösungen nicht funktionieren werden. Also, wenn eben Volkswagen um 18 Uhr die E-Mail-Server ausstellt, dann weiß ich von Volkswagen-Mitarbeitern – das gilt bestimmt auch für andere Unternehmen –, dass die einfach auf ihre privaten E-Mail-Accounts umschalten und weiterarbeiten, denn wir leben ja nun mal in einer globalisierten Wirtschaft. Da sind dann die Kollegen aus den USA vielleicht gerade erst aufgewacht, und ich muss mit denen auch kommunizieren können. Also nicht falsch verstehen. Ich will da nicht das Rad zurückdrehen, ich bin auch kein Maschinenstürmer. Ich glaube, dass wir in dieser neuen digitalen Arbeitswelt gerade erst anfangen zu leben, und das wird alles noch sehr viel mehr werden, und das ist erst mal auch richtig so. Man will ja nicht mehr zurück in diesen Nine-to-Five-Arbeitstag. Das geht ja auch alles gar nicht. Die große Frage ist aber aus meiner Sicht, wie wir das so machen, dass wir dabei nicht kaputtgehen.
Rabhansl: Werden wir konkret: Sie haben Empfehlungen wie zum Beispiel, Firmen sollten nicht belohnen, wer als letzter das Licht ausmacht, sondern die Mitarbeiter belohnen, wenn sie clevere Wege finden, die Arbeit zu erleichtern. Sagen Sie mal ein paar Beispiele. Was empfehlen Sie Unternehmen?
Albers: Genau. Also was kann zum Beispiel machen. Ich glaube an kleine Absprachen in Teams. Ich glaube, dass man beispielsweise sagen kann, wir schicken uns am Wochenende Nachrichten oder E-Mails – das ist in Ordnung, das zu tun –, aber es kann keiner erwarten, dass die auch beantwortet werden. Wenn man so eine Regel mal hat, dann wissen alle, woran sie sind.

Maker und Manager haben unterschiedliche Bedürfnisse

Rabhansl: Ist das nicht bloße Theorie? Der Chef schickt eine E-Mail und sagt, du musst auch nicht antworten, aber ich fühle mich doch trotzdem genötigt zu antworten.
Albers: Ja eben nicht, wenn der Chef das einmal so gesagt hat. Wenn der Chef sagt, vielleicht möchte ich gerne am Wochende …
Rabhansl: Das sagen Sie als Chef.
Albers: Nein, aber im Ernst: Man könnte es jetzt so ein bisschen hochgestochen Kulturtechniken nennen. Man braucht aber vielleicht eben einfach Absprachen – in Familien, in Firmen, in Unternehmen. Eine zweite Sache, die ich sehr empfehle, da gibt es die interessante Unterscheidung, die von einem Experten namens Paul Graham aufgemacht wurde zwischen dem Kalender eines Makers und eines Managers. Der Manager hat einen Kalender, der sieht aus wie ein Flickenteppich, also ganz viel kurze, hier eine halbe Stunde, da eine Stunde, so ein ganz bunter Teppich. Das mag für einen Chef, einen Manager funktionieren, aber zunehmend sehen alle unsere Kalender so aus, und wir brauchen eigentlich alle auch Makers-Kalender, also Zeiten ununterbrochener Konzentration, wo wir einfach mal eine große grüne Fläche an einem Tag haben im Kalender. Das kann man absprechen in Firmen.

Gesetzlich lässt sich das nicht regeln

Rabhansl: Eine große Leerstelle ist mir aufgefallen in Ihrem Buch. Ich finde kaum Hinweise für die Politik. Hat die denn da gar nichts mehr zu melden?
Albers: Wie ich vorhin schon sagte, ich glaube nicht so sehr, dass man sowas regulativ regeln kann, und zwar weder auf Unternehmensebene noch auf politischer Ebene. In Frankreich gibt es gerade seit Anfang dieses Jahres ein neues Gesetz, das dem Arbeitnehmer offiziell erlaubt, nach Feierabend nicht mehr erreichbar zu sein. Kann man machen, wird aber, behaupte ich, in der Praxis relativ wenig ändern. Gesetzgebung wird immer der technischen Entwicklung hinterherlaufen, und ich glaube, dass da nicht die Lösung liegt.
Rabhansl: Markus Albers über "Digitale Erschöpfung", so heißt sein Buch, "Wie wir die Kontrolle über unser Leben zurückgewinnen", 288 Seiten für 22 Euro, erschienen im Hanser Verlag. Danke schön!
Albers: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema