Marko Martin über sein Buch "Das Haus in Habana"

"Die Leute, die bespitzelt werden, müssen andere bespitzeln"

Straße in der kubanischen Hauptstadt Havanna.
Das Totalitäre ist in Kuba noch stark – trotz allem "Rum und Rambazamba-Gedöns" für die Touristen, sagt Marko Martin. © Unsplash/Eva Blue
Marko Martin im Gespräch mit Frank Meyer · 11.01.2019
Touristen wird in Kuba oft ein Spektakel zwischen Rum und Rumba präsentiert. Der Autor Marko Martin hat sich in Havanna intensiv umgesehen, das Stasimuseum besucht und "Das Haus in Habana" geschrieben, ein Tagebuch über die Repressionen auf der Insel.
Frank Meyer: Ein Besuch im Museum des Staatssicherheitsdienstes in Kuba und Sex in Havanna, das steht ganz nah beieinander in dem Buch "Das Haus in Habana: Ein Rapport" von Marko Martin. Der Schriftsteller und Literaturkritiker Marko Martin, der lebt in Berlin, wenn er nicht gerade für kürzere oder auch längere Zeit anderswo lebt, und in vielen seiner Bücher hat er über seine Erfahrungen eben anderswo geschrieben. "Die Nacht von San Salvador" ist eins dieser Bücher, "Kosmos Tel Aviv" ein anderes und "Das Haus in Habana" nun das jüngste. Herr Meyer, der kubanische Staatssicherheitsdienst spielt immer wieder eine Rolle in dem Buch. Das ist so einer der roten Fäden, die sich da durchziehen. Was haben Sie denn erlebt im Museum des kubanischen Staatssicherheitsdienstes?
Martin: Das Museum der Stasi ist ein affirmatives Museum, das zeigt, wie stark die Kontrolle der kubanischen Gesellschaft ist. Das heißt, man hat aus Styropor Häuser gebastelt. Diese Häuser bekommen dann artifizielle Fenster, und hinter diesen Fenstern sitzen wiederum gemalte Figuren, oder man hat da Puppen integriert, die mit einem Feldstecher dasitzen, zum Telefon greifen oder etwas aufnotieren, und aus der Beschreibung heraus oder aus der geografischen Distanz hier am Hans-Rosenthal-Platz in Berlin klingt das lustig, aber wenn man dort ist, beziehungsweise dort leben muss, ist das überhaupt nicht mehr lustig, sondern es zeigt, wie stark das Totalitäre auf dieser Insel noch da ist trotz allem Rum und Rambazamba-Gedöns, mit dem dann Touristen umgarnt werden.
Das heißt, die Kontrolle ist noch ungeheuer stark, und das Museum ist jetzt auch kein pittoreskes Relikt irgendeiner vergangenen Zeit, sondern es ist wirklich Teil des Alltags. Es gibt diese Komitees zur Verteidigung der Revolution, bei denen 80 Prozent der Kubaner zwangsverpflichtet sind.

"Es wird alles eingequirlt in das Sozialleben"

Meyer: Und das ist eine Art Staatssicherheit.
Martin: Das ist die Staatssicherheit. Das heißt, die Leute, die bespitzelt werden, müssen wiederum andere bespitzeln, und gleichzeitig übernimmt dieses CDR, dieses Komitee zur Verteidigung der Revolution, andere Termine, Blutspenden, Nachbarschaftshilfe. Das heißt, es wird alles eingequirlt in das Sozialleben, und man weiß nicht mehr, wo hört die Hilfe auf und wo beginnt die Repression.
Meyer: Eine sehr interessante Szene gab es doch auch am Ende Ihres Besuches in diesem Staatssicherheitsmuseum. Da hat Sie eine Frau geführt durch das Museum, die offenbar ganz stramm auf Parteienlinie ist, aber am Ende bei der Verabschiedung hält sie dann die Hand auf und fordert ein sattes Trinkgeld, nicht wahr?
Martin: Ja, und zwar in diesen sogenannten CUC, das ist der Peso convertible, die Touristenwährung, eins zu eins zum Euro.
Meyer: Ihr Buch haben Sie einen Rapport genannt, einen Bericht also. Das heißt, Sie erzählen da tatsächlich von dem, was Sie selbst in Kuba erlebt haben. Das ist keine Fiktion, keine Erfindung?
Martin: Es ist keine Fiktion. Die Sprache ist literarisch. Es war nicht meine Absicht, einen journalistischen Reiseführer zu schreiben, sondern ein literarisches Tagebuch. Die Sprache ist literarisch, aber das, was beschrieben ist, ist keine Fiktion.

"Dann merkte ich, Kuba ist etwas ganz anderes"

Meyer: Was hat Sie denn dahingezogen, was wollten Sie jetzt in dieser Zeit erfahren in Kuba?
Martin: Mich hat ungeheuer interessiert, wie die Realität auf Kuba ist. Ich habe viele exilkubanische Schriftsteller, Intellektuelle kennengelernt auf meinen Reisen, die in Madrid, in Berlin, in Miami im Exil leben, die mir sehr viel erzählt haben über die Insel. Ich habe Jorge Edwards kennengelernt, einen chilenischen Schriftsteller, der damals als Botschafter Salvador Allendes auf Kuba war und von Castro rausgeschmissen wurde, ehe er dann von Pinochet rausgeschmissen wurde, und diese antitotalitären Schriftsteller haben mir sehr viel über Kuba erzählt.
Ich wollte es einfach wissen, auch aus dem Grund, dass – Sie haben es erwähnt –, viele Erzählungen spielen in Lateinamerika, und ich dachte, ich bin mit dieser Gegend hinreichend vertraut. Jetzt schaue ich mir Kuba an, und dann merkte ich, Kuba ist etwas ganz, ganz anderes.
Buchcover vor Hintergrund. Straßenszene auf Kuba.
Mit dem "Das Haus in Habana" wollte Autor Marko Martin ein "literarisches Tagebuch" schreiben. © Wehrhahn Verlag / Unsplash / Persnickety Prints
Meyer: Und was nun sehr besonders ist an Ihrem Buch, es ist ein radikal subjektives Buch, es ist sehr offen, auch was ganz intime sexuelle Erfahrungen angeht. Zum Beispiel, wenn man wieder zurückkommt auf diesen Besuch des Staatssicherheitsmuseums, direkt davor steht eine Sexszene, Sex am Nachmittag, zwei schwule Männer lieben sich, und überhaupt erzählen Sie sehr viel von Sex mit kubanischen Männern in diesem Buch. Kann man sagen, das ist der Weg, dieser sexuelle, über den Sie das Land vor allem kennengelernt haben?
Martin: Ja, ich habe es immer für ziemlich frivol gehalten, ein Land zu bereisen, ohne ihn physischen Kontakt mit seinen Bewohnern zu kommen. Das wäre mir etwas unangemessen vorgekommen, und aus diesem Grund ist natürlich die Sexualität, das heißt die frei gewählte Sexualität, die von Zwängen oder finanziellen Überlegungen komplett freie Sexualität, ein Weg, in Geschichten einzutauchen bei der sprichwörtlichen Zigarette danach. Man erfährt Geschichten, die einem sonst nicht recherchierbar wären, und aus diesem Grund ist das für mich nicht nur ein Mittel, sondern ein Weg, in Gesellschaftspartikel reinzukommen, die ansonsten einem verschlossen wären.

Die Angst vor der Allpräsenz des Geheimdienstes

Meyer: Wobei genau das ja dann auch immer wieder zum Problem wird. Sie sagen jetzt: frei von finanziellen Erwägungen – also es gibt auch viel Sextourismus in Kuba.
Martin: Ja.
Meyer: Den haben Sie natürlich nicht betrieben, aber Geld spielt auch immer wieder eine Rolle bei Ihren Begegnungen mit kubanischen Männern, und zum freien Reden kommt es oft auch nicht. Was stand denn da auch wieder zwischen Ihnen und den Kubanern?
Martin: Ich hatte dann das Glück, dass es am Schluss dann doch zu den freien Reden kam, aber was Sie beschrieben haben, ist etwas ganz Fundamentales, dass die roten Linien Zickzacklinien sind, über was man spricht, über was man nicht spricht. Man kann Witze machen über allesmögliche, aber über die Castros, über den verblichenen und über den jetzt noch regierenden Bruder, das ist eine No-Go-Area.

Marko Martin
Autor Marko Martin© privat
Meyer: Auch nicht in der Intimzone…
Martin: Auch nicht in der Intimzone. Ich habe das erlebt, dass eine Diskothek dann fünf Uhr morgens die Pforten schloss von innen, und plötzlich waren die ganzen Gringos, die ganzen Sextouristen waren weg. Es wurde Musik gespielt aus den 50er-Jahren – Chuck Berry, Buddy Holly, Elvis Presley, die Musik, die 1959 plötzlich verboten wurde unter Castro.
Die jungen Leute, die dazu tanzten, kannten diese Musik von ihren Großeltern oder vielleicht sogar Urgroßeltern, und ich machte dann einen Witz: Ich sagte, das ist ja nun wirklich die rebellische Jugend – in Anspielung auf das kommunistische Jugendorgan Juventud Rebelde –, und plötzlich sah ich, wie diese jungen Leute erbleichten und mir ins Ohr flüstern: Mach nicht diese Witze, und das in einer Diskothek, in einer schwulen Diskothek, fünf Uhr morgens, wo die Tür geschlossen ist und wo man denkt, man ist unter sich, und es ist jetzt wirklich Fiesta, es ist Triumph des tropischen Lebens. Selbst da die Angst, die keine Paranoia ist, sondern die ganz konkrete Angst vor der Allpräsenz des Geheimdienstes.

"Dieses Schreiben macht mir Freude"

Meyer: Der Stil, in dem Sie erzählen von Ihren Erfahrungen in Kuba, den fand ich auch sehr interessant. Das ist so ein tanzendes Schreiben. Sie springen immer vor und zurück und hin und her. Das hat was Nervöses, das blitzt immer wieder an verschiedenen Stellen auf. Wie sind Sie zu dieser Art des Schreibens gekommen?
Martin: Das autobiografische Schreiben in autobiografischen Tagebüchern oder Journalen hat mich immer dahingehend gereizt, sich auch selbst zu beobachten. Jetzt nicht das Ich, das Pendant, das dauernd um sich selbst kreist, sondern auch als Zeichen der Skrupulosität zu beschreiben, was sehe ich und was sehe ich nicht, wie ist mein Blick auch limitiert.
Aus diesem Grund ist das Buch in der zweiten Person Einzahl geschrieben, in der Du-Perspektive, dass auch das Ich nicht dauernd vor dem Leser herumtänzelt, sondern das Du eine Art Mittelposition markiert, wo sich der Beobachter auch immer fragt, was beobachte ich, und was kästle ich vielleicht schon zu schnell in meinen Referenzrahmen ein, und ich glaube, dieses Schreiben – ich bin mir sicher –, dieses Schreiben macht mir Freude.
Ich hoffe, es macht den Lesern dann auch Freude, dass es auch dieses Quecksilbrige hat und nicht diesen pseudoobjektiven Erklärungston im Modus eines: Hier kommt der Durchblick von außerhalb, der macht jetzt mal schnell irgendwelche knalligen Reportagen im "Spiegel"-Stil und reißt dann ab, sondern nein, hier ist der Fragende der sich aber auch selbst hinterfragt bei aller tropischen Lebensfreude.
Meyer: Quecksilbrigkeit ist ein schönes Wort für den Stil, den Sie da gefunden haben. "Das Haus in Habana: Ein Rapport", so heißt das Buch von Marko Martin, im Wehrhahn-Verlag ist das erschienen, mit 250 Seiten, 20 Euro ist der Preis.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema