Marihuana

Rocky Mountain High

Arbeiter in Colorado sortieren Marihuana
50 Mitarbeiter beschäftigt das Unternehmen "Medicine Man" © Deutschlandradio Kultur, Fredy Gareis
Von Fredy Gareis  · 01.08.2014
In Colorado wird gefeiert wie zum Ende der Prohibition in den 20er-Jahren - allerdings mit Gras. Seit Anfang diesen Jahres ist Marihuana legalisiert und nach typisch amerikanischer Art haben sich florierende Geschäftszweigen entwickelt. Schon jetzt werden die Steuereinnahmen für dieses Jahr in dem Bundesstaat auf 160 Millionen Dollar geschätzt. Börsenexperten sagen schon jetzt den Grünen Rausch voraus.
Ein Wachmann öffnet die Tür zum Medicine Man. Der Laden ist groß und aufgeräumt, auf Monitoren flimmern Preise und hinter großzügigen Glasvitrinen findet sich alles, wirklich alles, was der Marihuana-Liebhaber begehrt. Von etlichen Grassorten, über Muffins, Brownies, Keksen, Ölen, Wachsen bis hin zu Bonbons.
Kevin und Kelly kleben an den Auslagen wie Kinder am Süßigkeitenregal. Das Pärchen, beide um die 50, hat die zehnstündige Autofahrt aus Oklahoma auf sich genommen, um die neue, legale Marihuana-Landschaft in Colorado zu erkunden und steht nun mitten in der größten sogenannten Dispensary in Denver.
Kevin Shady: "Zuhause muss ich bei zwielichtigen Gestalten kaufen. Das ist weder schön noch ist es einfach. Hier kann ich mich auf die Sicherheit verlassen, auf die Qualität und habe noch dazu eine Riesenauswahl."
Während beide überlegen, was sie bloß kaufen sollen, kümmert sich Sally Venderver auf der anderen Seite des Ladens um die Verwaltung, darum, dass alles seinen grünen und vor allem sicheren Gang hier nimmt.
70 Kameras sorgen für Sicherheit, dafür dass Kunden wie Kevin und Kelly nichts passiert, aber vor allem auch dafür, dass das ganze Geld nicht wegkommt, das hier gescheffelt wird. Denn fast alle Marihuana-Geschäfte sitzen auf Unmengen von Bargeld, weil die Banken nach Bundesgesetz handeln und das Geld aus dem Drogenverkauf nicht annehmen dürfen.
1000 Marihuana-Pflanzen hochgezogen
"Die Banken können unser Geld nicht nehmen, weil das Geldwäsche wäre. Lustigerweise hat aber der Staat kein Problem, wenn wir unsere Steuern damit zahlen. Ich kann keine Lieferanten zahlen ohne der Geldwäsche verdächtig zu werden, aber die Regierung ist dagegen immun. Da wird mit zweierlei Maß gemessen."
Medicine Man ist ein Familienbetrieb, der nach bescheidenen Anfängen rasant wächst. Auf tausenden von Quadratmetern bauen die etwa 50 Mitarbeiter Marihuana an und verarbeiten es weiter, bis es in den Verkauf kommt. Sally lächelt, erinnert sich:
Sally Venderver: "Am Anfang war es tatsächlich nur die Familie, die hier auf dem Boden saß und das Gras den lieben langen Tag zurecht geschnitten hat. Was hatten wir für einen Spaß dabei, wir haben soviel gelacht."

Der Laden Medicine Man ist in Colorado, wo Gras legal ist.
Kundinnen im "Medicine Man" suchen ihre Lieblingsgrassorte aus.© Deutschlandradio Kultur / Fredy Gareis
Wenig später schaut die 47-Jährige in der Aufzuchtstation vorbei, in der etwa 1000 Pflanzen hochgezogen werden. Reihen und Reihen der Cannabis-Gewächse füllen den Raum, bis unter die drei Meter hohe Decke, und der süßliche Geruch hängt dick in Luft. The Green Mile nennt Sally diesen Raum, die grüne Meile.
Wenn die Pflanze am Ende ihres Lebenszyklus ist und das beste an Blüte und Harz produziert hat, kommt sie in den Trimming Room, ein länglicher Raum von etwa 30 qm, in dem zwölf Mitarbeiter sie mit Scheren zurechtschneiden.
"Sie nehmen die Pflanze und schneiden die Blätter weg. Aus manchen wird Joint Mix, der Großteil geht zu einem Esswaren-Hersteller. Wenn nur noch die Blüten übrig sind, geht es rüber in den Trockenraum."
Die Mitarbeiter, von denen jeder vorher einen amtlichen Eignungsprozess durchlaufen muss, nennen diese Abteilung den Zen-Raum, viele haben Kopfhörer auf und schnippeln fast schon meditativ vor sich hin, bis sie ihre Tagesquote von 5000 Gramm geschafft haben.
Nach dem Schnitt kommt das Gras in den Trockenraum. Dort wird es in bibliotheksähnliche Regale gehängt, trocknet sieben bis zehn Tage, dann geht es nach vorne in den Verkauf, wo Kevin und Kelley sich über die hohe Qualität freuen.
Auf der anderen Seite der Halle baut die Familie noch mal eine ebenso große Fläche an. Drei Millionen investiert sie in die Erweiterung. Die Williams-Geschwister verstehen sich als Pioniere, Vorreiter einer rasant wachsenden Industrie in den USA, vielleicht sogar in der Welt. Und ihr typisch amerikanischer Pioniergeist ist gekoppelt mit einer klaren Vision.
"Wir wollen der ganzen Welt zeigen wie wundervoll Marihuana sein kann. Wir stellen uns ein Apple-Feeling vor: Viel weiß, große Fenster, dass die Leute sehen können, was hier passiert. Wir wollen die Menschen informieren und hoffentlich haben wir bald so etwas cooles wie ein Marihuana-Museum und werden zu einer Touristen-Destination."
"Wer könnte diesem Geruch schon widerstehen"
Sally geht jetzt hinüber zu ihrem Bruder Andy, ein gelernter Ingenieur mit Wohlstandsbauch und scharfen, wachen Augen. Andy redet wie ein Getriebener, vor allem wenn es um die Frage der bundesweiten Legalisierung von Marihuana geht. Damit es soweit kommt, sagt er, müsse in Colorado alles richtig laufen.
Andy: "Wir fühlen uns auch dafür verantwortlich, das Stigma abzubauen. Viele glauben, wir sitzen hier im Keller, ein paar Kiffer, die stoned den Pflanzen beim Wachsen zuschauen. Aber dann kommen sie her, und sehen wir professionell alles ist, sie sehen Jobs und sie sagen: Hey, das ist eigentlich wie die Bier-Industrie. Erwachsene Menschen, die in ihrer Freizeit einen Joint wie andere ein Bier genießen."
Das Familienunternehmen zahlt laut eigenen Angaben etwa 1,5 Millionen Dollar im Jahr an Löhnen bei einem Umsatz von mehr als zehn Millionen. Tendenz steigend.
"Als ich hier anfing, stank ich immer so nach Gras, dass meine Kinder schon sagten: Komm so bloß nicht zum Elternabend! Der Gestank war unvermeidbar. Aber jetzt liebe ich den Geruch. Es riecht frisch, und es riecht nach Geld. Wer könnte diesem Geruch schon widerstehen?"
Kevin und Kelly jedenfalls nicht. Sie stehen auf der anderen Seite, im Verkaufsraum, an der Kasse, glücklich wie erfolgreiche Jäger.
Kevin Shady: "Es ist toll, nicht mehr in dieser Schattenwelt zu sein, zu sehen, dass es jetzt ein legitimes Geschäft ist. Wie kontrolliert alle damit umgehen, wie sicher, wie professionell. Jeder war so hilfreich und alle hatten eine Menge Ahnung. Die wussten Bescheid für den Fall, dass du Schmerzen hast oder für den Fall, dass du einfach nur Spaß haben willst."
Morgen werden die beiden wieder zurück nach Oklahoma fahren, und die Menge an Drogen, die sie hier legal gekauft haben, über die Staatsgrenze schmuggeln. Vielleicht ja nicht mehr lange. Denn es ist nur eine Frage der Zeit bis der nächste Bundesstaat Marihuana legalisiert und in den Grünen Rausch einsteigt.
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