Benita Ferrero-Waldner

"Drogen sind ein so furchtbares Problem"

Benita Ferrero-Waldner
Benita Ferrero-Waldner, die Präsidentin der EULAK-Stiftung, bei einer Konferenz in Madrid im Juni 2013. © dpa / picture alliance / Javier Lizón
Moderation: Burkhard Birke · 26.07.2014
Der Drogenhandel und -konsum ist auch ein soziales Problem, sagt Ferrero-Waldner. Die Erfahrungen von Ländern, die erste Schritte der Entkriminalisierung ausprobierten, könnten Hinweise für Lösungsansätze geben.
Deutschlandradio Kultur: Benita Ferrero-Waldner – Karrierediplomatin, Protokollchefin von UN-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali, österreichische Außenministerin und von 2004 bis 2009 für Außenbeziehungen zuständige EU-Kommissarin und seit knapp drei Jahren, Frau Benita Ferrero-Waldner, Präsidentin der EU-Lateinamerika-Karibik-Stiftung. Gehen Sie jetzt sozusagen Ihrem wahren Hobby im Beruf nach?
Benita Ferrero-Waldner: In gewisser Weise ja. Mir war immer wichtig, die Beziehungen mit den verschiedenen Staaten zu pflegen und auch die Beziehungen mit Lateinamerika, die immer ein bisschen so hintan gehalten wurden. Und das war mir immer wesentlich, diese zu pflegen und das mache ich jetzt.
Deutschlandradio Kultur: Jetzt höre ich da so ein bisschen kritische Worte raus, dass man sich in Europa – vielleicht auch wegen der Krisen – zu sehr auf den Nahen Osten, auf Osteuropa mit der Ukraine und vielleicht auch auf Afrika wegen der Flüchtlingsproblematik konzentriert. Ist das richtig?
Benita Ferrero-Waldner: In gewisser Weise ja, aber natürlich verstehe ich als frühere Kommissarin und Außenministerin, dass man dort, wo man echte und zwar sehr virulente Krisenherde hat, natürlich da sein muss und versuchen muss, die Dinge wieder zu kalmieren und auf ein vernünftiges Maß der Zusammenarbeit zurückzuführen.
Aber trotzdem: Ich glaube, Lateinamerika ist ein so wichtiger Kontinent, ist ein Kontinent des Okzident, des Westens. Das heißt, wir haben grundsätzlich dieselben Vorstellungen von Demokratie. Wir haben dieselben Werte. Wir haben in vieler Hinsicht dieselbe Geschichte. Manche Länder Europas wie Spanien und Portugal haben dieselbe Sprache, die sie mit diesen Ländern teilen. Das ist enorm wichtig. Das ist etwas, was wir auch jetzt in dieser globalisierten Welt unbedingt nützen und schützen müssen.
Deutschlandradio Kultur: Nun hat die Fußballweltmeisterschaft das Augenmerk der Weltöffentlichkeit auf Brasilien gelenkt. Jetzt gehen wir mal vom Sportlichen aus. Holland ist Dritter geworden und Deutschland Weltmeister. Also, Europa hat die Nase vorn gehabt. Ist das irgendwie auch symbolträchtig für das politische Verhältnis? Ist man hier nicht auf Augenhöhe? Haben die Europäer im Verhältnis zu Lateinamerika immer die Nase vorn?
Benita Ferrero-Waldner: Nicht mehr, würde ich sagen, sondern das war so in der Vergangenheit, aber heute ist eben Lateinamerika mehr und mehr aufstrebend. Und Brasilien natürlich sowieso ist eines der so genannten BRICS-Länder, das heißt ein wirkliches Schwellenland oder ein Land, das bereits die Schwelle zum Industrieland überschritten hat. Es hat natürlich nach wie vor Entwicklungsprobleme und vor allem Probleme der Verteilung des Reichtums.
Man sagt ja, dass Lateinamerika der unegalitärste Kontinent der Welt ist, und zwar noch schlimmer als Afrika. Und das haben aber die Staats- und Regierungschefs eigentlich alle erkannt und gehen jetzt viel stärker als früher diese Problematik an. Auch wir arbeiten an der sozialen Kohäsion, wo ja alle diese Fragen aufgegriffen werden.
Deutschlandradio Kultur: Darauf gehen wir gleich noch im Detail ein, Frau Ferrero-Waldner. Ich wollte jetzt aber bei der Weltmeisterschaft bleiben, gerade weil Sie sagen, Brasilien hat immer noch viele soziale Probleme. Nun wurden neun bis zehn Milliarden Euro für Stadien ausgegeben, zum Beispiel in Brasilia, die nie mehr genutzt werden. Sind hier Fehlinvestitionen vorgenommen worden?
Benita Ferrero-Waldner: Ich glaube, das ist immer so bei einer Weltmeisterschaft, dass viele, viele Infrastrukturprojekte kommen, die dann vielleicht nicht mehr in derselben Form genützt werden. Aber Lateinamerika hat seinen Platz. Vielleicht werden dann eben viele zusätzliche und künftige Spiele dort abgehalten werden.
Aber was notwendig ist, ist, dass natürlich Brasilien jetzt auch andere Infrastrukturprojekte durchführt und vor allem auch seine Serviceleistungen verbessert. Und ein immer stärkerer Mittelstand hat natürlich festgestellt, dass das absolut notwendig ist. Zum Beispiel fährt eine Durchschnittsarbeitende in Brasilia ein bis zwei Stunden mit dem Autobus zum Arbeitsplatz und wieder zurück. Dann ist der Autobus oft nicht da, kommt spät. Alle diese Dinge werden heute viel stärker angeprangert. Und da müssen eben Lösungen gesucht werden.
Deutschlandradio Kultur: Ihr Resümee der Weltmeisterschaft, also, jetzt kommen ja auch wieder Proteste, jetzt kommen viele Leute, die sagen, das Geld wäre wirklich besser in Infrastruktur, in Gesundheit, in Krankenhäuser, in Bildung investiert worden. Wie fällt Ihr Resümee dieser Weltmeisterschaft aus?
Benita Ferrero-Waldner: Also, ich glaube zuerst, jedes Land hat einmal das Recht, auch einmal eine Weltmeisterschaft zu haben. Daher verstehe ich das, ein aufstrebendes Brasilien, das so wirklich als das Modell vor allem unter Lula dargestellt wurde, dass man sich gewünscht hat, die Weltmeisterschaft im Fußball dort abzuhalten. Das ist absolut verständlich.
Aber man muss gleichzeitig auch die gesamte Problematik sehen, die sich eben ergibt. Und heute wollen die Menschen eben die richtigen Straßen, die richtige Infrastruktur in vielen Bereichen, aber auch entsprechende Serviceleistungen. Und da müssen eben viele lateinamerikanische Länder noch Nachholarbeit leisten. Und da, glaube ich, sind wir Europäer auch gut aufgestellt, ihnen dabei Hilfestellung zu leisten und sie zu begleiten.
Deutschlandradio Kultur: Hilfestellung, das ist das Stichwort. Sie sind Präsidentin der EU-Lateinamerika-Karibik-Stiftung. Was konkret tut Ihre Stiftung genau in diesem Feld, um zum Beispiel diese Ungleichverteilung in Lateinamerika, in der Karibik zu mindern?
Benita Ferrero-Waldner: Wir arbeiten sehr stark in der Frage der sozialen Kohäsion. Sie wissen, als Kommissarin habe auch ich das mit meinen Leuten zum Thema gemacht bereits beim Lima-Gipfel im Jahre 2008. Und seither wird diese Frage immer stärker auch in die Agenda der einzelnen lateinamerikanischen Staaten von ihnen aus eingeführt und wahrgenommen. Und das ist sehr wichtig. Da arbeiten wir auch mit der Kommission zusammen und versuchen in Programmen das zu tun, was notwendig ist, damit diese Frage in die Politik der Länder wirklich einfließt. Das ist Nummer 1.
Deutschlandradio Kultur: Politik der Länder, die wird in der Regel von den Eliten gemacht, mit einigen Ausnahmen jetzt, denken wir an den Präsidenten Boliviens Evo Morales, der ja aus der indigenen Bevölkerung hoch kam. Aber schauen wir doch einmal, die Eliten, die in Lateinamerika im Schnitt das größte Vermögen besitzen. Zehn Prozent besitzen etwa 50 Prozent der Reichtümer. Das ist eine krasse Ungleichverteilung. Zum Vergleich: Also, in Europa sind es 23 Prozent, die 50 Prozent des Eigentums, des Reichtums einer Nation besitzen.
Wie kommen Sie wirklich ran an diese Menschen, ihnen das in den Kopf zu setzen, dass beispielsweise man auch vielleicht massiv die Sozialabgaben und Steuern erhöhen müsste, die sie belasten. Denn die Steuerbelastung, Abgabenbelastung ist bei 17 Prozent im Schnitt, verglichen mit 40 Prozent in den OECD-Ländern.
Benita Ferrero-Waldner: Das ist genau die Diskussion. Die Fiskalpolitik, die Steuerpolitik gehört mit natürlich zu den zentralen Fragen in der sozialen Kohäsion. Aber ich sage Ihnen: Langsam sehen die Staaten selber, dass es notwendig ist, die Steuern zu erhöhen, damit sie dann die Leistungen, die heute die Bürger von ihnen verlangen, auch durchführen können – wie zum Beispiel Qualitätserziehung und Ausbildung. Denn nur dann kann es ja zum Beispiel gratis öffentliche Universitäten, die aber auch gut sind, geben, wenn der Staat entsprechend Geld dafür einsetzen kann, das er aber vorher natürlich wieder steuerlich erst als Einkommen haben muss.
Oder aber alle Sozialleistungen: Sie haben vollkommen Recht, diese Fragen werden immer stärker jetzt im Vordergrund sein. Denken Sie an Mexiko, wo der Präsident Peña Nieto ja das, was er einnimmt, unter anderem auch aus den Ölvorkommen und aus Gas, auch einsetzen will für Pensionsleistungen, in Zukunft, wird überlegt, eine Art medizinische Versorgung. Alles das sind Dinge, die eben noch auf dem Tisch liegen. Aber manche Länder haben sich vorgenommen, das zu lösen. Auch in Chile ist das ja jetzt das Programm von Michelle Bachelet. In Uruguay wird bereits diese Umverteilung in gewisser Weise durchgeführt.
Und Brasilien hat bis jetzt eben anders reagiert. Brasilien hat bis jetzt eigentlich direkt das Geld gegeben für bestimmte Dinge. Zum Beispiel, wenn ein Kind in die Schule gehen konnte, dann hat die Familie dafür etwas zusätzliches Geld bekommen. Ich glaube, auch da ist die Frage der Ungleichverteilung und damit, wie kann man das ändern, eine der zentralen Fragen geworden. Daher arbeiten auch wir in der Stiftung sehr stark daran.
Lassen Sie mich aber noch einen zweiten Punkt erwähnen, wo wir in der Stiftung besonders stark sind und wo wir uns auch bemühen zu fokussieren und das sind die Klein- und Mittelbetriebe. Sie wissen, da gibt es in Europa selbstverständlich so viele. Das ist sozusagen die Basis unserer Industrie und unserer Wirtschaft. 90 oder 95 Prozent sind Klein- und Mittel- oder mittlere Betriebe. Nun ist das in Lateinamerika keineswegs so. Es gibt sehr viel so genannte informelle Wirtschaft. Das heißt dann wirklich Schwarzarbeit. Und man muss versuchen, die Menschen langsam in private Klein- und Mittelbetriebe überzuführen.
Wie geht das? Indem man ihnen auch zeigt, dass die produktiver, effizienter sein müssen, wettbewerbsfähiger. Das ist ein weiteres Feld, wo wir Europäer enorm viel anzubieten haben und wo wir auch gehört werden. Und das gehört eben, wie gesagt, auch zu den wichtigen Aufgaben, die wir in EULAK durchführen.
Zum Beispiel sind wir gerade dabei, industrielle sozusagen Landkarten zu machen, wo wir im Augenblick mit neun lateinamerikanischen Ländern arbeiten, um zu sehen, welches sind die allerwettbewerbsfähigsten Klein- und Mittelbetriebe in diesen neun Ländern. Die neun Länder sind natürlich die, die jetzt am meisten offen sind, die am meisten dynamisch sich darstellen. Es sind vor allem die Länder der Pazifischen Allianz, aber auch Brasilien, auch einige Länder Zentralamerikas, die bewusst gerne mitmachen.
Dann versuchen wir – und das ist viel einfacher – in Europa dasselbe zu tun, zu sehen, in welchen wichtigen Sektoren, zum Beispiel im Sektor Energie, und zwar erneuerbare Energie, innovative Industrien, Tourismusindustrie, agroalimentaire Industrie etc., wir mit lateinamerikanischen Klein- und Mittelbetrieben zusammenarbeiten können, weil unsere die wettbewerbsfähigsten sind und jene auch. Das heißt, man sucht sich Territorien auch aus, die dann eine Art Clusterbildung ermöglichen.
Deutschlandradio Kultur: Tacheles heißt Klartext reden. Frau Ferrero-Waldner, reden wir mal Klartext über ein paar auch heikle Themen. Kommen wir mal auf das Thema Handel nochmal zurück – im Verhältnis auch Europa-USA. Jetzt wird ja gerade über TTIP verhandelt. Wird es dazu kommen und welche Auswirkungen wird sowas nachher für Lateinamerika haben?
Benita Ferrero-Waldner: Also, zuerst einmal hoffe ich, dass es dazu kommt. Denn es würde uns natürlich auf beiden Seiten einen großen Sprung an zusätzlicher Wirtschaftskraft und an auch Wachstum bringen, ganz klar. Das ist also wirklich in allen Studien festgestellt.
Deutschlandradio Kultur: Sie sehen keine Probleme gerade mit heiklen Bereichen wie zum Beispiel dem Investitionsschutz, den Schiedsgerichten, die da geplant sind, oder etwa auch für die kulturellen Besonderheiten oder Datenschutz – gerade das große Thema, was ja vielleicht auch die beiden Bereiche Lateinamerika und Europa eher gegen die USA zusammenbringen könnte?
Benita Ferrero-Waldner: Natürlich gibt es eine ganze Reihe von Themen, die nicht einfach sind, die schwierig sind. Aber man muss sich eben zusammensetzen, um hier Lösungen zu finden. Denn man kann doch nicht sagen, diese Chance, die wir hätten, gerade wir, Europa und Amerika, verstärkt wieder wettbewerbsfähiger, wachstumsträchtiger zu sein, die nehmen wir uns, weil wir vielleicht eine Handvoll von schwierigen Themen haben. Wir müssen hierfür Lösungen finden. Aber Sie haben Recht, es sind einige sehr heikle Themen auf dem Tisch.
Nun, wie sieht das aus mit den lateinamerikanischen Ländern? Ich gehöre zu denen, die sagen, es wäre notwendig, lateinamerikanische Länder bald einzubinden, zumindest informativ einzubinden. Aber noch ist das nicht bei denen angekommen, die im Augenblick die Verhandlungen führen. Wie gesagt, es sind schwierige komplizierte Verhandlungen. Das ist klar. Aber ich würde doch hoffen, dass sie zielführend sind im Endeffekt.
Deutschlandradio Kultur: Es gab ja sogar mal die Idee einer großen ganz amerikanischen Freihandelszone. Das ist aber gescheitert – auch an den verschiedenen Egoismen der verschiedenen Regionalverbände, die es gibt. Es gibt den Mercosur, dann gibt es ALBA, also, das eher linksgerichtete, damals noch von dem Präsidenten Venezuelas Hugo Chavez ins Leben gerufene Bündnis. Dann gibt es den Andenpakt. Sie haben die Pazifische Allianz, also Mexiko, Kolumbien, Peru, Chile, erwähnt. Ist denn hier überhaupt aus europäischer Sicht ein verlässlicher Partner? Oder zerspaltet sich dieser Subkontinent, dieser lateinamerikanische, wieder in verschiedene Organisationen und hat die EU eigentlich auch ihre Leuchtturmfunktion, ihre Vorbildfunktion als einigendes Mechanismusinstrument verloren?
Benita Ferrero-Waldner: Das ist natürlich eine sehr wichtige und gute Frage. Ich glaube, im Jahre 1999, als wir diese so genannte strategische Partnerschaft zwischen Europa und Lateinamerika aus der Wiege gehoben haben, war unser Verständnis das, dass die beiden großen Gruppierungen miteinander arbeiten sollten. Und es hat auch viel gebracht an politischem Dialog, an Abkommen, die wir geschlossen haben, die inzwischen ja da sind. Denken Sie an das Abkommen mit Zentralamerika, das Abkommen mit Kolumbien, mit Peru und jetzt auch – sehr interessant – das Abkommen mit Ecuador, aber auch ein Abkommen mit der Karibik und Mexiko und Brasilien, Mexiko ohnehin und Chile als Abkommen, Handelsabkommen, aber auch mit Brasilien und Mexiko – besondere strategische Allianzen, die wir auch vor allem im politischen Bereich machen.
So. Wie sieht es jetzt aus? Ich glaube, wir sollten alles daran setzen, dass auch das EU-Mercosur-Abkommen nach wie vor zum Tragen kommt. Das ist besonders heikel und schwierig. Wir wissen das. Eigentlich haben wir seit dem Jahr 2000 verhandelt. Auch in meiner Zeit habe ich zweimal eine Ministerrunde als EU-politische Kommissarin für Außenpolitik einberufen. Aber der Handel war eben leider auf beiden Seiten noch nicht reif dafür.
Deutschlandradio Kultur: Wo liegen die Probleme? Also, warum hat das nicht geklappt?
Benita Ferrero-Waldner: Weil auf der einen Seite die Lateinamerikaner wollen, dass wir Europäer viel mehr unsere Agrarprodukte erstens einmal nicht mehr subventionieren und zweitens natürlich unsere Märkte öffnen für ihre Agrarprodukte. Das ist ein heikles Thema. Sie wissen, die Agrarfrage ist immer heikel. Auf der anderen Seite wollen wir eine ziemlich starke Öffnung der Märkte für Waren und Dienstleistungen in Lateinamerika. Auch das ist noch sehr, sehr kompliziert. Und da spießen sich eben die Dinge. Da geht es um die Angebote. Aber jetzt, am 24. Februar, hat es ja wieder ein EU-Brasilien-Spitzenmeeting gegeben, einen Gipfel. Und da wurde diesmal von Brasilien auch ganz klar gesagt: Man möchte diese EU-Mercosur-Verhandlungen zu einem positiven Ende führen. Zum Beispiel auch Angela Merkel von der EU-Seite hat sich verpflichtet, alles daran zu setzen, das auch von EU-Seite möglich zu machen. Es ist von beiden Seiten nicht einfach. Aber ich sehe es auch nicht sofort, aber ich hoffe doch, dass es möglich ist. Denn auch das würde so viel deblockieren und Positives schaffen.
Und wenn man sich das zumindest auf mittlere Sicht anschaut, dann müsste man auch als Politiker so weit gehen und sagen: Ich bin bereit, vielleicht auch kurzfristig einmal gewisse Opfer zu bringen, die immer notwendig sind, wie Sie richtig sagten am Anfang, wenn man ein neues Handelsliberalisierungsabkommen schließt.
Deutschlandradio Kultur: Das hieße für die Europäer eben im Agrarsektor wirklich zu sagen, wir schicken...
Benita Ferrero-Waldner: ... etwas zu öffnen, nicht alles, selbstverständlich, denn da geht's ja um Feinheiten. Da geht's ja um wirklich jedes einzelne Produkt, in welcher Größenordnung. Ich kann Ihnen da keine Zahlen sagen. Das ist die Europäische Kommission, der Kommissar für Handel, der diese Verhandlungen führt. Aber es geht eben darum, ein Give and Take, ein Geben und Nehmen zu schaffen, das im Endeffekt einen Ausgleich bringt, der beide Seiten dazu ermöglicht und berechtigt, dieses Abkommen abzuschließen. Ich hoffe, es gelingt.
Deutschlandradio Kultur: Eine Riesenfreihandelszone, also TTIP und dann Lateinamerika noch dabei mit der EU, ist das einfach Utopie? Oder sehen Sie das und wenn, in welchem Zeitraum?
Benita Ferrero-Waldner: Das sehe ich noch nicht. Denn Sie hatten vorhin eines gesagt, und das ist richtig: Lateinamerika war immer ein enorm heterogener Kontinent. Und er ist vielleicht im Augenblick noch heterogener als vorher, wo man eben diese Idee hatte, gemeinsam zu verhandeln. Heute sind es vor allem die Regionen oder Subregionen, mit denen man natürlich laufend in Kontakt ist. Das ist ein bisschen auch die Schwierigkeit manchmal für unsere Stiftung. Wir sind die einzige Stiftung, die wirklich bi-regional ist. Das heißt, unsere Mitglieder sind 33 Staaten Lateinamerikas und der Karibik, das heißt, absolut alle, und gleichzeitig 28 EU-Mitgliedsländer, auch alle, und zwei Institutionen der Europäischen Union.
Das heißt, wir sind eine einzigartige Stiftung, die versucht, die beiden Seiten zusammenzubringen. Nur, es müssen eben beide Seiten auch dieses selbe Verständnis haben. Und wir arbeiten daran.
Deutschlandradio Kultur: Frau Ferrero-Waldner, Drogen ist immer ein großes Stichwort, auch gerade im Verhältnis zwischen Europa und Lateinamerika. Es gibt da Schätzungen der UN, die besagen, dass der weltweite Drogenhandel 350, 400 Milliarden Dollar pro Jahr an Einnahmen produziert. Es gibt namhafte Politiker, vor allen Dingen auch aus Lateinamerika, die sagen, die Drogenpolitik ist gescheitert. Wie fällt Ihr Urteil aus? Ist die Drogenpolitik gescheitert?
Benita Ferrero-Waldner: Ich kenne natürlich diese neuen Ideen und ich finde sie interessant. Warum? Weil man auch in Amerika der 30er-Jahre des 20. Jahrhunderts gesehen hat, dass man mit der so genannten Prohibition sehr viele Mafia-Kartelle geschaffen hat. Und als man dann Alkohol zum Beispiel frei gegeben hat, ist das automatisch, die Geldflüsse wurden gestoppt.
Deutschlandradio Kultur: Höre ich da jetzt sozusagen an den neuen Ideen, die Sie auch kennen, heraus, dass Sie sich durchaus auch anfreunden könnten mit der Idee, Drogen zu entkriminalisieren oder sogar zu legalisieren? Der Präsident von Kolumbien Santos hat mal in einem Interview gesagt: „Wenn sich die Welt zur Legalisierung entscheidet und denkt, damit könnten wir Gewalt und Kriminalität vermeiden, dann bin ich damit einverstanden." Sie auch?
Benita Ferrero-Waldner: Ich würde sagen, zuerst einmal eine Entkriminalisierung, und zwar eben nicht aller Drogen natürlich.
Deutschlandradio Kultur: Welche?
Benita Ferrero-Waldner: Sondern von den Einstiegsdrogen. Ich bin jetzt auch keine Expertin, aber zum Beispiel Marihuana, von dem ja gesprochen wird, ein bisschen so, und das können wir uns ja auch anschauen, was der uruguayische Präsident Mujica in seinem eigenen Land jetzt eingesetzt hat. Und hier gibt es bestimmte Quantitäten, für medizinische Arzneien ohnehin offen, auch für die eigene Bevölkerung, nicht für die indigene Bevölkerung. Ich glaube, man muss das Thema neu angehen.
Ich hatte vor zwei oder drei Jahren gleich am Anfang meiner neuen Tätigkeit ein Gespräch mit dem damaligen neuen Präsidenten von Guatemala, der ja dieses Thema als einer der Ersten auch auf die lateinamerikanische und internationale Agenda gebracht hat. Und der hat mir das auch wirklich so vor Augen geführt. Und ich bin offen diesem Thema gegenüber, denn wir müssen Lösungen finden und die müssen anders ausschauen.
Deutschlandradio Kultur: Das heißt, die Stiftung wird sich vielleicht demnächst auch mit einem Symposium, mit einem Forum irgendwie da einbringen?
Benita Ferrero-Waldner: Die Stiftung bemüht sich generell um Sicherheit des Bürgers. Nun ist es aber nicht ein Thema, das für alle so selbstverständlich ist in den einzelnen Ländern. Daher, wir arbeiten ja für alle, wir müssen sehen, dass wir hier die Überzeugung bekommen von allen, das ist ein Thema, mit dem man sich auch wirklich auseinandersetzen muss. Dann werden wir das sicher machen. Aber das Interessante ist, das es ja nächstes Jahr bereits eine Generalversammlung der Vereinten Nationen wieder zu diesem Thema gibt.
Stellen Sie sich vor, als ich Staatssekretärin war im Jahre '95, erinnere ich mich, war die Frage der Coresponsabilidad, der Mitverantwortung, eine große Frage. Da gab es ein Seminar oder ein Ministertreffen in Noordwijk in Holland. Dann gab es ein sehr interessantes Ministertreffen in Cochabamba in Bolivien, wo ich selber als Staatssekretärin zu diesem Thema teilgenommen habe. Dann gab's UN-Generalversammlungstreffen dazu. Aber das Thema ist nicht wirklich in den Griff genommen worden. Also, man hat es nicht geschafft, hier wirklich Lösungen zu finden.
Ich glaube, die Welt hat sich gedreht. Man ist weiter gekommen. Man muss auch sehen, dass das, was wir in Europa machen, wichtig ist, nämlich es nicht nur von der kriminellen Seite her zu sehen, sondern das ist ja ein soziales Problem. Und man muss es auch von der sozialen Seite angehen und auch von der Seite der Medizin.
Deutschlandradio Kultur: Wenn ich Sie richtig nochmal zusammenfasse, heißt das, dass Sie sich durchaus eine Entkriminalisierung oder eine Legalisierung der leichten Drogen wie Marihuana, Cannabis vorstellen könnten.
Benita Ferrero-Waldner: So ist es. Ich glaube, man muss diesen Dialog von allen Seiten ganz genau beleuchten. Man muss auch die Erfahrungen der Länder einbringen, die tatsächlich eine erste Entkriminalisierung vorgenommen haben. Und man muss neue Lösungsansätze finden. Denn das ist ein so furchtbares Problem in der Welt und das bringt so viel Geld in Bewegung, das kann einfach keine Lösung für die Zukunft sein.
Deutschlandradio Kultur: Reden wir noch über ein anderes heikles Thema. Das ist das nach wie vor bestehende Handelsembargo, was die USA über Kuba verhängt haben. Frau Ferrero-Waldner, wäre es nicht endlich Zeit, dieses Embargo aufzulösen, um Kuba so auch die Chance zu geben, irgendwie auf eine demokratischere Bahn zu kommen, als es sich momentan bewegt?
Benita Ferrero-Waldner: Sie wissen selber, dass das in Amerika ein ganz kontroverselles Thema ist. Obama hat es ja versucht anzugehen, hat aber dann eigentlich sehr wenig Öffnungen gemacht. Nun, ich finde vor allem, was wir als Europäer tun sollen, ist, dieses Abkommen mit Kuba, das jetzt verhandelt wird, auch wirklich durchzuverhandeln und dann anzuwenden. Denn Kuba – jetzt aus meiner Sicht, ich spreche natürlich nicht für die Europäische Union, sondern ich spreche aus meiner persönlichen Sicht und aus Sicht der Präsidentin dieser EULAK-Stiftung – ist ja auch ein wichtiges Mitglied der so genannten CELAC. Das ist die Comunidad de Estados Latinoamericanos y del Caribe, also die Gemeinschaft aller dieser lateinamerikanischen und karibischen Länder.
Und so ein Abkommen, glaube ich, ist lange fällig und wäre auch ein Zeichen des politischen Willens, den beide Seiten auch jetzt einmal willkommen geheißen haben.
Deutschlandradio Kultur: Was soll dieses Abkommen beinhalten?
Benita Ferrero-Waldner: Es geht in großer Linie auch dabei um die Einhaltung der Menschenrechte, also, das auch den Kritikern gegenüber gesagt. Aber gleichzeitig ist es eine erste kleine Öffnung. Wir haben ja nur mit Kuba überhaupt keine kontraktuellen Beziehungen. Und so viel ich weiß, ich bin ja nicht mehr Kommissarin, aber so viel ich weiß, ist hier auch eine Zusammenarbeit im Bereich der Entwicklung vorgesehen, aber vor allem auch ein politischer Dialog.
Und es scheint mir sehr wichtig, mit einem Land, das ja selbst, wenn auch sehr vorsichtig, einen Reformprozess eingeleitet hat, in einem ständigen Dialog zu sein, um diesen Reformprozess auch zu unterstützen. Ich glaube, das ist ganz wesentlich. Und ich finde, konstruktives Engagement, wie man das nennt, ist positiv zu sehen.
Deutschlandradio Kultur: Politischer Dialog, politische Verhandlungen finden momentan gerade in Havanna auf Kuba statt, auch zwischen den kolumbianischen Guerilleros von der FARC und der kolumbianischen Regierung. Wie zuversichtlich sind Sie, dass es dort wirklich zu einem positiven Ergebnis kommt, das sich dann auch in Kolumbien umsetzen lässt?
Benita Ferrero-Waldner: Also, ich muss sagen, ich bin vorsichtig optimistisch, dass das gelingt. Jetzt ist ein guter Moment. Santos, Präsident Santos hat die Wahlen gewonnen. Die Kolumbianer wissen, dass das sein Ziel ist. Und auch die FARC, glaube ich, sieht, dass sie als politische Partei in der Zukunft vielleicht mehr bewegen kann. Natürlich ist auch hier der Drogenhandel, wie Sie richtig sagen, ein ganz wesentlicher Punkt, aber auch die Frage der Rückgabe der Territorien. Wie können die Menschen, die früher in der FARC waren, auch umgewandelt werden? Wie können sie ein neues Leben beginnen? Die ganze Frage auch der Wiederversöhnung, ein ganz heikles Thema. Auch das steht ja jetzt an. Ich weiß, also, es sind enorm komplizierte Fragen und natürlich weiß man auch, dass nicht alle Kolumbianer dafür sind. Die wollen also nicht, dass viele Kriminelle sozusagen ohne irgendeinen Akt der Buße hier praktisch ins normale Leben entlassen werden.
Deutschlandradio Kultur: Oder für Massaker und ganz große Gräueltaten dann nur mit sieben oder acht Jahren Gefängnis, wie es ja auch schon mit den rechtsgerichteten Paramilitärs, die wieder integriert wurden, geschehen ist.
Benita Ferrero-Waldner: Richtig. Also, diese Fragen stehen an. Aber wenn man eine Lösung will, muss man auch diesen Fragen immer ins Auge schauen. Man muss Lösungen finden. Und denken wir zum Beispiel an Südafrika. Südafrika mit Desmond Tutu, damals oder immer noch dem Erzbischof und Kardinal Südafrikas, der hat hier Großartiges geleistet und eigentlich eine Vorgabe gegeben. Ich glaube, auch die Kolumbianer haben sich das ganz genau angeschaut. Und man muss hier heute ein gewisses Gleichgewicht finden zwischen der Frage: Was ist wirklich notwendig an Sühne und auch an Strafe, und was ist notwendig, um die Menschen in die Gesellschaft zurückzuführen?
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