Maria Dragus in Cannes

"Ich weiß nicht, womit ich es verdient habe"

Schauspielerin Maria Dragus beim Filmfestival in Cannes
Schauspielerin Maria Dragus beim Filmfestival in Cannes © dpa / picture alliance / Franck Fernandes
Maria Dragus im Gespräch mit Susanne Burg · 21.05.2016
Die 21 Jahre alte Schauspielerin Maria Dragus ist zum zweiten Mal beim Festival von Cannes zu sehen: In dem Film "Bacalaureat" spielt sie eine Schülerin, deren Vater sie mit unlauteren Mitteln zu einer guten Abiturnote bringen will. Im Interview erzählt Dragus von ihren rumänischen Wurzeln.
Susanne Burg: Es ist das zweite Mal für Sie, dass Sie in Cannes sind seit dem "Weißen Band" 2009. Damals waren Sie 15, eine Jugendliche. Jetzt sind Sie 21, erwachsen. Inwieweit fühlt sich das jetzt anders an? Und Sie spielen eine Hauptrolle.
Maria Dragus: Es fühlt sich natürlich sehr anders an, einfach weil ich natürlich besser verstehe, worum es eigentlich bei diesem Festival geht, was das für eine Auswirkung haben kann. Und ich meine, dieses Jahr ist auch ein unglaubliches Jahr mit Wahnsinns-Regisseuren in der Competition, ganz zu schweigen von der Jury, die irgendwie Schauspieler hat und Regisseure und so weiter, wo ich einfach schon unglaublich lange Fan bin und aufschaue. Deswegen ist es wahnsinnig aufregend.
Burg: Und dann natürlich auch noch die ganze Aufregung um den deutschen Film, den es ja auch gibt – weil Sie sagten, ein besonderes Jahr.
Dragus: Ja, genau. Und der übrigens auch in Rumänien gedreht ist.
Burg: Stimmt. Rumänien ist sehr stark. Es sind zwei Wettbewerbsbeiträge aus Rumänien. Sie spielen in dem Film Elisa, die steht vor dem rumänischen Abitur, ist eine harte Prüfung, und die Eltern üben ziemlichen Druck aus, vor allem der Vater, dass sie die Prüfung gut besteht. Elisa macht ganz lange mit, irgendwann aber nicht mehr. Welche Entwicklung macht sie durch?

Politischer Generationenkonflikt

Dragus: Es ist ja eine ganz besondere Entwicklung dadurch, dass sie ja wirklich einen, sage ich mal, ihr ein Unfall passiert im schwierigsten Sinne. Und ich glaube, dass die Entwicklung nicht unbedingt gewollt oder initiiert ist von ihr, sondern – was heißt, ich glaube, ich weiß es – dadurch gewisse Dinge einfach passieren mit ihr, die sie nicht so ganz steuern kann oder beziehungsweise dann wirklich anfängt, sie selber erst richtig zu steuern, nachdem sie merkt, dass es eben doch nicht alles so ist, wie man es ihr erzählt hat ihr ganzes Leben lang, zumal ihr Vater einfach wirklich versucht hat, in dem System, in dem sie leben, ihr den bestmöglichen Weg zu ebnen. Und Elisa ist auf jeden Fall jemand, der Sachen anpackt und dann auch weitergeht und auch im Lauf des Films natürlich einen großen Sprung macht. Das Ende sage ich jetzt natürlich nicht, aber wahrscheinlich sehr erwachsen wird.
Burg: Also, so viel kann man vielleicht verraten: Der Vater versucht dann mit nicht ganz lauteren Mitteln, so ein bisschen die Noten nach oben zu drücken. Da gibt es dann einige Probleme, die dadurch entstehen. Der Vater rechtfertigt es immer damit, na, ich will ja nur das Beste für dich in diesem System, wie Sie es eben auch sagten. Denn du, Elisa, weißt ja nicht, was wir alles damals mitgemacht haben. Das heißt, die Eltern sind noch im Ceausescu-Regime groß geworden. Ihre Figur ist danach geboren worden. Ist dieser Generationenkonflikt auch ein politischer Generationenkonflikt?
Dragus: Ja, unbedingt, aber das, muss ich sagen, ist für mich nicht auf Rumänien begrenzt, da denke ich auch an meine eigene Mutter, die in der DDR aufgewachsen ist. Ich bin selber kurz nach der deutschen Wende geboren. Natürlich wünschen sich die Eltern immer eine bessere Zukunft für ihre Kinder vielleicht, als sie sie selber hatten, und im besten Fall natürlich in einem politischen System, das stabil ist. In Rumänien ist es ja sehr schwierig dadurch, dass die Korruption relativ fest verankert ist auch in der Kultur und einfach wirklich ihre Anwendung in einer gewissen Notwendigkeit findet dadurch, dass die Leute auch sehr arm sind und sich gegenseitig helfen, und das, wie man im Film sehen kann, kann sehr schnell große Auswirkungen haben und fällt leider auch immer wieder auf einen selbst zurück.

"Auf dem Land sind fast keine Menschen mehr"

Burg: Ihr Vater im realen Leben ist ja Rumäne. Sie selbst sind in Deutschland aufgewachsen. Wie fremd war Ihnen das, was da in dem Film auch mit erzählt wird, von Korruption und allem, was Sie eben beschrieben haben.
Dragus: Ich muss sagen, es war mir natürlich nicht ganz fremd, aber es ist trotzdem nicht dasselbe, als wenn ich dort aufgewachsen wäre. Und ich habe mich auch selber gefragt, wie wäre das gewesen, wenn ich da aufgewachsen wäre, wie wäre das gewesen, wenn ich die Chancen, die ich dadurch, dass ich das Privileg hatte, in Deutschland groß zu werden, wenn ich diese Chancen nicht gehabt hätte, wie hätte ich mich dann anders entwickelt. Tatsächlich ist es einfach natürlich so, dass ich meine Cousinen sehe, meine Cousins sehe, wie hart die dafür arbeiten müssen, wirklich irgendwohin zu kommen, und alle den Traum hegen, in den Westen zu gehen, was ich politisch, auf politischer Ebene und auch auf persönlicher Ebene teilweise verstehen kann, es aber sehr, sehr schade finde natürlich für das Land, weil das einfach – das Land ist so leer, auf dem Land sind fast keine Menschen mehr, es ist wirklich Wahnsinn.
Burg: Sie selbst sind ganz gut im Filmgeschäft, im deutschen Filmgeschäft. Es kommen in diesem Jahr noch zwei andere Filme raus von Barbara Albert "Licht" und "Tiger Girls" von Jakob Lass. Was hat Sie daran gereizt, in einem rumänischen Film mitzuspielen?
Dragus: Ich muss sagen, ich liebte die Arbeit von Christian, also ich habe sechsmal den zweiten Film gesehen, schon viermal im Kino, weil ich einfach das so unfassbar finde, was er da kreiert mit einer Intelligenz und einer Tiefe und einer Komplexität, die nicht oft zu finden ist. Und dann hatte ich das Glück irgendwie, über fünf Ecken mit den Shooting-Stars bei Christian irgendwie im Büro zu sitzen eines Tages und war das glücklichste Mädchen auf Erden. Und dann auch noch in einem seiner Filme zu spielen, ist natürlich großartig. Und dass es ein rumänischer Film ist, freut mich ganz besonders, einfach weil es mir sehr nahe ist, die Mentalität mir sehr nahe ist und meine Eltern mich sehr im Sinne der rumänischen Kultur auch erzogen haben. Ich bin da getauft, ich habe die rumänische Tradition einfach zu Hause mitbekommen. Und meine Eltern sind ja auch heute da, und die freuen sich natürlich auch wahnsinnig.

"Emotion ist einfacher für mich auf Rumänisch"

Burg: Sie sind zweisprachig aufgewachsen. Gibt es denn trotzdem Unterschiede, ob Sie auf Rumänisch drehen, spielen, oder auf Deutsch?
Dragus: Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, es wäre nicht so. Aber es ist kein großes Problem. Ich habe eigentlich beide Sprachen gleichwertig. Christian hat natürlich eine sehr spezielle Art, Dialoge zu schreiben, zu sprechen auch. Es ist wirklich so eine sehr vernuschelte Art, Dinge zu sagen, was sehr interessant war. Wir haben da auch ein bisschen dran gearbeitet, auch geprobt und so weiter mit den anderen Schauspielern das quasi in so einen Rhythmus zu bekommen, dass es wirklich auch für Elisa passt. Aber natürlich, die Stimmlage verändert sich und so weiter, und die Emotion ist teilweise einfacher für mich zum Beispiel auf Rumänisch zu spielen als auf Deutsch, muss ich sagen. Was ich sehr lustig fand, als ich es so mitbekommen habe, weil ich mich wirklich gefragt habe, woran liegt das. Ich kann es auch bis heute nicht, habe es nicht ergründet, keine Ahnung.
Burg: Sie sind, um noch mal den Kreis zu schließen, 21 und haben bereits den Deutschen Filmpreis gewonnen, waren jetzt zweimal in Cannes, waren bei den Oscars. Es kommen drei Filme in diesem Jahr raus. Was kann man sich da eigentlich noch wünschen? Was wünschen Sie sich fürs nächste Jahr?
Dragus: Es ist so verrückt, ich werde einfach total verrückt mit allem, dieser ganzen Geschichte, die da gerade mir passiert. Ich weiß nicht, wie und womit ich es verdient habe. Ich bin nicht so jemand, der sagt, in der Zukunft wird das dann so und so, oder so wünsche ich mir das für die Zukunft, sondern eher, ich versuche immer, den Moment zu leben. Ganz ehrlich, wirklich, ich habe gestern Nacht um vier aufgehört zu drehen und bin um sieben in den Flieger gestiegen. Wir haben wirklich gestern Nacht unseren Barbara-Albert-Dreh abgeschlossen, er ist jetzt abgedreht, der Film. Und irgendwie heute – ich habe seit bestimmt 30 Stunden nicht geschlafen, und deswegen, ich profitiere immer vom Moment, und so ist es.
Burg: Dann wünsche ich Ihnen erst mal viel Freude, genießen Sie es!
Dragus: Danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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