Margotin / Guesdon: "Bob Dylan - Alle Songs"

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Der Musiker Bob Dylan mit schwarzer Sonnenbrille, aufgenommen bei einer Zeremonie im Weißen Haus in Washington 2012, bei der Dylan eine Friedensmedaille erhielt.
Mit Bob Dylan persönlich konnten die Autoren offenbar nicht sprechen: Sie zitieren aus bereits veröffentlichten Interviews anderer. © imago/Xinhua
Von Uwe Golz · 03.11.2015
Bob Dylans Kunst hat schon viele auf den Plan gerufen. In die Liste der Dylanologen reihen sich nun zwei französische Autoren. Ihr 700-Seiten-Schwergewicht "Bob Dylan - Alle Songs" soll nicht weniger als eine Bibel für alle Fans sein.
Für den schmächtigen Folkie Robert Allen Zimmerman war es ein weiter Weg von Hibbing, Minnesota, erst in das New Yorker Greenwich Village und von dort in den Olymp der populären Kultur. Dort residiert der Mann, der sich nach seinem Vorbild, dem walisischen Schriftsteller Dylan Thomas, seit New Yorker Tagen Bob Dylan nennt, seit Jahren unangefochten, verehrt ob seiner Lieder und Lyrik.
Über Dylans Kunst sind Doktorarbeiten geschrieben worden, Essays und Interpretationen und selbst zum Literaturnobelpreis ist er vorgeschlagen worden. Als aktuelle Dylanologen reihen sich nun die beiden französischen Autoren Philippe Margotin und Jean-Michel Guesdon mit ihrem Schwergewicht "Bob Dylan - Alle Songs" in das Bücherregal ein. "Alle Songs" des Meisters, nebst ihrer Entstehungsgeschichte, ist ein vollmundiges Versprechen vonseiten des Verlags aus, das noch gesteigert wird durch die reißerische Aussage "Die Bibel für alle Fans".
Dylan meldet sich nicht zu Wort
Offen bleibt die Frage, ob jener Bob Dylan diesem Werk seinen Segen gegeben hat, denn die angekündigten Informationen "... aus erster Hand" sind dann doch nicht von Dylan selbst. Der hüllt sich seit Jahrzehnten in mehr oder weniger Schweigen und Interviews mit ihm sind für Journalisten so etwas wie sechs Richtige mit Zusatzzahl im Lotto. Also kommen seine erste und weitere Freundinnen zu Wort, Förderer, Mitstreiter und Musiker und immer wieder lesen wir Interview-Ausschnitte jener glücklichen Journalisten, denen er irgendwann mal ein paar Antworten gönnte.
Leicht gemacht haben es sich die beiden Franzosen sicher nicht, dahinter steckt eine Menge Schweiß und Recherche. Dass sie das können, haben sie ja bereits vor zwei Jahren gezeigt, als sie mit einem Buch über alle Songs und Hintergründe der Beatles ins Rampenlicht traten. Problematisch und schnell zu überprüfen ist dabei die Aussage "alle Songs". Und das Ergebnis: Es sind nicht alle Songs. Margotin und Guesdon beschränken sich auf das Material, das auf Dylans Vertragspartner Columbia Records zu finden ist, doch es gibt halt noch viel mehr Lieder und diese eben nicht auf obskuren Veröffentlichungen, sondern auf ganz regulär erschienen Alben.
Über seinen Song "Talking Bear Mountain Picnic Massacre Disaster Blues" findet sich nur ein Zitat Dave van Ronks, der treibenden Kraft des Folkrevivals der 60er-Jahre, in dem Abastz über Dylans "Song To Woody":
"Die erste (Komposition die ich hörte) war Talking Bear Mountain Picnic Massacre Disaster Blues, ein unsterbliches Epos! Ich erinnere mich, wie er es zum ersten Mal auf der Bühne des Old Gaslight an der MacDougal Street spielte. Ich war niedergeschmettert. Wir waren es alle."
Danach? Nichts mehr! Dieser Blues ist kein Folksong, den Dylan adaptierte, es ist eine seiner Originalkomposition, zu hören in einer Aufnahme aus dem Gaslight Cafe und auf der CD "The Minneapolis Hotel Tape & The Gaslight Cafe * September & December 1961". Auf dieser CD finden sich noch mehr Songs, die man im Buch dann eben nicht findet.
Kaum Neues für echte Fans
Nein, eine Bibel ist dieses 704 Seiten starke Buch nicht. Die Informationen zu den Songs finden sich bei einiger Recherche auch im Internet oder in diversen anderen Büchern, die die angesprochenen Fans oft selbst im Regal zu stehen haben. Ein Vorteil - und vielleicht der einzige dieser Veröffentlichung - ist es, man hat alles griffbereit zur Hand, muss sich aber bei den Einschätzungen zu Dylan Songs auf die Meinung der Kritiker einlassen. Ohne Zweifel ist dieser Bob Dylan eine der wichtigsten Figuren der populären Kultur, er hat beeinflusst und geprägt, hat Dinge ins Laufen gebracht und war in seinen frühen Jahren ein Weltbeweger. Auf seinem Album "Self Portrait" eröffnet "All The Tired Horses" den Songreigen und Dylan lässt einen Frauenchor singen: "All die müden Pferde in der Sonne, wie soll ich denn da reiten können?" Passt irgendwie auch auf dieses Buch.

Philippe Margotin, Jean-Michel Guesdon: "Bob Dylan - Alle Songs. Die Geschichten hinter den Tracks"
Delius Klasing Verlag, Bielefeld 2015
704 Seiten, 166 Farbfotos, 266 Schwarz-Weiß-Fotos, 59,90 Euro

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