Eine Frau, die im eigenen Leben keinen Platz mehr hat

Mareike Krügel ist mit "Sieh mich an" neu auf der Belletristik-Bestenliste des "Spiegel" vertreten. Zu Recht, denn der Roman beschreibt eine grundlegende Frage, die sich viele Menschen stellen. Und das, obwohl er von gerade einmal zwei Tagen im Leben einer Frau erzählt.
1. Darum geht es in "Sieh mich an"
"Sieh mich an" ist richtige Alltagsprosa. Mareike Krügel erzählt unglaublich detailreich von einer Frau, deren Leben eigentlich nur von außen bestimmt ist: von den pubertierenden Kindern, den Krisen ihres Mannes, denen ihrer Nachbarn, durch den Job, den sie hat. Ihre Schwester heult ihr auch noch die Ohren voll.
Katharina, die Ich-Erzählerin, ist eine Frau, die in ihrem Leben selbst eigentlich keinen Platz mehr hat. Und eines Tages stellt sie fest: Sie hat einen Knoten in der Brust. Sie meint nun also, sie müsse bald sterben. Und sie will jetzt nochmal ein ganz normales Wochenende verbringen und niemandem sagen, dass sie diesen Knoten hat. Dabei überprüft sie ihr Leben darauf, wie sie es eigentlich lebt.
2. Deswegen ist Mareike Krügel damit so erfolgreich
Dieses Gefühl, vom eigenen Leben aufgefressen zu werden, kennen sicher viele Frauen, die in etwa in der Mitte des Lebens sind. Es ist auch handwerklich gut gemacht: Man empfindet beim Lesen den Stress richtiggehend mit, wenn schon wieder das Telefon klingelt und Katharina nicht dran gehen kann, weil ihre Tochter, die vermeintlich ADHS hat, gerade in der Reitstunde einen Tobsuchtsanfall bekommt. Oder wenn die beiden Nachbarn endlos das Wohnzimmer belagern und nicht nach Hause gehen, obwohl Katharina eigentlich längst auf dem Weg zum Bahnhof sein und vorher noch ein paar Klamotten für die Tochter einpacken sollte. Da steckt man mit ihr mitten im Alltagsstress.
Das Tolle ist: Dieses Buch spielt nur an einem Freitag und Samstag. Es sind also 250 Seiten, die von zwei Tagen erzählen. Und innerhalb dieser kurzen erzählten Zeit lernen wir die Ich-Erzählerin Katharina sehr genau kennen.
Sie ist eine Frau, die mal große Ideale hatte und etwas Besonderes aus ihrem Leben machen wollte. Sie ist sehr klug, hat Musik studiert. Früher war sie eine, die auf Partys laut gelacht hat, die gern gefeiert hat. Sie war voller Optimismus. Und was sich dann erfüllt hat ist: eine Ehe, ein Haus, zwei Kinder und ein Stunden-Job als musikalische Früherzieherin im Kindergarten. Die Karriere einer Ehefrau. Der Wendepunkt: Sie bekommt Besuch von einem Jugendfreund - und der scheint der einzige in ihrer Umgebung zu sein, der sie wirklich sieht. Darum geht es ja auch im Titel "Sieh mich an".
3. Darum ist das Buch lesenswert
Ich empfehle dieses Buch, weil die Autorin diese grundlegende Erfahrung, ob jemand in seinem eigenen Leben vorkommt, sehr treffend beschreibt. Das hat mich wirklich beeindruckt.
Sprachlich hat es mich dagegen nicht überzeugt. Man liest ja die Gedanken der Ich-Erzählerin. Das wirkt ein wenig "verlabert". Auch wenn es natürlich zu den Schilderungen eines Alltags passt.