Marc Sinan: "Gleißendes Licht"

Trauma einer türkisch-armenischen Familie

06:51 Minuten
Das Cover des Romans "Gleißendes Licht" von Marc Sinan.
© Rowohlt Verlag

Marc Sinan

Gleissendes LichtRowohlt, Hamburg 2023

270 Seiten

24,00 Euro

Von Ingo Arend |
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In seinem autobiografisch grundierten Debütroman arbeitet sich der Komponist und Autor Marc Sinan an den Traumata der deutsch-türkisch-armenischen Geschichte ab. "Gleißendes Licht" ist um die Motive Erinnern, Liebe und Rache herum komponiert.
„Gleißendes Licht“ nannte der Komponist Marc Sinan ein ungewöhnliches musikalisches Projekt. Simultan im vergangenen Herbst in Jena, Buchenwald, Berlin und Tel Aviv uraufgeführt, thematisierte er in seinem Oratorium die nationalsozialistische Vernichtungsmaschinerie.
Dass der 1976 geborene Künstler seinem literarischen Debüt nun denselben Titel gibt, ist kein Zufall. Dem Zusammenhang von Gewalt, Geschichte und Erinnerung spürt er auch in dem autobiografisch grundierten Roman am Beispiel seiner Familiengeschichte nach.

Die Fäden türkischer Geschichte

In dessen Mittelpunkt steht Kaan, ein ehrgeiziger junger Gitarrist und Komponist mit türkischem Hintergrund, der von Kind auf das Gefühl hatte, „besonderes und einzigartig“ zu sein.

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Auch wenn er das allmähliche Werden seines Protagonisten beschreibt, ist „Gleißendes Licht“ kein klassischer Coming-of-Age- oder Bildungsroman. Denn die Person Kaan ist gleichsam der Punkt, in dem alle neuralgischen Fäden der türkischen Geschichte zusammenlaufen.

Profiteur des Genozids

Kaans Mutter Nur verließ einst die Türkei, weil sie ihrer chauvinistischen Gesellschaft entfliehen wollte. Bei den Reisen zu seiner Familie in die Türkei erfährt er, dass seine Großmutter Vahide armenischer Abstammung ist. Ihr Mann Hüseyin wiederum gelang nur als Profiteur des Genozids an den Armeniern der Aufstieg zum erfolgreichen Haselnuss-Unternehmer.

Sinans Roman entwickelt sich nicht linear. In schnellem Tempo springt der Autor zwischen unterschiedlichen Zeitebenen. Mal ist der Schauplatz die Kleinstadt Trabzon am Schwarzen Meer, wo seine Großeltern leben.
Mal spielt der Roman im München am Ende der 80er-Jahre, wo Kaan aufwuchs. Mal 2022 in der Künstlerakademie Villa Tarabya in Istanbul, wo der Protagonist als inzwischen bekannter Künstler ein Stipendium absolviert.

Symbolische Ebene

Ins Bild gerät auch der legendäre armenische Komponist Komitas Vardapet, der ebenfalls dem Genozid an den Armeniern zum Opfer fiel und dessen Kunst Kaan nacheifert.

Sinan zieht seinem Roman zudem eine symbolische Ebene ein, wenn er Kaans Geschichte mit dem türkischen Mythos des Tepegöz parallelisiert. Ein Stoff, den der Autor schon 2014 mit seinem dokufiktionalen Musiktheater „Heldenerzählungen des Dede Korkut“ am Berliner Maxim-Gorki-Theater dramatisiert hatte.

Blutige Verstrickungen

Die Saga von dem einäugigen Monster, Produkt der Vergewaltigung einer Nymphe des Hirtenvolks der Oghusen, der von seinem eigenen Bruder ermordet wird, wird zum Symbol der blutigen Verstrickungen von Gewalt und Geschichte in der Türkei. Die Saga wird auch zur Folie der privaten Rachephantasien Kaans.

Folgerichtig steuert der Roman auf einen dramatischen Höhepunkt zu, als der türkische Präsident Erdoğan, dessen Istanbuler Dienstvilla direkt neben der Villa Tarabya steht, während Kaans Aufenthalt dort zu einem Sommerfest lädt.

Unausgereifte Erzählweise

„Er hat sich entschieden, der Geschichte eine Wendung zu geben. Auch um seiner eigenen Geschichte eine Wendung zu geben“, wird Kaan in diesem Moment klar.

So ambitiös Sinans Konstruktion ist, so unausgereift wirkt seine Erzählweise. Die Reflexionen des Ich-Erzählers und wie er die Protagonist:innen zeichnet, haben oft etwas Atemloses und Skizzenhaftes.
Für die Gleichzeitigkeit von Vergangenheit und Gegenwart, dem Bedürfnis von Erinnern, Liebe und Rache hat der Autor dennoch eine angemessene Komposition gefunden. Sie hebt „Gleißendes Licht“ aus der Masse der Debüts heraus.
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