Mehr als nur Kunst

Noch nie waren "Maori Porträts" von Gottfried Lindauer außerhalb Neuseelands zu sehen. Jetzt sind sie zum ersten Mal auf Reise gegangen und sind in Berlin zu sehen. Das war allerdings an eine Bedingung geknüpft.
Maori - Gospelgesang
Eine Prozession singender und tanzender Frauen und Männer, die Männer fast unbekleidet, manche mit Federn im Haar und am ganzen Körper tätowiert, die Frauen mit bunten Umhängen geschmückt. So geht es durch die Säle der Alten Nationalgalerie, vorüber an den Gemälden der Deutschen Romantik und des Klassizismus, hinüber zu den Gemälden Gottfried Lindauers, ausnahmslos Portraits von den Vorfahren jener Maori, die hier nun Bild für Bild mit einem Segensspruch versehen und so die Verbindung zwischen dem Ort der Ahnen, Neuseeland und dem Ort des Schöpfers dieser Bilder, Mitteleuropa, herstellen.
Maori - Segensgesang
Diese Bilder sind mehr als Bilder, wird ein sichtlich bewegter Udo Kittelmann danach sagen, der Direktor der Nationalgalerie, sie sind wie lebendige Wesen, die sich auf die Reise gemacht haben.
"Ich gebe gerne zu, dass ich mit der Zeremonie eben schon die Idee bekam, die Pressekonferenz am liebsten gar nicht mehr abhalten zu wollen, weil es doch sehr bewegend ist, weil es auch so sehr deutlich macht, dass wir uns eben dann doch in einer anderen Atmosphäre, in einer fremden Atmosphäre befinden."
Gelebte Tradition
Ein solches Spektakel hat die Alte Nationalgalerie vermutlich wirklich noch nie gesehen, und obwohl sich die Maori bei ihrer Segnungszeremonie bereitwillig von einer ganzen Horde von Pressevertretern begleiten lassen, spürt man doch, dass es hier nicht um ein folkloristisches Event geht, sondern um eine gelebte Tradition. Und gerade das macht wiederum auch die Maori-Portraits Gottfried Lindauers. So außergewöhnlich.

Das Ölgemälde "Mrs Paramena" (1885) von Gottfried Lindauer - das Bild ist Teil der Ausstellung "Die Maori Portraits".© picture alliance / dpa / Auckland Art Gallery
Denn der 1839 im böhmischen Pilsen geborene und in Wien ausgebildete Maler pflegt in seinen Gemälden einen erkennbar den europäischen Stil seiner Zeit, einen repräsentativen Realismus, wie man ihn von Herrscherbildnissen kennt. Nachdem Lindauer jedoch 1874 nach Neuseeland ausgewandert war, machte er gerade in der neuen Umgebung als Porträtist Karriere. Kuratorin Britta Schmitz:
"Die Standesportraits im Stile eines Bildnistyps höfischer Repräsentanz verzeichneten die seltenen und heiligen Federn, den kostbaren Halsschmuck, die traditionellen und neuen, modernen Waffen. Die Assimilierung an die neuen Kleider der Kolonialisten ebenso wie Errungenschaften, als Maori ins Parlament einziehen durften und Politiker wurden."
Die über lange Zeit von den weißen Kolonialherren unterdrückten Maori entdeckten nach und nach Mittel und Wege, sich den Bedingungen der Kolonialherrschaft anzupassen. Dazu gehörten nicht nur Karrieren in den Institutionen, sondern auch Bilder, die die führenden Maori im Stil europäischer Herrschaftsportraits zeigten. Auf diese Weise wurde Gottfried Lindauer mit seinen von den Maori selbst beauftragten Portraits zu einem Teil ihrer Tradition.
Hüter des Schatzes
Und Rhana Devenport, Direktorin der Auckland Art Gallery, die diesen Bilderschatz beherbergt, weiß, dass jedes Museum, das diese Bilder zeigt, selbst zu einem Teil dieser Tradition wird.
"Die Werke Gottfried Lindauers gehören uns nicht. Die gesamten Maori-Bestände unserer Sammlung gehören uns nicht. Wir sind nur die Hüter dieses Schatzes, und diese Verbindung zu den Werken ist entscheidend. Sie betrifft die gesamten Bestände der Auckland Art Gallery, und das ist in der Welt der Museen ein einzigartiges Konzept."
Einzigartig ist auch Gottfried Lindauers Werk in der scheinbaren Selbstverständlichkeit, mit der sich in ihm europäische Kunstgeschichte und Stammestraditionen Ozeaniens verschränken. Es entzieht sich damit den üblichen Kategorien der Rezeption; es lebt nicht von der Bewunderung exotischer Schönheit, wie später die Südseebilder Gaugins oder Emil Noldes.
Es ist auch kein ethnologisches Werk, das etwa nur auf die Überlieferung einer aussterbenden Kultur zielt. Für die Maori ist es nach wie vor Teil ihrer Gegenwart und als solches relevant und tatsächlich mehr als nur Kunst, als Kunst zumindest im herkömmlichen europäischen Sinn.