Lana Bastašić: "Mann im Mond"

Kinder in einer traumatisierten Gesellschaft

05:36 Minuten
Das Cover des Buchs „Mann im Mond“ von Lana Bastašić zeigt eine Illustration einer Planze vor einem nächtlichen Himmel mit drei Monden.
© S. Fischer Verlage

Lana Bastašić

Übersetzt aus dem Bosnischen von Rebekka Zeinzinger

Mann im MondFischer, Frankfurt 2023

208 Seiten

24,00 Euro

Lara Sielmann im Gespräch mit Frank Meyer · 03.02.2023
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Eltern vernachlässigen oder missbrauchen die, die sie eigentlich schützen sollten: ihre Kinder. Aus der Perspektive der Opfer schreibt die bosnische Autorin ihre Erzählungen. Im Hintergrund: eine vom Krieg traumatisierten Gesellschaft.
Die Hände der jungen Ich-Erzählerin in der Kurzgeschichte „Vorspielabend“ zittern kurz, bevor sie das Violoncello beginnt zu spielen. Süß sähe sie aus, hatte sie noch vom Bühnenrand gehört: blaues Kleidchen, schwarze Ballerinas, ein französischer Zopf.
Fein hatte die Mutter sie herausgeputzt, doch ausgerechnet diese ist gar nicht beim Vorspiel in der Musikschule mit dabei. Sie liegt leicht verwahrlost – ungewaschen und in Jogginghose – auf dem Sofa und wartet sehnsüchtig auf den Anruf ihres Mannes, wie fast jeden Tag und jede Nacht. Viel ist er nicht zu Hause, beruflich meist am Reisen.
Einst trug die Mutter selbst ein blaues Kleid, an dem Tag lernte sie ihren Mann kennen – eine der vielen Geschichten, die sie ihrer Tochter immer und immer wieder erzählt.

Hoffnung, dass die Mutter sich duscht

„Doch ich hatte nicht das Gefühl, ohne Vater aufzuwachsen. Am meisten war er anwesend, wenn er nicht da war, weil dann deine Geschichten anfingen (…) Du erzähltest mir von euerer Hochzeit. Am liebsten mochtest du es, die Komplimente zu zitieren, die du da an diesem Tag bekommen hattest.“
Eine Lebendigkeit geht von der namenlosen Mutter aus, wenn sie von den glücklichen Tagen mit ihrem Mann erzählt, Stimmen macht sie nach und lacht. Ein großer Kontrast zu der depressiven, sich nicht kümmernden Frau, für die die Tochter extra ein Kleid herausgelegt hat, für ihr Vorspielen, in der Hoffnung, die Mutter würde sich duschen, sich ebenfalls schön machen und ihr zu sehen.

Junge Menschen, die zu viel aushalten müssen

In insgesamt zwölf Geschichten erzählt die bosnische Autorin Lana Bastašić von jungen Menschen – Kindern wie Jugendlichen –, die ausgeliefert sind: ihren Eltern, der Gesellschaft, den politischen Verhältnissen. Für sie stellt ihr Zuhause keinen Schutzraum dar, im Gegenteil:
Dort werden sie misshandelt – körperlich, sexuell wie seelisch –, müssen schweigen, opfern sich zum Teil für ihre Eltern auf, die sie lieben und deren Aufmerksamkeit sie möchten. Sie werden selbst zu Tätern und Täterinnen, verlieren ihren Glauben und leben in ständiger Angst.

Verweise auf Bosnienkrieg

Intensiv, schonungslos und aus einer kindlichen Perspektive heraus erzählt Lana Bastašić in „Mann im Mond“. Pointiert, schlaglichtartig geht die Autorin auf die verschiedenen Lebensumstände ihrer jungen Figuren ein. Wie Puzzleteile lesen sich die einzelnen Erzählungen, wie Bruchstücke von Biografien möglicher Romanfiguren.
Und doch stehen die zwölf Kurzgeschichten für sich als schmerzhafte Sammlung dessen, was junge Menschen aushalten müssen, wenn die Erwachsenen selbst nicht mehr in Lage sind, sich zu kümmern, sich sogar an ihren Kindern vergreifen – selbst überrannt von Ängsten, Verzweiflung, Wut und Ohnmacht.
Das sind Gefühle, die die von Lana Bastašić beschriebene Gesellschaft nur zu gut kennt. Es klingt immer wieder nach Verweisen auf den Bosnienkrieg oder auf die (zerfallene) Sowjetunion.
Nicht zuletzt steckt eine zutiefst patriarchale Gesellschaft dahinter, in der Frauen sich zu fügen haben, früh heiraten, Kinder bekommen, alleine gelassen werden.
Ein literarisch intensives Porträt, auch dank der Übersetzung von Rebekka Zeinziger, die den kindlichen Blick und Tonfall gekonnt und ohne Sentimentalität ins Deutsche überträgt.

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