Manifesta Barcelona

Kunst im Schatten der Schornsteine

Zu sehen ist ein ehemaliges Heizkraftwerk in Barcelona am Strand. Das Kraftwerk wird dominiert von drei riesigen Schornsteinen.
Zugänglich für die Öffentlichkeit: Das außer Betrieb gesetzte Heizkraftwerk Sant Adrià de Besòs in Barcelona ist einer der Hauptspielorte der Manifesta. © IMAGO / Panthermedia / elxeneize
Von Laura Helena Wurth |
Die Wanderbiennale „Manifesta“ will kein Kunstwanderzirkus sein. Vielmehr soll sie in der Stadt wirken, in der sie stattfindet. Das tut sie in Barcelona vor allem dadurch, dass sie herausragende Architektur künstlerisch bespielt.
Man denkt, man wäre auf dem Mond oder in der Wüste gelandet, wenn man das Gelände der “Drei Schornsteine” betritt. 200 Meter erheben sich die riesigen Türme als “Kathedrale der Arbeiter” über Barcelona. Direkt neben ihnen rauscht das Meer. Seit 2011 sind sie geschlossen, jetzt sind sie das erste Mal wieder für die Öffentlichkeit zugänglich.
Das ehemalige Heizkraftwerk ist einer der Hauptspielorte der 15. Manifesta. Die Kunstbiennale findet zu ihrem 30. Jubiläumsjahr in Barcelona statt. Aber nicht da, wo die Ramblas von Touristen überflutet werden und manchmal auch Wasserpistolen herausgeholt werden, um sie zu vertreiben; nicht da, wo die Mieten so teuer geworden sind, dass dort kein Einheimischer mehr wohnen kann.
Die Manifesta findet in der sogenannten Metropolregion statt, im Untertitel “Metropolitana” genannt. Das sind elf Städte rund um Barcelona. In denen hat sich die nomadische Wanderbiennale eingenistet, die alle zwei Jahre in einer anderen europäischen Stadt stattfindet.

Den Herausforderungen der Zukunft begegnen

Die Manifesta hat den Anspruch, kein Kunstwanderzirkus zu sein, sondern nachhaltig die Stadt und ihre urbane Struktur zu beeinflussen. Seit ein paar Ausgaben versteht sich die Schau auch nicht mehr als klassische Kunstbiennale, sondern als Stadtentwicklungsprogramm.
Bevor die Kunst kommt, gibt es eine architektonische Bedarfsstudie. Bei der wird geschaut, was man in der Stadt braucht.
Das große Oberthema dieser Manifesta wird manchmal auch als “soziokulturelle Handlungsaufforderung” definiert. Man will nichts weniger als das Leben in der Stadt besser machen und sie auf die Herausforderungen der Zukunft vorbereiten.
Dafür wagt man den Blick zurück in die Vergangenheit der Stadt. Das bringt die Menschen an ungewöhnliche und sonst teilweise der Öffentlichkeit verborgene Orte.
So ist in einem Kloster aus dem 11. Jahrhundert die Videoarbeit der katalanischen Künstlerin Mónica Rikić zu sehen. Sie hat gemeinsam mit Wissenschaftlern des Fachbereichs Robotik und Informatik der Universität Barcelona einen Roboterarm entwickelt. Der hilft Menschen, sich Nahrung zuzuführen, wenn sie es nicht mehr eigenständig können.
Hier vermischen sich Kunst und Forschung. Sie gestalten gemeinsam eine Zukunft, die viel näher ist, als viele denken.

32 Millionen Touristen per Jahr

In der “Casa Gomis", einer Villa aus den 1960er-Jahren, die sonst nicht öffentlich zugänglich ist, bilden sich einige der drängendsten Probleme Barcelonas ab. In unmittelbarer Nähe zum Flughafen werden die Geräusche des Sommers – das Zirpen der Grillen und das Rauschen des Ozeans – minütlich durch startende oder landende Flugzeuge zerrissen.
Als das Haus erbaut wurde, war der Flughafen noch in sicherer Entfernung. Nur selten kamen Flugzeuge. Keiner rechnete damit, dass heute jährlich rund 32 Millionen Touristen in die Stadt einfallen. Die meisten von ihnen kommen mit dem Flugzeug.
Bis in die Mitte der 1990er-Jahre wohnte die Familie Gomis noch dort, heute ist die Gegend lebensfeindlich geworden. Die Villa mit ihren riesigen Fenstern und perfekt eingepassten Holzeinbauten ist nichts weiter als eine leere Hülle, die von vergangenen Zeiten erzählt.
Die Manifesta hat dort unter anderem das Projekt der "Embassy of the North Sea” untergebracht. Sie kümmert sich in partizipativen Projekten darum, dass der nahe gelegene Fluss, der jahrzehntelang durch die Textilindustrie verschmutzt war, wieder zugänglich wird.
Das Projekt der "Embassy of the North Sea” fordern die Anwohnerinnen und Anwohner dazu auf, die Fische des Flusses zu fangen, per App zu bestimmen und wieder freizulassen. Damit man sich dem Fluss wieder annähert und sich in Zukunft hoffentlich besser um ihn kümmert.
In diesem Jahr löst sich das Versprechen ein, dass es hier nicht nur um Kunst, sondern auch um die Zukunft Barcelonas geht, vor allem an den eingangs erwähnten “Drei Schornsteinen” ein. Man schreitet durch ein Tor, über dem eine Flagge von Jeremy Deller weht, darauf zu lesen: “Speak to the earth and it will tell you.”

Kunst, die mit der Natur spielt

Mit der Erde oder der Natur zu sprechen, versuchen einige der Arbeiten, die man in den imposanten Industriehallen sehen kann. Asad Raza hat 20 Meter lange Stoffbahnen aus weißer Gaze unter die Decke gehangen und die Fenster herausnehmen lassen. So kann der Wind des Mittelmeeres, der Schirokko, die Stoffe sanft bewegen und zum Tanzen bringen.
So viel Leichtigkeit und Eleganz in dem ehemaligen Kraftwerk - als würden sich die Geister der industriellen Vergangenheit verabschieden; sie tanzen durch den Raum. Die Arbeit gehört zu den visuell beeindruckendsten dieser Manifesta. Allemal ist sie diejenige, die am häufigsten auf Instagram abgebildet wurde.
Diana Scherer hat einen Teppich aus Hanfgras wachsen lassen. Sie nennt ihre künstlerische Herangehensweise eine “Kollaboration mit der Natur”. In das Gras hat sie Formen, die typisch katalanisch sind, eingebaut, sodass das Gras drum herum wächst.
Man sieht dort Formen, die schon der berühmte Architekt Antoni Gaudí in seiner Arbeit verwendete. Scherer überführt das Künstliche wieder zurück in die Natur und verbindet die Tradition mit dem Fortschritt.
Dass man die Zukunft nicht ohne die Vergangenheit denken kann, zeigt diese Manifesta. Aber sie zeigt auch Versionen einer möglichen Zukunft, in der Mensch und Natur miteinander statt gegeneinander arbeiten.
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