Mamoun Fansa und die Kulturmetropole Aleppo

Wiederaufbau mit Worten

Ein Kind geht durch die Trümmer des ehemals belagerten Ostteils von Aleppo.
Der Ostteil von Aleppo liegt in Trümmern. Mamoun Fansa will deshalb zumindest die Erinnerungen an die Stadt wachhalten. © dpa / Simon Kremer
Von Cornelia Wegerhoff  · 26.02.2018
Die Kämpfe in Aleppo sind vorbei, doch der Ostteil der Stadt liegt in Trümmern. Für einen Wiederaufbau setzt sich auch der Archäologe Mamoun Fansa ein und will mit dem Buch "Aleppo literarisch" die einstige Kulturmetropole Syriens literarisch am Leben erhalten.
"Aleppo, Du bist ein einziger Suq ('Markt'), alles türmt sich in Dir, alles in Hülle und Fülle …
Goldketten, Armbänder, Ohrringe … Gold, Gold
Goldzähne blitzen
Schafsköpfe, Rindsleber, Gummibänder, Kopftücher, Seifen, Seifen, Seifen …"
Der Basar von Aleppo – ein magischer Ort, voller Waren, voller Leben. Immer wieder führen die Gedichte und Geschichten in dem von Mamoun Fansa herausgegebenen Buch in die endlos langen Gänge, beschreiben das Gewimmel, die Gerüche, das Gefeilsche. Wer das liest, steht gedanklich mitten in den orientalischen Gassen.
Doch die Magie dieses Jahrhunderte alten Ortes ist dem Bürgerkrieg genauso zum Opfer gefallen wie die Hunderttausenden Syrer, die bisher ums Leben kamen. 2012 wurde der Basar während der schweren Kämpfe um Aleppo durch einen Großbrand weitestgehend zerstört. Mamoun Fansa und die Autoren in seinem Buch können nur in Erinnerungen schwelgen.
"Der Basar ist einer der ältesten Basare der Welt, hat einen Umfang von zwölf Kilometern Länge. Und so ein Basar lebt natürlich nur von den Menschen und von den Händlern. Und ob es wieder möglich ist, das aufzubauen, wie es vorher war, möchte ich bezweifeln."

Ein Weltkulturerbe, das lebt

Mamoun Fansa ist Archäologe. Seit Jahren arbeitet er zusammen mit anderen internationalen Experten an Strategien zum Wiederaufbau der historischen Altstadt von Aleppo. Der 71-Jährige lebt in Berlin. Schon in jungen Jahren hat er Syrien verlassen, um nicht im Krieg gegen Israel dienen zu müssen. Aber die Liebe zu seiner Geburtsstadt Aleppo ist sein Leben lang geblieben.
"Ich sage immer dazu: In Aleppo, in der Altstadt hat man gelebt, gehandelt, gesprochen. Anders als etwa in Palmyra. Das ist ein Weltkulturerbe, deren Erhalt sicherlich auch wichtig ist, aber die Altstadt von Aleppo ist ein Weltkulturerbe, das noch am Leben ist."
Denn anders als Palmyra war Aleppo bis in die Neuzeit eine pulsierende Metropole, eng verbunden mit ihrer fast 4000 Jahre alten Geschichte. Fansa erinnert sich in seinem Buch noch an den typischen Geruch in der Seifenfabrik, in der er seinem Vater als Kind geholfen hat, den Namensstempel der Familie in die Ware zu pressen. Aleppinische Seife ist seit dem Mittelalter im ganzen Orient berühmt. Sie war auch ein beliebtes Souvenir der vielen Touristen, die früher nach Aleppo kamen, um die Altstadt zu sehen – Vergangenheit.
"Also in etwa 70 Prozent der Altstadt ist zerstört. Und als ich mich hingesetzt habe und nicht mehr wissenschaftlich gearbeitet habe, sondern ein bisschen literarisch, habe ich auch gemerkt, wie schmerzhaft dieser Verlust der Altstadt ist. Man kann nur darüber erzählen. Und das ist mein Ziel, diese immaterielle Kultur, die leicht verloren gehen kann, in irgendeiner Form zu erhalten."

Die kollektiven Erinnerungen dürfen nicht verlorengehen

Ungewöhnlich bei Fansas Projekt: Die Autoren, die an den insgesamt 112 Seiten mitwirkten, sind allesamt keine Schriftsteller, sondern wie er selbst Archäologen oder Kunsthistoriker und Soziologen. Ihre Beobachtungen, die Beschreibung von den Gewohnheiten der Bewohner Aleppos, die Übersetzung traditioneller Erzählungen, aber auch Kinderspiele und Sprichwörter sollen zum kollektiven Gedächtnis beitragen.
"Der Nachbar ist wichtiger als die Wohnung."
Heißt es da zum Beispiel. Aber es wird auch gewarnt:
"Der Wolf ändert sein Fell, aber nicht die Natur."
Besonders berührend ist ein Essay zur aleppinischen Musik, die täglich durch die Altstadtgassen hallte, bis die Bomben sie verstummen ließen.
"Je nach Jahreszeit werden sogar unterschiedliche Orte im Haus, Hawsh genannt, für die privaten Konzerte gewählt. In der warmen Jahreszeit finden Konzerte im Freien in der schattigen Lage des Iwan statt, eines mit einem Spitzbogen gewölbten Raums, der immer nach Norden ausgerichtet ist und sich zum Hof hin öffnet, um im Schatten zu liegen."

Kein Wasser, kein Strom, kein Dach über dem Kopf

Heute liegt immer noch der Schatten des Krieges auf Aleppo. Zwar sind die Kämpfe seit Dezember 2016 vorbei. Die Assad-Truppen haben die Stadt unter ihrer Kontrolle. Im Westteil Aleppos ist inzwischen weitestgehend Normalität eingekehrt. Doch im einst aufständischen Osten werden die Menschen bis heute abgestraft. Sie leben immer noch in Trümmern, haben nur stundenweise Strom, knapp Wasser. Ist da das Kulturerbe überhaupt Thema, muss sich Mamoun Fansa oft fragen lassen:
"Natürlich sagen auch viele: Die Leute müssen auch erst mal ein Dach über dem Kopf haben. Aber ich sage: Wenn die Altstadtbewohner nicht mehr zurückgehen, da kommen auch andere, die mit der Altstadt nichts zu tun haben. Dann ist das für alle Mal verloren."

Mamoun Fansa (Hrsg.): Aleppo literarisch: Gedichte, Geschichten, Sprüche
Nünnerich-Asmus-Verlag 2018
112 Seiten, 19,90 Euro

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