Mali-Intervention ist "eine Form des Neokolonialismus"

Salah Hassan im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 04.02.2013
Der sudanesische Kunsthistoriker Salah Hassan ist verwirrt, wie positiv die französische Militäraktion in Mali generell aufgenommen wird. Dabei sei sie ein typisches Beispiel dafür, wie ehemalige westafrikanische Kolonien noch immer von Frankreich abhängig seien.
Stephan Karkowsky: Der französische Militäreinsatz in Mali findet nicht nur Zustimmung. Vor allem von links wird kritisiert, dass Frankreich hier weniger die Freiheit des malischen Volkes antreibe, als vielmehr die Sicherung der eigenen Wirtschaftsinteressen. Sogar von Neokolonialismus ist die Rede. Dabei wird viel über "die Afrikaner" gesprochen, aber wenig mit ihnen: Wir wollen das anders machen und haben uns einen international bekannten afrikanischen Kunsthistoriker ins Studio geholt: Der Sudanese Salah Hassan lehrt an der Cornell-Elite-Universität im US-Bundesstaat New York. Er hat zahlreiche internationale Ausstellungen kuratiert und war Teilnehmer der dOCUMENTA (13). Am Wochenende koordinierte er in der Akademie der Künste in Berlin ein Symposium des Goethe-Institutes zum Kosmopolitismus, Herr Hassan – herzlich willkommen!

Salah Hassan: Ich bin Ihnen natürlich sehr dankbar, dass Sie mich hier eingeladen haben. Und viele der Fragen, die Sie jetzt schon angerissen haben, haben natürlich auch bei unserer Konferenz eine Rolle gespielt, in der es ja um Kosmopolitismus und Afrikanismus eben auch geht. Und es ist schon ironisch, wie Sie mit Mali eingestiegen sind, weil das natürlich auch im Kontext der Konferenz einen großen Raum eingenommen hat und sehr viel über die Beziehung zwischen Afrika und Europa aussagt, auch über diese sehr widersprüchlichen kolonialen Beziehungen, die es da in der Vergangenheit gegeben hat.

Über die Form eines neuen Kolonialismus, den Sie ansprachen, aber auch überhaupt generell über Postkolonialismus. Und was Mali betrifft, werde ich Ihnen ganz ehrlich meine offene Meinung sagen: Es verwirrt mich, wie positiv die Intervention von Frankreich generell aufgenommen wird. Ich würde doch eher dazu tendieren, das auch als eine Form des Neokolonialismus zu werten. Und es sagt sehr viel über die Schwäche der postkolonialen afrikanischen Staaten aus.

Karkowsky: Frankreichs sozialistischer Präsident François Hollande war ja gerade mit dem Anspruch angetreten, die Reste der Kolonialzeit abzustreifen. Er wollte ein Afrika auf Augenhöhe, für das Frankreich keine Verantwortung mehr trägt. Doch dann musste er einsehen, dass ECOWAS – also das Pendant zur Europäischen Union –, dass ECOWAS allein nicht in der Lage ist, eine Krise wie die in Mali zu bewältigen. Oder glauben Sie, es wäre besser gewesen, wenn Frankreich sich rausgehalten hätte?

Hassan: Also wie gesagt, ich möchte Ihnen da wirklich ganz klar meine Meinung sagen, wie ich es bereits angedeutet habe. Was wäre denn passiert, wenn etwas Ähnliches passiert wäre wie in den 1980er- und 1990er-Jahren, als es durchaus, nennen wir Somalia, die Möglichkeit gab einer afrikanischen Interventionstruppe, um politische Instabilität in diesen Regionen aufzulösen. Und es ist ja so, dass die afrikanischen Truppen, die überhaupt in der Lage sind, solche Interventionen durchzuführen, nur aus den vier Staaten kommen können, die über eine sehr starke Armee und einen sehr starken Militärapparat verfügen, und das sind Ägypten, das ist Südafrika, das ist Nigeria und das ist Algerien.

Und es hat ja durchaus Beispiele gegeben, wie in Liberia und in Sierra Leone, und das ist ja auch von der lokalen Bevölkerung damals durchaus positiv aufgenommen worden. Und die Sensibilität von afrikanischen Soldaten gerade gegenüber der Zivilbevölkerung, gegenüber von Frauen und Kindern, ist einfach größer. Und ich hätte es mir einfach gewünscht, auch als Symbol, dass Frankreich und auch die USA eine afrikanische Intervention unterstützen. Das wäre mir, ehrlich gesagt, lieber gewesen. Aber in Mali beispielsweise ist ein typisches Beispiel dafür, mit einer ganz, ganz schwach ausgebildeten Armee. Ich war selbst erstaunt zu erfahren, dass es dort nur 7000 Soldaten gab. Die meisten von denen sind auch noch desertiert, als es die Auseinandersetzung mit den radikalen Islamisten gab, und das ist ein typisches Beispiel einer Abhängigkeit einer ehemalige französischen Kolonie, wie wir sie in Westafrika doch sehr häufig finden. Und Mali war nicht nur militärisch abhängig, sondern auch ökonomisch. Und das ist schon bezeichnend für ehemalige französische Kolonien, die eigentlich in den letzten Jahren auch von Frankreich in gewisser Weise kontrolliert worden sind.

Aber ich möchte noch etwas Wichtiges hinzufügen: Man macht es sich in letzter Zeit sehr einfach, alles immer sich auf die Fahnen als Kampf gegen den Terrorismus zu schreiben und immer gleich von Terroristen zu reden und sie damit natürlich auch zu isolieren. In der Sahararegion, also im Norden Malis, aber auch in Algerien und in anderen umliegenden Ländern ist die Situation einfach sehr viel komplizierter. Es gibt sehr viele verschiedene Gruppen, darunter sind auch säkulare Gruppen beispielsweise, die im Konflikt zur Zentralregierung in Mali stehen. Also das sind natürlich die Tuareg, das sind die Azawad, das ist Ansar Dine, aber wie gesagt, da sind auch sehr viele Säkulare mit dabei, man kann die nicht einfach so alle zusammenwerfen und so isolieren.

Und wenn diese französische Intervention dann irgendwann mal beendet ist und man sich wieder ernsthafter mit den Problemen auseinandersetzt, dann muss man diese Ungerechtigkeiten beseitigen, die es immer gegeben hat. Wie mit den Nomaden im Norden Malis von der Zentralregierung umgegangen ist. Und ihr Kampf für ihre eigenen Rechte ist durchaus auch ein legitimer Kampf, aber das ist natürlich alles eskaliert, das hat mit sehr vielen Faktoren zu tun. Es gab eine sehr große Dürre, dann ist das Gaddafi-Regime gestürzt worden, dadurch sind sehr viele Kämpfer in Mali eingedrungen. Plötzlich waren Waffen mit im Spiel. All das hat zu dieser Eskalation geführt.

Karkowsky: Sie hören im Radiofeuilleton den New Yorker Kunsthistoriker Salah Hassan von der Cornell University. Herr Hassan, mal angenommen, Ihre Analyse ist die richtige, das heißt, die malische Armee war zu klein, um sich selbst zu wehren, und es gab ja auch keinen Vorstoß der ECOWAS, selbst eine Truppe aufzustellen, rechtzeitig genug. Zeit ist ja hier ein wichtiger Faktor. Ist es dann nicht unfair, Frankreich neokoloniale Interessen zu unterstellen? Weil irgendjemand musste dort ja helfen, und wer, wenn nicht Frankreich? Außerdem ist es ja auch so, dass Frankreich tatsächlich eine Allianz afrikanischer Soldaten dort anführt?

Hassan: Ich denke, natürlich war die Situation, die Fragmentierung und auch die Zerstörung des malischen Zentralstaats ein riesengroßes Problem. Und Sie haben vollkommen recht, dass Zeit ein wichtiger Faktor in diesem Fall war, aber man sollte vielleicht auch daraus lernen, dass die afrikanischen Staaten eine größere Einheit untereinander anstreben sollten. Da ist die EU durchaus ein Modell dafür. Aber: Diese Situation ist ja nicht erst seit drei Wochen entstanden, sondern in etwa vor zehn Monaten, als Gaddafi gestürzt worden ist, als es diese Intervention im Norden Malis gab.

Und ich hatte die Hoffnung am Anfang, dass es die afrikanischen Staaten selber wären, die dort eingreifen. Das wäre auch eine große Chance gewesen für Afrika. Das wäre eine große Chance gewesen, das afrikanische Problem selber zu lösen und nicht auf die französische Intervention zu warten. Und nein – ich kann den Franzosen da wirklich nicht dankbar für sein, weil, wie gesagt, es ist eine komplexe Situation. Es gibt Ungerechtigkeiten, was die Tuareg betrifft. Sie vertreten eine legitime Sache. Insofern unterstütze ich da die Kritik, die hier in Europa eher von links kommt, und ich finde, man muss da auch sehr aufpassen, dass wir nicht in eine Lage in Mali geraten wie zum Beispiel in Afghanistan oder im Irak, wo alles am Ende nur zerbombt worden ist.

Und da müssen wirklich auch die Belange, die gerechten Belange der Tuareg mit berücksichtigt werden. Und ich finde, das ist noch keine Rechtfertigung für die französische Intervention, und wir müssen vor allen Dingen in einer Zeit danach die richtigen Lektionen lernen, um nicht wieder in solche neokolonialistische Lösungen zu verfallen. Und das Problem ist, welche Alternative gibt es für den Mali, welche Alternative gibt es überhaupt? Und dann müssen wir letztendlich auch das lernen, was wir aus dem Libyenkonflikt gelernt haben, wo immer damit argumentiert worden ist, mit der Schwäche von einzelnen Staaten, andererseits mit der Bösartigkeit von gewissen radikalen islamistischen Gruppen, die natürlich Kulturgüter zerstört haben, die Schriften zerstört haben, und das hat man dann sozusagen so interpretiert, dass man gesagt hat, okay, dann müssen wir da eingreifen, dann müssen wir dort Hilfe leisten.

Als Sudanese kann ich da nur sagen, das wäre, wie zu sagen, dann lasst mal den Teufel kommen und helfen. Weil meine eigene Situation zurzeit einfach so unmöglich ist und so ausweglos. Aber was wirklich wichtig ist, und das müssen wir versuchen, im Rahmen der Akademie eben auch zu lösen, das müssen wir Intellektuelle auch mit anschieben, ist, eine Diskussion über neue Modelle zu führen, die nichts mehr mit kolonialistischen Modellen zu tun haben. Sonst wird es zu einem ewigen Konflikt, wie wir ihn heute in Afghanistan haben, wie wir ihn im Irak haben und, in einem gewissen Sinne auch in Palästina haben.

Karkowsky: Am Wochenende war er Koordinator eines Symposions des Goethe-Institutes in Berlin, im Hauptberuf lehrt er als Kunsthistoriker an der Cornell University im US-Bundesstaat New York. Dass er ein sehr politischer Mensch ist, das haben Sie selbst gehört, als er uns seine Sicht geschildert hat auf den französischen Militäreinsatz in Mali. Der sudanesische Professor Salah Hassan – Danke, dass Sie bei uns waren!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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