Maker-Szene

Beatmungsgeräte im Eigenbau

06:53 Minuten
3D Modell basierend auf einem Open-Source-Vorschlag der Rice University, erstellt von Jonas Ohnemus
3D Modell basierend auf einem Open-Source-Vorschlag der Rice University, erstellt von Jonas Ohnemus © Jonas Ohnemus
Von Moritz Metz · 28.03.2020
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Krankenhäuser auf der gesamten Welt brauchen in der Corona-Krise mehr Beatmungsgeräte. Projektgruppen aus der Maker-Szene arbeiten deshalb an Lösungen für einfache Beatmungsgeräte – und die sind durchaus vielversprechend.
Ein durchsichtiger Silikonbeutel in der Form eines Rugbyballs, an dessen spitzen Enden sich Ventile und Schläuche befinden: Solche preiswerten Beatmungsbeutel gehören zur Standard Notarzt-Ausrüstung. Die sterilen Lungen-Blasebälge pumpen Umgebungsluft oder zugeleiteten Sauerstoff in die Patientenlunge und retten damit Leben.
In der Coronakrise könnte die bislang manuelle Blasebalg-Bedienung motorisiert ablaufen. Daran arbeiten gerade verschiedene Gruppen aus der Maker-Szene: In einem Video ist zu sehen, wie ein 3D-gedruckter Hebelarm den Beatmungsbeutel rhythmisch komprimiert. Bei anderen Designs wird ein um den Blasebalg gelegter Gürtel enger gespannt, gelöst, enger gespannt.

Verschiedene Berufe – ein gemeinsames Ziel

Das ist auch die Mechanik des deutschen DIY-Beatmungsgeräts, dessen Gruppe sich im Rahmen des #WirvsVirus-Hackathon bildete. Vor Corona hätte sich wohl keiner der Teilnehmenden an ein solches Projekt gewagt.
"Ich glaube, das wäre überhaupt gar nicht machbar, da würde keiner auf den Gedanken kommen, so etwas überhaupt anzufangen", sagt Gerlinde Michel. Seit zwanzig Jahren entwickelt sie als Senior Engineering Manager Medizinprodukte – teils komplexe Systeme, wo Mechanik, Elektronik und Software zusammenkommen. So wie beim Beatmungsgerät, zu dem sie jetzt ehrenamtlich beiträgt.
Einer ihrer Mitstreiter ist der Stuttgarter Ingenieur und Maker Guido Burger. Seit letztem Wochenende kommt er seltener zu seinem Hauptberuf als zu seinem Hobby. Doch von den Mitgliedern der Hackathon-Gruppe hat er bereits viel gelernt: "Das sind Medizintechniker, Rettungssanitäter, Programmierer, 3D-Designer, Konstrukteure oder Leute, die sich mit Sensortechnik auskennen und die selbst ein Netzwerk mitbringen, was sie auch am Wochenende aktivieren können: 'Mensch, ich kenne da jemanden, der arbeitet im Krankenhaus im Intensivbereich, können wir den mal für fünf Minuten kriegen?''"

Ausgereifte Sensorik und Steuerungssoftware

Krankenhäuser kennen zwei Kategorien von Beatmungsgeräten: einfachere für Vorzimmer und Operationssäle und hochkomplexe für Intensivstationen. Geräte der zweiten Kategorie ohne jahrzehntelange Erfahrung aus dem Ärmel zu schütteln, das ist selbst für hartgesottene Erfinder und Bastler illusorisch.
So basieren fast alle Internet-Designs auf der simplen mechanischen Kompression von Beatmungsballons: vom Oxvent der Uni Oxford bis zum E-Vent des MIT in Boston, der gerade der US-Aufsichtsbehörde FDA vorliegt. Vom bereits zertifizierten Gerät eines spanischen Konsortiums, für das sogar der Airbus-Konzern seine 3D-Drucker anwerfen will, bis zu einem Konzept der RWTH Aachen und dutzendweise mehr Projekten.
Auch das Umfeld der Beatmungsmaschinen-Tüftler ist engagiert. Das Blog Hackaday veröffentlichte ausführliche Informationen über die Funktionsweise der menschlichen Lunge, als wäre diese ein hackbares Gadget. Wissenschaftler posten präzise Anforderungen an eine Beatmungsmaschine. Youtuber hacken die Schnittstellen billiger Bluetooth-Finger-Oximeter, die den Sauerstoffgehalt im Blut messen können. Und die 3D-Druck-Community baut unter anderem Tauchermasken eines Sportartikel-Discounters mit selbstgedruckten Teilen zu improvisierten Beatmungsmasken um.

Vernetzung und Mitmachen: Hier geht es zu einer Übersicht von weiteren offenen Hardware-Projekten, die an Lösungen in der Corona-Krise arbeiten.

"Ziel der Beatmung ist ja immer, die Lungen offen zu halten, damit die Lungenflügel nicht zusammenfallen", sagt der Ingenieur Guido Burger. Neben einer soliden Mechanik braucht es dafür vor allem eine ausgereifte Sensorik und Steuerungssoftware. Guido Burger wäre kein schwäbischer Tüftler, wäre er hier leichtsinnig. "Wann wird die Luft in den Patienten gedrückt? Wieviel Luft kann die Lunge überhaupt aufnehmen? Brauche ich Sauerstoff, wie ist die Sauerstoffkonzentration, wie ist vielleicht die CO2-Konzentration in der Ausatemluft?"

Bedienfehler ausschließen

Würden die vielen Projekte bei Software und Sensorik zusammenarbeiten, könnte es auch die Zertifizierung der Geräte erleichtern, findet Guido Burger: "Die müssen einfach zu bedienen sein, da darf ich zum Beispiel keinen Parameter verstellen, wenn ich mit dem Kittel an einem Drehknopf hängen bleibe und der Patient auf einmal mehr Luft in die Lunge gedrückt bekommt, als vorgesehen war. Also Bedienfehler, Alarmierung ist ein ganz großes Thema und das ist auch Teil der Zertifizierung."
Gerlinde Michel ist Expertin in Zertifizierungsfragen: "Das hängt letztendlich ab von der Qualität der Dokumentation, von den Tests, von der Auslegung. Und da kann natürlich je nach Ausnahmesituation die jeweilige Regierung eine Ausnahme geben."

Kraft und Ideen aus der Bevölkerung

Auch wenn die provisorischen Beatmungsmaschinen kein Profigerät ersetzen, und selbst diese nur so gut sind, wie das Personal, dass sie sachkundig bedient: Die gemeinsame Anstrengung und das jetzt nötige Durchhaltevermögen bei den Projektgruppen zeigt, was Menschen zusammen erreichen können, wenn die Bedrohung groß genug ist.
Gerlinde Michel ist begeistert: "Wie viel Kraft und wie viele Ideen wirklich in der Bevölkerung stecken. Das ist, glaube ich, das größte Gut, das wir haben."
Und nach hoffentlich gut überstandener Coronakrise wartet der nächste Endgegner: die Klimakrise.
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