Mächtige Molche

Politische Dummheit – und was dagegen hilft

Donald Trump mit der Erklärung zum Ausstieg aus dem Atomabkommen mit dem Iran.
Donald Trump mit der Erklärung zum Ausstieg aus dem Atomabkommen mit dem Iran. © Evan Vucci/AP/dpa
Von Andrea Roedig · 27.05.2018
Nach Trumps Aufkündigung versucht Europa, das Atomprogramm mit dem Iran im Alleingang zu retten. Und wie soll der Westen jetzt mit Kim Jong-un umgehen? Unberechenbar ist Trump, aber ist er auch dumm? Fragt sich Andrea Roedig in ihrem philosophischen Wochenkommentar.
"This is the pot calling the kettle black" – frei übersetzt: "du bist der Topf, der einen Kessel schwarz nennt", das ist eine britische Redewendung, um jemanden mehr oder weniger dezent darauf hinzuweisen, dass er sich besser an die eigene Nase fassen sollte. Der Fehler, den er beim anderen sieht, steckt im Grunde bei ihm selbst.
Denjenigen, die Donald Trump für dumm und eine lächerliche Witzfigur halten, bleibt derzeit das Lachen im Halse stecken. Trump sei nicht irrational, mahnt uns mancher politische Kommentator, er wisse im Gegenteil sehr genau, was er tue: Er schreibe die Weltordnung um – Machtpolitik vom Feinsten. Je länger Trump regiert, je mehr er agiert, desto weniger wissen wir, wer hier eigentlich der Dumme ist. Die Welt und ihre Maßstäbe verkehren sich ins Gegenteil.

Wir nennen die Mächtigen nie "dumm"

Der Vorwurf der "Dummheit" ist immer auch auf ein System bezogen, auf gesellschaftliche Rationalitäten und Denkmuster. Eigenartigerweise nennen wir die Mächtigen nie wirklich dumm, auch wenn sie blind sind wie die Molche, weil Macht und Erfolg sich offenbar selbst legitimieren. Schließlich können diejenigen, die die Spielregeln machen, ihre Gegner ziemlich dumm aussehen lassen können.
Doch schiere Macht ist eine Form der Beschränktheit: sie ist ein Denken ohne Horizont, sie ist blind für andere und für die eigene Begrenztheit und daher auf inhärente Weise dumm. Mag der Erfolg ihm Recht geben, die Zeit wird den Autokraten – früher oder später – zu Fall bringen. Zuvor aber ist die Paarung von Ignoranz und Macht brandgefährlich. Jetzt darf nur noch der Narr dem König den Spiegel vorhalten.

Wir haben die Pflicht nachzudenken

Der heilige Thomas von Aquin hat zwei Formen der Dummheit unterschieden: Die "fatuitas", die Blödheit, ist fehlendes Denkvermögen. Als heilige Einfalt steht sie nicht im Gegensatz zur Weisheit. Bei der "stultitia" aber, der eigentlichen Dummheit, liegt die Sache anders: Der Stultitia-Dumme hat die Fähigkeit des Denkens, doch sein Urteil ist getrübt, fehlgeleitet, starrsinnig.
Thomas zufolge ist die "stultitia" eine Sünde, weil der Mensch sich hier im Irdischen verliert und sich dem Vernehmen des Göttlichen verschließt. "Die Dummheit", so sagt Thomas, "begehrt zwar kein Mensch: jedoch begehrt er die Dinge, die ihn dumm machen." – Von Sünde und dem Göttlichen wollen wir heute nicht viel wissen, aber die Formel des Thomas lässt sich auch aufklärerisch wenden: Dummheit ist Sünde, das heißt, wir haben die verdammte Pflicht nachzudenken, wir haben die Pflicht, einer Vernunft zu folgen, die mehr ist als bloße Sachzwanglogik oder Systemrationalität.

Gegen Dummheit helfen Dialog und Demut

Gegen die Dummheit helfen nur zwei Mittel: Dialog und Demut. Pot und Kettle, Topf und Kessel könnten miteinander reden, bevor sie sich gegenseitig beschuldigen, und Demut wäre der Name für die sokratische Einsicht "ich weiß, dass ich nichts weiß". Demut heißt, Trump oder welche Potentaten auch immer, nicht vorschnell "dumm" zu nennen. Wer weiß, was sie noch anstellen werden. Demut heißt aber auch zu bedenken, dass es Größeres gibt als uns. Mit dem anderen Autokraten, Kim Jong-un, mag Trump vielleicht doch noch einen Deal abschließen. Aber wie der Präsident der Vereinigten Staaten, der das Klimaabkommen von Paris aufkündigte, den Hurricans im Golf von Mexico sein "America First" aufzwingen will, das muss er uns noch zeigen.
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