Machtpolitischer Jongleur

Von Rolf Schneider · 25.12.2011
Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord, als Spross eines französischen Hochadelsgeschlechts 1754 geboren, gelangte bis in höchste Staatsämter. Als geschickter Unterhändler war er stets auf seinen persönlichen Vorteil bedacht. Die Biografie des Journalisten Johannes Willms beschreibt seinen Werdegang.
Was weiß man hierzulande von Talleyrand? Man weiß vielleicht, dass es sich um einen politischen Überlebenskünstler aus Frankreich handelt, ausgestattet mit einem Klumpfuß. Man weiß vielleicht noch den einen oder anderen seiner Aussprüche.

"Verrat, Sire, ist nur eine Frage des Datums."

Dies soll er zu Zar Alexander I. von Russland gesagt haben.

" "Wer das Ancien Régime nicht kannte, wird niemals wissen können, wie süß das Leben war."

Hier gibt es noch einen leicht veränderten Wortlaut, wo statt douceur, Süße, savoir vivre steht, Lebensart oder aber auch: Etikette. Immerhin wird deutlich, dass, wer so urteilt, die Zustände vor der Großen Revolution von 1789 gut gekannt haben muss und ihrer freundlich gedenkt.

Der volle Name des Mannes lautet Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord, 1754 geboren als Spross eines alten französischen Hochadelsgeschlechts. Da die Eltern verarmt waren, gab es für einen wie ihn nur zwei Möglichkeiten des Fortkommens: die Karriere beim Heer oder die Karriere in der Kirche. Die körperliche Behinderung verbot eine soldatische Laufbahn, sein Onkel war hoher Kleriker und würde ihn befördern.

Charles-Maurice durchlief eine theologische Ausbildung, wurde mit 25 Jahren zum Priester geweiht und erhielt ein Jahr später eine wohlhabende Abtei als Pfründe. Seine Einkünfte ermöglichten ihm ein luxuriöses Leben, was bedeutete: komfortables Wohnen, Geselligkeit, teure Garderobe, gutes Essen und Frauen.

1788 wurde er Bischof im burgundischen Autun. Das Jahr darauf berief der König die Generalstände ein, was meint: Vertreter der drei gesellschaftlich maßgeblichen Sozialschichten im Land, nämlich Adel, Klerus und Dritter Stand. Talleyrand ließ sich delegieren. Mitsamt ein paar anderen Klerikern wechselte er zu den Delegierten des Dritten Standes, aus denen dann die Nationalversammlung wurde.

Es folgte der Bastillesturm. Es folgten die Erklärung der Menschenrechte und die materielle Entmachtung der Kirche. Alles fand Talleyrands Zustimmung, womit er sich von der Mehrheit des Klerus im Land entfernte. Als er auch noch der neuen Verfassung Gehorsam schwor, wurde er vom Vatikan exkommuniziert.

"Treu bis in den Tod sind nur die Dummköpfe. Die Treue hat ihre Grenze im Verstand."

So sein Kommentar. Als 1792 die Radikalisierung der Revolution absehbar wurde, ließ er sich in diplomatischer Mission nach London schicken, wo er zwei Jahre blieb und nichts ausrichten konnte.

"In England gibt es drei Soßen und dreihundertsechzig Religionen, in Frankreich drei Religionen und dreihundertsechzig Soßen."

Sagte er selbst. Er ging weiter nach Amerika, wo er ziemlich arm dran war, zum zweiten und letzten Mal in seinem Leben. 1796 kehrte er nach Frankreich zurück. Er wurde Außenminister des nach dem Ende der Schreckensherrschaft regierenden Direktoriums.

"Außenpolitik ist die Kunst, einem anderen so lange auf den Zehen zu stehen, bis dieser sich entschuldigt."

Er blieb Außenminister unter Napoleon. Den förderte er zunächst, bis er sich mit ihm überwarf; der Kaiser nannte ihn vor Zeugen ein Stück Scheiße im Seidenstrumpf. Immerhin behielt er ein repräsentatives Staatsamt.

"Das Gesetz der Geschichte lautet: Steh auf, damit ich mich setzen kann."

Er beförderte die Bourbonenrestauration. Er war Außenminister unter Ludwig XVIII. und sorgte dafür, dass Frankreich trotz der napoleonischen Niederlage, den Territorialbestand betreffend, einigermaßen glimpflich davon kam. 1815 beendete er seine Ministertätigkeit; er war jetzt 61.

"Kein Abschied auf der Welt fällt schwerer als der Abschied von der Macht."

Er behielt ein nominelles Staatsamt. Er pflegte seine Verbindungen und intrigierte gegen die regierenden Könige.

"Die Kunst der Politik besteht darin, das Unvermeidliche vorauszusehen und sein Erscheinen zu beschleunigen."

Nach der Revolution von 1830, deren Ausbruch er begrüßte, wurde er für vier Jahre Botschafter von Bürgerkönig Louis Philippe in England. Er kehrte zurück und starb 1838.
Er war geistvoll, zynisch und hochintelligent. Er hatte zahlreiche Freundinnen. Er war ein geschickter Unterhändler und dabei stets auf seinen persönlichen Vorteil bedacht. Äußerlich loyal, engagierte er sich zugleich in machtpolitischen Alternativen und ließ sich, wenn möglich, dafür bezahlen. Hatte er so etwas wie eine politische Grundüberzeugung?

"Mein Prinzip war immer, kein Prinzip zu haben."

Sagte er selbst. Am ehesten hing er wohl der Idee einer konstitutionellen Monarchie nach britischem Vorbild an.

Schillernde Figuren seines Zuschnitts reizen die Geschichtsschreiber. In Frankreich sind derzeit ein Halbdutzend Talleyrand-Biografien auf dem Markt, ebenso viel wie in Deutschland. Die jüngste hier stammt aus der Feder von Johannes Willms.

Der 1948 geborene Historiker war einmal ein bekanntes Fernsehgesicht. 1993 ging er zur "Süddeutschen Zeitung", deren Pariser Feuilleton-Korrespondent er bis heute ist. Zu seinen bislang 13 Buchveröffentlichungen zählen Biografien, darunter solche über Balzac und Stendhal, über Napoleon und über Bismarck.

Den Lebensweg Talleyrands zeichnet er mit minutiöser Genauigkeit nach. Er zitiert beängstigend viel. Unterschiedliche Bewertungen von Zeitgenossen werden ausführlich dargetan. Wieso Preußenkönig Friedrich Wilhelm bei ihm immer nur Wilhelm III. heißen muss, ist eine irritierende Marotte.

An der sexuellen Umtriebigkeit Talleyrands hegt er begründete Zweifel. Manches liest sich recht eindrucksvoll, etwa das Ritual des vormittäglichen Aufstehens:

"Talleyrand verließ sein Nachtlager, wo er in Flanelltücher eingepackt und mit mehreren Nachtmützen übereinander bedeckt geruht hatte, und erschien im anschließenden Kabinett. Dort ließ er sich vor einem Spiegel nieder, in dem er sein bleiches, gealtertes Gesicht mit fast erloschenen Augen betrachtete. Ein Diener reichte dann ein großes mit Wasser gefülltes Becken, in das er einen Schwamm tauchte, mit dem er sich das Gesicht wusch. Dann beugte er sich vor und sog mit der Nase eine Menge Wasser ein, die mit großem Lärm wieder aus seinem Mund stürzte. Inzwischen füllte sich das Kabinett mit Besuchern. An die Waschungen schloss sich ein Fußbad an, bei dem er mit gleichmütigen Zynismus, den neugierigen Blicken seinen wie eine Klaue geformten verkrüppelten Fuß zeigte."

Das abschließende Urteil lautet, Talleyrand könne für sich in Anspruch nehmen –

"sein politisches Wollen und Trachten sei dem patriotischen Verlangen verpflichtet gewesen, Frankreichs Ruhm zu mehren, seine Stellung unter den Mächten zu festigen und die innere Stabilität und das Wohlergehen des Landes zu gewährleisten. Das waren fraglos auch die Voraussetzungen für seine eigenen Interessen und Karriereabsichten, denn es war alles andere als Selbstlosigkeit, die Talleyrand bestimmte, den Patrioten zu geben."

Dies ist ein vergleichsweise mildes Urteil. Andere Historiker meinen, der vormalige Bischof von Autun sei nichts als ein skrupelloser Opportunist gewesen. Willms hat recht, wenn er in Talleyrand nicht den einzigen machtpolitischen Jongleur jener Epoche sieht, man denke an Fouché, an Barras oder an Sieyès. Talleyrand war nur von allen der virtuoseste und erfolgreichste. Das spricht für seinen Intellekt. Ob man darin auch einen heimlichen Patriotismus erkennen soll, stehe dahin.