Ma Jian: "Traum von China"

Illustration einer politischen These

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Die Illustration zeigt das Cover des Buches "Traum von China" von Ja Jian.
Eine groteske Geschichte, die aber vorhersehbar bleibt: "Traum von China" von Ma Jian. © Rowohlt / Deutschlandradio
Von Katharina Borchardt · 30.11.2019
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Ma Jian hat mit "Traum von China" eine kritische Parabel auf die Auswüchse des chinesischen Kommunismus geschrieben. Die Geschichte wird als handfeste Groteske erzählt. Leider kommt der Roman über die Illustration politischer Thesen kaum hinaus.
Der dicke Ma Daode hat es weit gebracht. Er ist der Direktor des neuen Traum-von-China-Amts in der Stadt Ziyang. Ein angenehmer Provinzposten, der flankiert wird von Geldgeschenken und den Liebesdiensten karrierewilliger Frauen. Mas Aufgabe ist es, seinen Landsleuten jenen Kollektivtraum einzupflanzen, der für Präsident Xi Jinping seit 2012 zentral steht: der "Traum von China" als ökonomisch erfolgreichem und wehrhaftem Staat, der Ma Jians Roman auch seinen Titel gab.
Zu Direktor Mas Aktivitäten gehört neben lokalen Werbemaßnahmen auch die Einrichtung eines neuen Industrieparks. Diesem Erfolgsprojekt soll Ziyangs Nachbarort Yaobang weichen. Dagegen aber rebellieren die Einwohner, die um ihr Zuhause fürchten. Ma kennt viele von ihnen persönlich, hat er während der Kulturrevolution doch selbst einige Jahre in Yaobang gelebt.

Schmerzlicher Rückblick

An diese gewalttätige Zeit muss der inzwischen gut situierte Ma in letzter Zeit immer häufiger denken, und seine bedrückenden Erinnerungen stehen in schwerem Kontrast zum zukunftsfrohen Chinatraum. Denn Ma hat viele Menschen auf dem Gewissen. Einen Mann begrub er sogar bei lebendigem Leibe. Und als sein Vater in der Kulturrevolution als Rechtsabweichler beschimpft und von Rotgardisten öffentlich misshandelt wurde, tat der Sohn nichts dagegen. Mehr noch: Er distanzierte sich von seinen "reaktionären" Eltern. Das verzweifelte Paar brachte sich schließlich um. Jetzt soll ein Parkplatz auf der Wiese entstehen, unter der die beiden begraben liegen.
Der chinesische Traum fußt also auf einem dicken Trauma, und so hätte dieser Roman ein rein schmerzlicher Rückblick auf die Jahre 1966 bis 1976 werden können. Doch Ma Jian hat seinen Stoff auf der Gegenwartsebene zur handfesten Groteske geformt.
Das tun auch andere chinesische Autoren gern – etwa Mo Yan, Yan Lianke oder Yu Hua. Sie lassen ihre Geschichten umso wüster toben, je größer die Trauer ist, die sie zu kaschieren versuchen. Auch der von seinen Erinnerungen gequälte Ma Daode gerät in immer schrägere Situationen und will sich und den Bewohnern von Yaobang sogar einen Chinatraum-Trunk brauen, der sie die Vergangenheit einfach vergessen lässt.

Kuriose Kapriolen

Ma Jian hat eine hochkritische Parabel auf die Auswüchse eines Kommunismus geschrieben, der in China zeitweise zur Massenpsychose geriet und der heute völlig vergangenheitsvergessen weiteragiert. Die scharfe Kritik an Xi Jinping und seiner Politik kann sich der 66-Jährige erlauben, da er seit 1999 in London lebt. In China sind seine Bücher verboten.
In Ma Jians kritischer Haltung liegt aber auch das größte Problem dieses kurzen Romans: Seine Message ist eindeutig und überdeutlich. Ma Jian formuliert sie sogar in einem Vorwort zum Roman.
Deshalb wirkt dieser weniger wie ein literarisches Werk mit Untiefen, sondern vielmehr als Illustration einer – wenn auch gänzlich einleuchtenden – politischen These.
Das macht den Roman sehr vorhersehbar. Zwar schlägt der Plot einige kuriose Kapriolen, doch bleibt die Geschichte in ihrem Innern leider ohne Überraschungen.

Ma Jian: "Traum von China"
Aus dem Englischen von Susanne Höbel
Rowohlt Verlag, Hamburg 2019
192 Seiten, 22 Euro

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