M. Bognanni: "Middelhoff - Abstieg eines Star-Managers"

"Ich habe oft gehört: Das machen doch alle ähnlich"

Thomas Middelhoff (r)
Thomas Middelhoff (r) im Prozess am Oberlandesgericht Hamm am 11. Oktober 2017 mit seinem Verteidiger Udo Wackernagel. © imago/biky
Moderation: Christian Rabhansl · 21.10.2017
"Handelsblatt"-Reporter Massimo Bognanni zeichnet in "Middelhoff - Abstieg eines Star-Managers" den Absturz des ehemaligen Arcandor-Vorstands Thomas Middelhoff nach. Bei der Recherche sei deutlich geworden, dass sein Verhalten als durchaus normal galt in seiner Szene.
Christian Rabhansl: Wer verdient eigentlich, was er so verdient, was er am Ende des Monats überwiesen bekommt? Darf ein Chef wirklich das Zigfache seiner Mitarbeiter nach Hause oder in die Schweiz tragen? Und wie gerecht sind die Gehälter und Boni von Spitzenmanagern? Das sind Fragen, die sind vor rund zehn Jahren ziemlich heftig diskutiert wurden in Deutschland, und das waren auch die Jahre, in denen ein Mann zu einem der bestbezahlten Topmanager Europas aufgestiegen ist, das ist Thomas Middelhoff. Der war internationaler Popstar des Managements, er galt als großer Stratege, als Visionär, als Entscheider für die ganz, ganz großen Dinge. Vorstandschef bei Bertelsmann ist er geworden, aber für ihn war das nur ein erster Höhepunkt einer Karriere. Und obwohl er da eigentlich eher hinauskomplimentiert worden ist, weil einige seiner Entscheidungen das Unternehmen dann eben doch Unsummen gekostet haben, trotzdem ging es ziemlich gleißend weiter. Bis er dann – da kam dann der Knickpunkt – den angeschlagenen Karstadt-Konzern retten sollte, dann von einem Untreueprozess eingeholt worden ist und zu drei Jahren Haft verurteilt wurde. Also vom international gefeierten Topmanager zum Freigänger der JVA Bielefeld. Und da macht er bis heute Dienst bei einem Sozialunternehmen. Diesen Absturz hat der "Handelsblatt"-Reporter Massimo Bognanni genau verfolgt und hat ein Buch darüber geschrieben. Guten Tag!
Massimo Bognanni: Ja, guten Tag, hallo!
Rabhansl: Was fasziniert Sie denn so an diesem Absturz des Thomas Middelhoff, dass Sie ihm ein ganzes Buch gewidmet haben?
Bognanni: Ja, zum einen ist Thomas Middelhoff sicherlich einer der schillerndsten Manager der deutschen Wirtschaft, sowohl in seinen Erfolgsmomenten als auch in den jeweiligen Abstürzen. Darüber hinaus ist er aber auch in meinen Augen ein Stück Wirtschaftsgeschichte, ein Stück Epoche. Anhand seiner Vita lassen sich viele verschiedene Dinge ablesen, zum Beispiel die New Economy, aber auch das Platzen der Dotcom-Blase, dann später war er bei einem Private-Equity-Unternehmen, genau zu jenem Zeitpunkt, als in Deutschland die Heuschreckendebatte über diese Unternehmen aufkam, und natürlich auch sein Stück Karstadt/Quelle, ist auch ein Stück Wirtschaftsgeschichte. Und so wurde für mich auch Wirtschaftsgeschichte erlebbar und ich habe sehr viel gelernt während der Recherche.

"Der Helikopter für den Arbeitsweg war für Middelhoff normal"

Rabhansl: Und er ist sicherlich auch ein Sinnbild dafür, wie man – wir reden ja in der "Lesart" über Gerechtigkeit – über dem ganz normalen Volk schweben kann. Da gab es ein wirklich ganz buchstäbliches Sinnbild, als er schon vor Gericht stand, der gerade zu Arcandor umbenannte Karstadt-Konzern war schon fast insolvent, da kam heraus, dass Middelhoff regelmäßig morgens nicht etwa mit dem Auto zur Arbeit gekommen ist, sondern auf Firmenkosten mit dem Hubschrauber, aus Bielefeld nach Essen, damit er nicht im Stau stehen muss. Wie hat er das vor Gericht begründet?
Bognanni: Vor Gericht hat er sein Selbstverständnis noch mal deutlich gemacht, nämlich dass er jede Minute seiner Zeit dem Konzern geschenkt habe und deshalb auch quasi ständig im Arbeitsmodus war. Und deshalb war das für ihn auch ganz normal, dass er auch mal den Helikopter zur Arbeit nahm für eine Strecke, für die man durchaus das Auto nimmt. Er hatte ja sogar eine Dienstwohnung in Düsseldorf, die er hätte beziehen können, aber er wollte eben auch an den Wochenenden dann doch bei seiner Familie sein und hat dann den Helikopter genutzt. Letzten Endes zeigt das einfach, dass er das Gefühl hat: Jede Sekunde ist so kostbar für den Konzern, dass diese Extrakosten in irgendeiner Form gerechtfertigt sind.


Rabhansl: Also dass die Staatsanwaltschaft darin Untreue sieht, wenn man fremdes Geld für so etwas benutzt, das konnte er wirklich nicht verstehen?
Cover des Buches: "Middelhoff - Abstieg eines Star-Managers"
Cover des Buches: "Middelhoff - Abstieg eines Star-Managers"© Campus Verlag / picture alliance / dpa
Bognanni: Das konnte er ganz offensichtlich nicht verstehen. Wenn man auch sein eigenes Buch über seinen Fall liest, schreibt er das auch darin noch mal, dass er auch heute noch keine falsche Reue zeigen möchte für etwas, was er auch aus heutiger Sicht noch für richtig hält. Das heißt, da ist ein großes Unverständnis, dass es eben keinen Unterschied geben darf zwischen einem Topmanager und einem einfachen Karstadt-Servicemitarbeiter oder -Servicemitarbeiterin, die auch lange Anfahrtswege zur Arbeit haben, die auch auf Familienzeit verzichten müssen und die sich eben auch nicht herausnehmen können, einfach auf Unternehmenskosten mal eben den Helikopter zu nehmen.

"Er hat teilweise den Richter eher belehrt"

Rabhansl: Das heißt, es war für ihn kaum zu glauben, dass für ihn gelten soll, was allgemein üblich ist. Wie haben Sie sein Verhältnis zur Justiz erlebt – er, der Starmanager, der plötzlich vor Gericht steht?
Bognanni: Also Herr Middelhoff war vor Gericht höflich, aber in meinen Augen nicht respektvoll. Denn im Grunde genommen hat er doch sehr durchblicken lassen, dass er dieses ganze Verfahren nicht nachvollziehen kann. Er hat teilweise den Richter eher belehrt, indem er dem Richter erklärt hat, dass vielleicht eine andere Fragestellung sinnvoller wäre. Und er hat die ganze Zeit deutlich gemacht, dass der Richter das Leben eines Topmanagers ja gar nicht nachvollziehen kann und deswegen auch nicht nachvollziehen kann, wie üblich und normal seine Verhaltensweisen seien.
Rabhansl: Sie beschreiben das auch sehr detailliert, wie siegessicher Middelhoff vor Gericht erscheint, mit perfekt sitzendem Anzug, gebräuntes Gesicht, laute Stimme. Was ist Ihr Eindruck, wann war der Zeitpunkt, als Middelhoff wirklich begriffen hat, dass er tatsächlich im Begriff ist, abzustürzen in die Niederungen der anderen Menschen?
Bognanni: In der Sekunde, in der das Urteil verkündet wurde. Vorher gab es, glaube ich, in seiner Wahrnehmung nicht die Möglichkeit, dass er im Unrecht sei. Er hat offensichtlich nicht mitbekommen, wie auch während der vielen Verhandlungstage zuvor, die ich ja auch größtenteils mitverfolgt habe, eine deutliche Stimmung beim Gericht zu spüren, dass die Argumentation nicht nachvollzogen wird, die er da vorbringt. Es ging ja nicht nur um die Flüge, die er auf Firmenkosten gemacht hat, sondern auch um eine Festschrift, ein privates Geschenk, das er seinem einstigen Ziehvater Mark Wössner, den er von Bertelsmann-Zeiten kannte, auch auf Firmenkosten überreicht hat im Grunde genommen. Und …
Rabhansl: Da ging es um fast 200.000, meine ich mich zu erinnern.
Bognanni: Genau. Das war eine teure Festschrift, die er da in Auftrag gegeben hat, die Rechnung war ursprünglich auch von Middelhoffs Privatadresse ausgestellt und er hat kurz vor seinem Ausscheiden, als Arcandor auch schon in einer deutlichen Schieflage war, die Rechnung umschreiben lassen auf das Unternehmen, auf Arcandor, und somit quasi ein Privatgeschenk einem strauchelnden Konzern untergeschoben. Und auch hierfür hat er keinerlei Einsicht gezeigt, dass dieses Verhalten nicht rechtens ist.

"Das Urteil empfanden viele Topmanager als zu hart"

Rabhansl: Diese Biografie erfüllt viele Klischees über abgehobene Manager. Jetzt haben Sie als Investigativreporter des "Handelsblatts" viel mit Spitzenmanagern zu tun. Ist Middelhoff eine absurde Ausnahme?
Bognanni: Nein. Das habe ich auch selbst während der Recherche zu diesem Buch gemerkt, denn da kommen ja auch viele andere Manager namentlich vor und auch viele nicht namentlich, mit denen ich gesprochen habe. Und bei allen überwogen eigentlich zwei Eindrücke. Der erste war Mitleid mit Herrn Middelhoff und der zweite Eindruck: Na ja, mit einem guten Anwalt und einer etwas besseren Taktik vor Gericht wäre dies ja auch zu verhindern gewesen. Ich habe durchaus oft gehört: Ja, das machen doch alle ähnlich, und dass Herr Middelhoff jetzt wegen dieser, ja, in vielen Augen auch Kleinigkeiten jetzt verurteilt wird, empfanden viele auch Topmanager für zu hart, mit denen ich gesprochen habe.
Rabhansl: Die "Süddeutsche" attestierte Middelhoff seinerzeit die beiden Kernkompetenzen Selbstüberschätzung und Beratungsresistenz. Wenn dem so wäre, was sagt das über das Menschenbild und die Unternehmenskultur großer Konzerne aus?
Bognanni: Also, ich glaube, natürlich sind bestimmte Eigenschaften bei Topmanagern auch notwendig. Es ist halt immer die Frage, wie weit sie ausgeprägt sind. Bei Herrn Middelhoff glaube ich, dass seine größten Stärken irgendwann auch zu seiner Achillesferse wurden. Seine Visionen haben am Anfang seiner Karriere Bertelsmann, als er zum Beispiel sehr früh das Internet mit seiner Bedeutung erkannte, sehr viel eingebracht. Irgendwann, beschreiben es selbst engste Weggefährten, hatte Herr Middelhoff aber das Gefühl, offenbar über Wasser laufen zu können. Und da wurden dann aus diesen Visionen Probleme. Insofern glaube ich, ein Visionär sollte man schon sein als Topmanager, aber ich glaube, dieses beratungsresistent, das ist das Gefährliche. Das beschreiben ja zum Beispiel auch manche, wenn sie auf Volkswagen schauen und Herrn Winterkorn, der ja auch eine große Expertise hat, aber eben durchaus die Entscheidungen auch mit sich selbst ausmachen konnte, wenn man da auch Experten glauben darf.
Rabhansl: Massimo Bognanni hat ein Buch über diesen Manager geschrieben, "Middelhoff. Abstieg eines Starmanagers" lautet der Titel. Das Buch umfasst 288 Seiten, kostet 24,95 Euro, ist im Campus-Verlag erschienen. Danke schön für den Besuch in der "Lesart"!
Bognanni: Ich bedanke mich ganz herzlich!
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