Lyrik

Reim Dich oder ich fress' Dich

Von Caroline Fischer · 11.04.2014
Als Romancier ist er ein Weltstar, doch seine Lyrik ist nicht zu retten: Michel Houellebecq reimt in seinem neuen Band wild drauf los, ob es passt oder nicht. Dem deutschen Leser bleibt das durch die gute Übersetzung weitgehend erspart - und sie öffnet auf diese Weise den Blick auf das düstere Universum des Franzosen.
Im September 1999, nur wenige Wochen nachdem Peter Sloterdijks mit seiner Rede "Regeln für den Menschenpark" einen Skandal ausgelöst hatte, erschien Michel Houellebecqs Roman "Die Elementarteilchen" in deutscher Übersetzung. Die zeitliche Koinzidenz und das vermeintlich gemeinsame Thema des Menschenklonens sorgten dafür, dass Houellebecq hierzulande als Kulturphilosoph galt, ein Missverständnis, dass sich spätestens in einer öffentlichen Diskussion der beiden Herren mit Alain Finkielkraut aufklärte.
Inzwischen weltberühmter Autor zahlreicher Romane tritt Houellebecq jetzt, nach 15-jähriger Lyrikabstinenz, wieder als Dichter in Erscheinung – ebenfalls ein Missverständnis? In den 90er Jahren hatte er mit Lyrik begonnen, einige, sogar preisgekrönte Gedichtbände publiziert, bevor er, nach eigenen Angaben "par défaut", aus Mangel an Alternativen, Romancier wurde. Man könnte also eine Rückkehr zu den Ursprüngen vermuten. Dies hielt die in der Regel sehr zurückhaltende französische Literaturkritik indes nicht von der Frage ab, ob diese Verse auch veröffentlicht worden wären, wenn sie der Feder eines anderen Autors entstammten...
Einig ist man sich in Frankreich, dass die rund 70 Gedichte ganz Houellebecqs negatives Bild des Universums widerspiegeln. Die poetischen Qualitäten werden überraschend wenig diskutiert, obwohl der Dichter fleißig gereimt hat. Hier nun erweist sich die größtenteils exzellente Übersetzung als ein echter Gewinn für die deutschen Leser. Dies mag paradox klingen, da ja gerade bei der Übertragung von Lyrik das Wesentliche oftmals verloren geht, wie Robert Frost formulierte: "Poetry is what is lost in translation". Aber die Reime machen keineswegs die Qualität dieser Lyrik aus.
Es geht um Trostlosigkeit und Sex
Es ist geradezu wohltuend, die ungereimten deutschen Verse zu lesen, die in der Ausgabe des Dumont Verlages dem Original gegenübergestellt sind. Hier ließe sich anführen, dass auch Baudelaire, in dessen Tradition Houellebecq sich sieht, für seine "Blumen des Bösen" klassische Formen wie Alexandriner und Sonett gewählt hat, aber das war schließlich vor mehr als 150 Jahren. Und Reime, die doch arg weit hergeholt erscheinen, finden sich darin nicht.
Kurzum, formal ist Houellebecqs Lyrik nicht zu retten, obwohl dem deutschen Publikum dank der Übersetzung das Schlimmste erspart bleibt. Worum geht es also inhaltlich? Um Trostlosigkeit, um "die nackte Verzweiflung", um Sex : "Die Männer wollen alle nur den Schwanz / gelutscht bekommen". Und um die Liebe, aber "Es gibt keine Liebe / (Nicht in Wahrheit, nicht genug) / Wir leben ohne Rettung / Wir sterben, allein gelassen." Diese unfrohe Botschaft hatte der Autor bereits in seinem ersten Roman "Ausweitung der Kampfzone" und in den folgenden sehr viel überzeugender unter das Volk gebracht. Wie auch dort gibt es in den Gedichten kurze Lichtblicke: "Mein leidender, matter Leib zerbricht / fern von deinen Augen. / Ich denke an dich, liebe Liese; / Ich bin glücklich." Doch sind die Glücksmomente in diesem Lyrikband für den Leser leider ähnlich selten wie für das poetische Ich.

Michel Houellebecq: Gestalt des letzten Ufers. Gedichte
Aus dem Französischen von Stephan Kleiner und Hinrich Schmidt-Henkel
Dumont Verlag, Köln 2014
176 Seiten, 18,00 Euro

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