Poesie als 360-Grad-Erlebnis
Mit einer Virtual-Reality-Brille lassen sich Gedichte völlig neu erleben: visuell und eindringlich. Zwei Animationsexperten aus den Niederlanden wollen auf diese Weise eine Revolution starten, und Lyrik einem großen Publikum nahe bringen.
Ein alter Industriekomplex in Breda, im Süden der Niederlande. Hier versuchen die Virtual-Reality-Produzenten von Apvis, Poesie neu zu erfinden. Wobei Demian Albers und Jenny van den Broeke das so nicht stehen lassen wollen.
Jenny van den Broeke: "Wir glauben, Poesie in geschriebene Form wird es immer geben. Und das ist gut so. Das hier ist etwas Neues. Nichts, was Poesie ersetzen wird. Es ist die Möglichkeit Poesie auf andere Weise zu erfahren. Auf eine sehr eindringliche, sehr visuelle Art und Weise. Und ich glaube wir sollten damit experimentieren. Wir werden immer visueller erzogen."
Demian Albers: "Das ist so als würde man aus einem Buch einen Film machen. Manche sagen dann, das Buch war besser. Es ist einfach etwas anderes."
Die beiden Anfang-Dreißigjährigen sind die Gründer von Apvis. Beide haben hier in Breda Animation studiert. Währenddessen gründeten sie die Firma. Seit 2014 experimentieren sie mit dem Medium Virtuelle Realität. Ein programmierte Welt, die den Nutzer komplett umgibt.
Jenny van den Broeke: "Es ist interessant für uns, zu sehen, inwiefern man experimentell eigene Welten in der Virtuellen Realität bauen kann. Es reicht hier nicht, alte Ideen in ein neues Medium zu transferieren. Hier gelten neue Regeln. Man muss nach neuen Möglichkeiten suchen. Und neue Kooperationen helfen uns dabei."
"Jeder will es ausprobieren"
Der niederländische Literaturfonds hat vier Teams beauftragt, für den Ehrengastauftritt des Landes auf der Frankfurter Buchmesse ein Gedicht als Virtual-Reality-Erfahrung zu entwickeln. Van den Broeke und Albers setzten einen Text des Autors Micha Hamel um. Das Ergebnis ist eine Art Musikvideo für ein Gedicht. Ohne Musik. Aber als 360-Grad-Erlebnis. Dafür muss der Nutzer Kopfhörer und eine Virtual-Reality-Brille namens Oculus-Rift aufsetzen. Wie ein Skibrille, der statt der Gläser ein Bildschirm eingesetzt wurde.
Demian Albers: "Diese Medium sieht so fabelhaft aus. Jeder will es ausprobieren. Und trotzdem haben wir Angst vor Zukunftsvisionen, in denen wir alle so eine Brille tragen und wie Zombies durch die Gegend laufen. Damit wollten wir spielen. Diese Welt ist so schön. Sie lockt dich. Und dann bist du gefangen in der virtuellen Welt."
Setzt man die Virtual-Reality-Brille auf, beginnt – geleitet von einer Stimme - eine Art halluzinogene Reise zum Erdinneren. Durch ein Feuerwerk aus Blütenblättern und Schlingpflanzen, verknoteten Körpern und Pixel-Figuren. Dreht man den Kopf, blickt man sich in der virtuellen Welt um.
Gedicht-Ausschnitt: "Kennst du mich noch? Ich habe etwas für dich. Folgst du meiner Stimme oder soll ich dich verlassen? Beachte meine Hülle nicht. Sie wuchert vielleicht ein bisschen. So bin ich halt. Ich wurde wohlüberlegt so entworfen. Zumindest so verwirklicht... Außer dem Leben selbst, darf alles ein Provisorium sein."
Sich in Gedichten verlieren
Immer wieder bezieht sich das Virtual-Reality-Gedicht auf sich selbst und verweist damit auch auf die eigene Entstehungsgeschichte.
Jenny van den Broeke: "Wir sprechen über Lockruf immer als Experiment, nicht als fertige Installation. Das ist 'work in progress'. Wir lernen immer noch. Und man muss da auch nichts überstürzen. Das ist einen neue Welt. Die darf man auch kritisch hinterfragen. Und wir sollten uns die Zeit nehmen, sie zu erkunden und auszuprobieren, wie man das Beste daraus macht."
Gedicht-Ausschnitt: "Hast du einen Namen für mich? Machst du das hier freiwillig? ... Hey Irrlichter. Hallo Freunde! ... Du kannst zwar sehen was ich sehe, aber nicht spüren was ich spüre ..."
Wer in den entworfenen Welten verschwinden will braucht ein Headset, eine Virtual-Reality-Brille. Es wird also noch eine Weile dauern, bis diese Kunstform die Wohnzimmer erreicht. Und dennoch glauben Albers und van den Broeke, dass sie mit Projekten wie Lockruf Menschen erreichen, die sich sonst nie mit Poesie auseinandersetzen würden.
Jenny van den Broeke: "Bei einer Veranstaltung die wir besucht haben, gab es einen kleinen Jungen, der immer wieder kam und auch seinen Freund mitbrachte. Und einmal setzte er die Brille auf und fing an, einzelne Zeilen des Gedichts mitzusprechen. Wir dachten: Wow! Es ist eine Möglichkeit Lyrik einem größeren Publikum nahe zu bringen."
Kinder, Jugendliche, Erwachsene die sich in Gedichten verlieren: Das wäre nicht neu. Das wäre eine Revolution.