Lukas Kleckers will Billardprofi werden

Drei Züge im Voraus

Eine Billard-Spieler beim Snooker
Die Billardvariante Snooker © imago/blickwinkel
Von Maximilian Kuball · 21.06.2015
Die Billardvariante Snooker ist in Deutschland vor allem eine Fernsehsportart. Mit den Übertragungen im TV begann auch bei Lukas Kleckers die Liebe zu Snooker, da war er zehn Jahre alt. Jetzt ist er volljährig - und bereits der beste deutsche Spieler.
Mittwochmittag in einem Berliner Billard-Café. In der flachen, schummrigen Halle sind um diese Zeit wenige Tische besetzt. Nur hinten in der Ecke ist hin und wieder das Klackern von Billard-Kugeln zu hören.
Das Geräusch kommt von dem riesigen Tisch ganz hinten rechts, an dem zwei junge Männer stehen. Der eine, im weißen T–Shirt und mit kräftigem Oberkörper, beugt sich über den Tisch, visiert mit seinem Queue die weiße Kugel an und stößt zu. Sie prallt auf eine Rote, die langsam über den grünen Filz des Tisches rollt. Kurz vor dem Loch touchiert die Kugel eine Bande und bleibt dann liegen. Robin Gliffe richtet sich auf und schüttelt ungläubig den Kopf:
"Bei uns dauert es extrem lange, bis wir mal so einen Frame gespielt haben. Liegt natürlich vor allem daran, dass wir noch verdammt schlecht sind."
Ein Frame – vergleichbar mit einem Satz beim Tennis – ist dann vorbei, wenn alle 21 Kugeln versenkt sind oder einer der beiden Spieler nach Punkten uneinholbar vorne liegt. Und das kann dauern – denn Snooker ist schwer, verdammt schwer sogar: Der Tisch, an dem Robin Gliffe und sein Freund spielen, ist mit Seitenlängen von fast 4 mal 2 Metern anderthalb mal so groß wie die Pool-Billardtische daneben. Und damit so groß, dass es Anfängern nur mit viel Glück gelingt, eine Kugel in einem der sechs Löcher – beim Snooker Taschen genannt – zu versenken. Das erste Mal ausprobiert haben Gliffe und sein Kumpel das bei einem Kurs an der Uni – seitdem spielen sie etwa einmal in der Woche. Nur zum Vergnügen, wie Gliffe betont:
"Ich habe auch gar nicht den Anspruch, jemals irgendwas zu reißen oder so; ich weiß auch, dass das gar nicht geht. Aber es macht eben Spaß und wenn man dann merkt, man verbessert sich und es kommt ein wirkliches Spiel zustande, dann ist es eine nette Sache."
Dazu braucht es neben Präzision der Stöße vor allem die Fähigkeit, den weißen Spielball zu kontrollieren: Gute Spieler können mit einem Stoß nicht nur eine der Kugeln einlochen. Sie schaffen es zugleich, die Weiße durch den Aufprall-Winkel und den mitgegebenen Drall so zu positionieren, dass auch die nächste Kugel versenkt werden kann. Das erfordert sehr viel Übung. Die beiden Studenten sind trotzdem dabeigeblieben:
"Es ist schon eine deutliche Verbesserung zum Anfang auf jeden Fall. Allerdings darf man nicht den Fehler machen, sich mit den Profis zu vergleichen. Gibt noch viel, was man üben muss."
Die Profis und ihr scheinbar müheloses Spiel waren es, die Robin Gliffe zu dem Hochschul-Kurs brachten. Wie Snooker auf höchstem Niveau aussehen kann, hatte er zum ersten Mal als Jugendlicher im Fernsehen gesehen:
"Das hat, glaube ich, so angefangen mit zehn, elf Jahren oder so, wo man nachmittags einfach mal durchgezappt hat und bei Eurosport hängengeblieben ist und das einfach spannend fand, wie perfekt die Profis da spielen – ohne zu wissen, wie das überhaupt funktioniert."
Die Leistung beim Snooker besteht darin, in einem Spielzug so viele Kugeln wie möglich vom Tisch zu spielen. Ihre Reihenfolge ist dabei exakt vorgegeben: Immer muss der Spieler zunächst eine der 15 Roten einlochen, gefolgt von einer der sechs farbigen Kugeln – am besten der Schwarzen, denn die bringt die meisten Punkte. Schafft er das, so wird der farbige Ball auf seinen Ausgangspunkt zurückgelegt. Dann ist erneut eine Rote an der Reihe, danach wieder eine Farbige. Auf diese Weise sammelt der Spieler Punkte – ein sogenanntes Break –, während sein Gegner zuschauen muss. Er kommt erst nach einem Fehler an die Reihe und kann nun seinerseits versuchen, ein hohes Break zu erspielen. Wer am Ende die meisten Punkte auf dem Konto hat, gewinnt den Frame. Und obwohl die Snooker-Regeln für den Neu-Zuschauer gelegentlich schwer zu durchschauen sind, ist Robin Gliffe damals trotzdem drangeblieben:
"Nach und nach hat man sich belesen, wie die Regeln funktionieren und dann versteht man auch besser, was die da im Fernsehen überhaupt machen und merkt, dass es eben sehr schön taktisch ist."
So wie Robin Gliffe geht es vielen in Deutschland: Trotz der komplizierten Regeln schauen sich inzwischen sehr viele Menschen Snooker-Matches im Fernsehen an – vor allem auf "Eurosport". Der Münchner Spartenkanal überträgt alle Profiturniere sowie die Weltmeisterschaften und konnte so mittlerweile eine große Fan-Gemeinde aufbauen.
"Also, ich weiß, dass die letzte Weltmeisterschaft zum Beispiel Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer in Deutschland erreicht hat."
Rolf Kalb, der Kommentator der Snooker-Übertragungen bei Eurosport Deutschland.
"Ich erlebe es ja auch in meinem täglichen Umgang, denn mein Ansatz als Snooker-Kommentator ist ein interaktiver. Sie können als Zuschauerinnen oder Zuschauer mit mir via Twitter in Kontakt treten. Und wenn ich mir anschaue, dass also die entsprechenden Hashtags täglich bei Twitter getrendet haben, dann ist auch das ein Beleg für das große Interesse."
"Entscheidend ist aber, was auf dem Tisch passiert"
Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" schrieb daher Anfang des Jahres schon von einem deutschen Snooker-Boom – zumindest, was das Zuschauer-Interesse angeht. Fernseh-Kommentator Kalb sieht das ähnlich:
"Es ist selbstverständlich so, dass Eurosport mit der intensiven Berichterstattung das Interesse befeuert hat bei uns im deutschsprachigen Raum. Letztendlich entscheidend ist aber, was auf dem Tisch passiert – also der Sport selber und das, was die Spieler daraus machen. Das ist in erster Linie das Faszinosum, was das Publikum bindet."
Diese Faszination der Zuschauer für die Matches der Profis bringt Eurosport Deutschland vergleichsweise hohe Einschaltquoten. Und das, obwohl unter den 128 Profis aktuell kein Deutscher ist. Die Stars der Szene sind fast allesamt Briten, dazu kommen einige Asiaten – vor allem aus China, Thailand und Indien. Und dennoch sind die Fans nicht nur vor dem Fernseher, sondern auch live vor Ort begeistert dabei: Wenn die sogenannte Main Tour, eine Serie von 28 Profiturnieren, in Deutschland Station macht, ist die Halle voll – etwa beim German Masters in Berlin:
"Das Tempodrom fasst 2500 Zuschauer und das ist am Wochenende, also bei den Halbfinals und beim Finale, regelmäßig ausverkauft. Das ist das größte Venue, die größte Veranstaltungshalle überhaupt, die es derzeit gibt auf der Snooker-Tour."
Die Begeisterung für Snooker hierzulande ist also groß – jedenfalls auf der Seite der Zuschauer.
"Das sind aber fast alles nicht Spieler. Sondern die meisten schauen gerne zu, aber trauen sich nicht unbedingt an den Tisch ran."
Michael Heeger ist als Jugendwart im Präsidium der Deutschen Billard Union für den Nachwuchs zuständig.
"Das gilt es für uns natürlich, dafür Sorge zu tragen, dass genau diese Jugendlichen auch mal an die Tische langsam rangeführt werden. Der Tisch ist halt fast riesengroß, 4 mal 2 Meter ist nicht klein. Und die Scheu muss man erstmal überwinden, da ranzukommen."
Denn im Gegensatz zu Großbritannien, wo die Snooker-Clubs etwa 6 Millionen Mitglieder haben, ist die Szene in Deutschland nach wie vor winzig: Nur wenige Tausend Menschen hierzulande spielen überhaupt Snooker, gerade einmal 2 bis 4000 von ihnen nehmen nach Schätzungen der Deutschen Billard-Union an Ligaspielen oder Meisterschaften teil. Auch die hohen Fernseh-Einschaltquoten haben daran bisher kaum etwas ändern können:
"Zum Halbfinale der Weltmeisterschaft vom Snooker her parallel dazu haben alle Vereine einen Tag der offenen Tür gemacht, was auch netterweise beworben wurde von Eurosport dann. Und da sind auch die Zahlen in den Vereinen ein bisschen nach oben gegangen wieder, wo neuer Zuwachs da ist. Aber von einem richtigen Boom würde ich noch nicht sprechen."
Doch natürlich würden Michael Heeger und die Deutsche Billard Union gerne noch mehr vom Zuspruch der Zuschauer profitieren und neue Mitglieder gewinnen. Ungemein helfen würde es da, wenn ein Deutscher den Sprung zu den Profis schaffen würde – und damit auch ins Fernsehen. Und Heeger hat auch schon einen jungen Spieler im Auge: Lukas Kleckers aus Essen. Seit mittlerweile einem Jahr kämpft Kleckers um die Qualifikation für die Main Tour:
"Ich hab mir gesagt, ich versuch das auf jeden Fall, Profi zu werden, weil: Versuch macht schlau. Ich kann jetzt auch nichts großartig verlieren, halt nur ein bisschen Zeit. Es ist ein Traum, dass man halt mit seinem Hobby Geld verdient und vor vielen Zuschauern spielen kann; das macht natürlich auch noch mal einen Anreiz aus."
Kleckers ist 19 und sieht noch recht jungenhaft aus: schmal, eher klein und meistens etwas blass steht er am Snooker-Tisch. Doch davon sollte man sich nicht täuschen lassen: Trotz seiner Jugend ist Kleckers bereits jetzt der beste deutsche Snooker-Spieler: 2013 wurde er Deutscher Meister bei den Herren, da war er 17 Jahre alt. Seit seinem Abitur im vergangenen Sommer widmet sich Kleckers ganz dem Projekt Main Tour. Um die begehrte Spielberechtigung zu gewinnen, spielt er Qualifikations-Turniere auf der ganzen Welt.
So wie Anfang Juni in Prag: In einem Kongresshotel am Rande der tschechischen Hauptstadt findet die Europameisterschaft der Snooker-Amateure statt. In einem achteckigen, abgedunkelten Saal sind auf dem weinroten Teppichboden 16 der großen Snooker-Tische aufgebaut. Sie sind von morgens um 10 bis tief in die Nacht durchgängig belegt, ein Duell folgt auf das nächste. An jedem der Tische steht ein Schiedsrichter im dunklen Anzug und mit weißen Handschuhen. Dazu die beiden Spieler im gebügelten Hemd, mit Fliege und dunkler Weste. Beim Snooker geht es hoch konzentriert und gediegen zu, Anfeuerungen der Zuschauer oder Freudenschreie der Spieler sind verpönt.
Von der Ruhe darf man sich aber nicht täuschen lassen, denn bei der EM geht es um viel: Insgesamt 106 Spieler aus 36 Verbänden treten bei den Herren an. Der Hauptgewinn: ein Zwei-Jahres-Ticket für die Main Tour. Um ins Profilager zu wechseln, muss Lukas Kleckers also alle anderen Teilnehmer besiegen und Europameister werden. Doch zunächst gilt es, die Gruppenphase zu überstehen:
"Ja, ich hatte jetzt vier Spiele gemacht. Die ersten drei konnte ich gewinnen und gegen den Gruppenkopf, gegen den Iren, habe ich jetzt leider gestern verloren. Aber wenn ich jetzt die zwei Matches noch gewinn, dann sollte ich Gruppenzweiter werden."
Und genauso kommt es auch: Am Abend spielt Kleckers hoch konzentriert und schlägt seinen nächsten Gegner mit 4:0 Frames. Auch den letzten Gruppengegner besiegt er nahezu mühelos – und zieht als Zweiter seiner Gruppe in die K.O.-Runde ein.
Das Turnier in Prag ist das vierte in diesem Jahr, bei dem Kleckers die Qualifikation für die Main Tour schaffen will. Bei den vorherigen drei hat es nicht geklappt, auch wenn es zum Teil knapp war:
"Die Europameisterschaft der Jugend, da bin ich Dritter geworden, das war ganz gut. Da war es vielleicht auch das Quäntchen, was so gefehlt hat. Gegen den späteren Sieger im Halbfinale, da war ich schon 4:2 vorne und es war dann im Prinzip ein Ball, der alles entschieden hat. Das ist dann vielleicht auch motivierend, wenn man weiß, wie nah man dran war, wie gut die Chance war. Aber man weiß natürlich nicht, wie häufig so eine Chance nochmal da ist. Das war das Turnier, wo ich schon am nächsten dran war. Bei den anderen Turnieren war ich jetzt nicht direkt so nah dran."
Wenn er gerade nicht in Prag, auf Malta oder in Indien Turniere spielt, dann trainiert Kleckers mehrere Stunden am Tag – meist in seinem Snooker-Club zu Hause in Essen.
"Die guten Spieler lassen das Spiel unheimlich einfach aussehen"
Dort beugt er sich voller Konzentration über den riesigen Tisch, das rechte Bein durchgedrückt, das linke leicht angewinkelt. Seine Augen, die den weißen Ball fixieren, befinden sich fast auf der Höhe des Tisches. Die Haltung sieht anstrengend aus. Nach ein paar Sekunden stößt er zu, die weiße Kugel schießt über den grünen Filz und trifft eine Rote genau an der berechneten Stelle. Während die Rote in einer Ecktasche verschwindet, läuft die Weiße nach dem Zusammenprall ein Stück zurück und bleibt dann liegen. Kleckers schaut zufrieden.
"Wenn die Kugeln einfach liegen, dann kann man weniger verschießen. Leichte Bälle verschießt man natürlich weniger. Und das ist halt die große Kunst. Und deswegen: Die guten Spieler lassen das Spiel unheimlich einfach aussehen, weil sie nie besonders schwierige Bälle spielen müssen, weil sie halt immer sehr gut stellen."
Bei jedem Stoß geht es Kleckers nicht nur darum, eine Kugel einzulochen – sondern er will zugleich die Weiße so positionieren, dass er auch die nächste und übernächste Kugel abräumen kann.
"Man hat natürlich immer einen Plan, wie man die nächsten zwei, drei Stöße machen will. Aber das sind dann immer so Kleinigkeiten: Wenn man zum Beispiel eine Ballbreite zu kurz kommt, dann muss man sich einen anderen Plan machen."
Neben der Präzision der Stöße und der Taktik ist es vor allem das Stellungsspiel, das beim Snooker die guten von den sehr guten Spielern unterscheidet. Um einer der sehr guten zu werden, reicht es auf Dauer allerdings nicht aus, alleine in Essen zu trainieren: Kleckers braucht Trainingspartner, die ihn herausfordern – und die findet er in Deutschland nicht mehr.
Um noch besser zu werden, muss Kleckers ins Mutterland des Snooker-Sports, nach Großbritannien. Es waren britische Offiziere, die den Sport 1875 in der damaligen Kolonie Indien erfunden haben. Bis heute gibt es in Großbritannien mit weitem Abstand die meisten Spieler, die meisten Tische, die meisten Profis. Seit der Einführung der Profi-WM im Jahr 1927 gab es noch keinen Weltmeister, der nicht aus einem der Commonwealth-Staaten stammt. Diese Weltmeisterschaft findet seit 1977 jedes Jahr Anfang Mai im nordenglischen Sheffield statt. Und dort, in Sheffield, ist auch die Star Snooker Academy. Hier holen sich viele Profis vor den Turnieren den letzten Schliff und hier findet auch Lukas Kleckers Trainingsbedingungen, wie er sie in Deutschland nicht hat:
"Erstmal natürlich das Material: Das sind die Tische, die im Fernsehen stehen. Die hat man in Deutschland ganz selten oder gar nicht. Und ganz wichtig sind auch die Trainingspartner: Da ist zum Beispiel ein Ding Junhui – und in Deutschland gibt es halt keinen vergleichbaren Spieler wie Ding Junhui. Und wenn man gegen solche Leute dann mal spielt, dann merkt man: Das ist nochmal was komplett anderes. Und das ist ganz wichtig, gegen so Leute zu trainieren."
Diese besonderen Bedingungen kosten natürlich Geld. Etwa 2000 Euro verlangt die Academy für einen Monat, inklusive Training, Unterkunft und Verpflegung. Viel Geld für einen 19-jährigen. Und weil Snooker in Deutschland ein absolutes Nischendasein fristet, kommen die klassischen Finanzierungs-Wege im Sport für ihn nicht in Frage: Weder die Förderung durch die Deutsche Sporthilfe noch ein Job bei Bundespolizei oder Bundeswehr stehen ihm offen; auch finanzkräftige Sponsoren sind schwer zu finden. Also startete Kleckers im Herbst einen Aufruf in der deutschen Snooker-Szene, ihn bei seinem Traum zu unterstützen – und war überrascht von der großen Resonanz:
"Es kam von verschiedensten Leuten etwas. Also auch von Spielern; aber auch von Leuten, von denen ich noch nie was gehört habe. Die halt Snooker bei Eurosport schauen und es einfach gehört haben und mich dadurch unterstützt haben."
Die Crowdfunding-Kampagne war erfolgreich: Drei Mal konnte sich Kleckers in der Snooker Academy auf Turniere vorbereiten, auch Reisekosten und Startgelder konnte er auf diese Weise bezahlen. Und seit Anfang des Jahres gibt es nun sogar einen ersten Sponsor: Eurosport. Mit seinem Engagement will der Sender Snooker in Deutschland weiter nach vorne bringen, sagt Kommentator Rolf Kalb:
"Natürlich würde es einen zusätzlichen Schub für den Sport selber bedeuten, wenn es denn gelänge, einen Spieler auf die Main Tour zu bringen. Das ist für einen deutschen Spieler nun nicht so einfach, denn die Strukturen in Deutschland sind selbstverständlich ganz andere. Und von daher war klar: Ein Spieler braucht nicht nur Talent, braucht nicht nur die Bereitschaft und die Hingabe, diesen Weg zu gehen, sondern er braucht auch Unterstützung."
Unter anderem bei der Crowdfunding-Kampagne, die mithilfe von Eurosport auf eine professionelle Basis gestellt wurde. Kleckers‘ Seite auf einer entsprechenden Internet-Plattform weist aktuell Spenden in Höhe von über 8700 Euro auf. Dafür trägt Kleckers inzwischen bei Turnieren neben dem Wappen seines Essener Vereins auch das Eurosport-Logo auf seiner Weste.
So auch bei der Europameisterschaft in Prag, wo jetzt die K.O.-Spiele beginnen. In der Runde der letzten 64 kann Kleckers einen Bulgaren besiegen, dann einen jungen Polen.
"Ich hatte jetzt bisher nicht sonderlich gut gespielt. Aber das richtige Turnier fängt halt erst in der K.O.-Runde an, weil: dann zählt jeder Frame, jedes Match: Die K.O.-Phase ist nochmal ein ganz anderer Druck, deswegen kann man das noch nicht sagen."
Auch der europäische Snooker-Verband setzt auf Kleckers
Und so scheiden nach und nach einige Spieler aus, die in der Gruppenphase einen starken Eindruck hinterlassen haben. Kleckers dagegen scheint mit dem Druck gut klarzukommen und kämpft sich Runde für Runde weiter vor: Im Achtelfinale besiegt er einen Schotten deutlich mit 5:1 und zieht ins Viertelfinale ein.
Ursprünglich hatte sich Lukas Kleckers für das Projekt Main Tour ein Jahr Zeit genommen. Während seine früheren Schulkameraden ein Freiwilliges Soziales Jahr absolvieren oder durch die Welt reisen, wollte er den Sprung auf die weltweite Serie von Profiturnieren schaffen – und wenn nicht, dann ein Maschinenbau-Studium anfangen. Mittlerweile hat er seine Pläne etwas geändert:
"Das ist noch nicht ganz sicher, wie ich das genau mache. Wenn ich jetzt anfangen sollte zu studieren, dann wäre Snooker immer noch die Priorität, weil: ein Jahr ist schon sehr wenig Zeit, die man sich dafür nimmt. Deswegen würde ich das Studium versuchen anzufangen, vielleicht auch um ein bisschen was anderes zu sehen. Aber Snooker hätte dann immer noch absolute Priorität."
Seinem Verband sind die geänderten Pläne natürlich sehr recht. Schließlich hat die Deutsche Billard Union Kleckers‘ Entwicklung seit Jahren gefördert: Durch das Kader-Training oder die Übernahme von Reisekosten und Startgeldern bei Welt- und Europameisterschaften. Nun hofft Jugendwart Michael Heeger, dass sich Kleckers seinen Traum erfüllt:
"Wir sind ein Amateur-Verband. Wenn er den Sprung schaffen würde auf die Main-Tour selber, ist er ja als Profi anzusehen und dann fällt er nicht mehr in unser Ressort hinein. Nichtsdestotrotz wollen wir natürlich ein Aushängeschild haben, wie damals auch im Tennis Boris Becker oder Steffi Graf."
Um auf diese Weise den Sport noch populärer zu machen und vielleicht auch auf der Seite der Spieler einen kleinen Boom auszulösen. Die Chancen für Kleckers stehen jedenfalls nicht schlecht, da ist sich Heeger sicher:
"Die letzten paar Jahre haben es gezeigt: Er war immer wieder im Halbfinale, Viertelfinale auf diesen Meisterschaften, hat knapp das Ticket dann nicht erreicht, um auf die Main Tour zu kommen. Ich bin gespannt, ob er es jetzt in dieser nächsten Saison schaffen wird – ich traue es ihm auf jeden Fall zu."
Und auch der europäische Snooker-Verband setzt auf Kleckers. Maxime Cassis, Vorsitzender der European Billard and Snooker Association, hält viel von dem jungen Deutschen.
"Lukas Kleckers ist für mich zur Zeit der mit Sicherheit beste deutsche Spieler. Er war schon mehrfach kurz davor, Profi zu werden – und er wird es schaffen, das weiß ich. Denn er arbeitet hart und wird beständig besser. Und vor allem ist er eine Motivation für andere junge Spieler in Deutschland."
Cassis hofft darauf, dank Spielern wie Kleckers den europäischen Markt noch weiter erschließen zu können. Denn derzeit bemüht sich Snooker darum, olympische Sportart zu werden – am liebsten schon 2020, auf alle Fälle aber 2024. Die übergroße Dominanz der Briten ist da ein Problem, ernsthafte Konkurrenz muss her – am liebsten aus dem finanzkräftigen Kontinentaleuropa:
"Snooker hat in Deutschland eine gute Zukunft vor sich. Hoffentlich können wir eines Tages mal wieder ein Jugend-Turnier in Deutschland veranstalten, denn: Am wichtigsten ist es für uns derzeit, die Zukunft aufzubauen – und die Zukunft sind die Junioren."
Zurück in die Gegenwart: Bei der Europameistershaft in Prag stehen die Viertelfinals an, von ursprünglich 106 sind nur noch acht Spieler übrig. Der Druck steigt, denn nur der Sieger qualifiziert sich direkt für die nächste Saison der Main Tour, die bereits im Spätsommer beginnt. Lukas Kleckers versucht, dennoch gelassen zu bleiben:
"Wenn man sich damit beschäftigt, das bringt nichts, das ist nur hinderlich. […] Es gibt jetzt noch weitere Turniere dieses Jahr. Also, wenn ich jetzt mich später in diesem Jahr bei einem anderen Turnier qualifizieren würde, dann könnte ich erst nächstes Jahr auf der Main Tour spielen."
Doch noch gibt es ja die Chance, direkt zu den Profis zu wechseln. Sein Gegner im Viertelfinale ist ein Isländer, der es bereits einmal geschafft hat, sich für die Main Tour zu qualifizieren. Mit seinen 41 Jahren ist er viel erfahrener als der junge Deutsche. Dennoch gelingt es Kleckers, ihn mit 5:3 zu schlagen. Nun fehlen noch zwei Siege bis zum Titel. Das viele Training und die Turnier-Erfahrung scheinen sich jetzt auszuzahlen:
"Es hat sich auf jeden Fall gelohnt, zumindest jetzt erstmal dieses Jahr zu machen. Hab auch viel trainiert, hab auch viele Leute kennengelernt, hab mich auch würde ich sagen verbessert, natürlich. Das was jetzt in dem gesamten Jahr passiert ist, das war schon nicht schlecht. Es geht auf jeden Fall besser, aber es geht auf jeden Fall auch deutlich schlechter."
Jedes Jahr müssen einige der schwächeren Spieler die Tour wieder verlassen
Auch sein Gegner im Halbfinale, Michael Wild aus England, ist deutlich älter und hat bereits ein Jahr auf der Main Tour gespielt. Dennoch hält Lukas Kleckers das Match lange ausgeglichen, nach sechs Frames steht es 3:3. Doch dann zieht Wild schnell auf 5:3 davon und braucht nur noch einen Frame, um das Match zu entscheiden: Kleckers muss jetzt offensiver spielen, leistet sich dabei kleinere Fehler – und verliert. Wild zieht ins Finale ein und gewinnt am Ende auch den Titel. Kleckers ist enttäuscht, wirkt aber – auch wegen der Aussicht auf das nächste Jahr – gefasst:
"Woran es dann liegt, was dann noch fehlt, ist dann manchmal das bisschen Lauf vielleicht auch noch, manchmal die Nerven – das ist natürlich auch noch mal ne Sache: Umso näher man dann an das Tour-Ticket kommt, umso größer wird der Druck auch, das ist manchmal auch hinderlich. Es gab zum Beispiel ein, zwei Spieler, die waren letztes und vorletztes Jahr so häufig nur einen Frame davon entfernt auf der Tour zu sein, aber sie haben es nicht geschafft, weil der Druck halt riesengroß ist dann."
"Ich denke mal, in knappen Situationen, da braucht er vielleicht noch ein bisschen mehr Erfahrung, um sich da dann auch durchbeißen zu können. Das fehlt vielleicht beim Lukas noch. Oder aber der Druck wird dann auch zu groß, da muss er lernen mit umzugehen. Aber das kann man nur durch Match-Praxis lernen; das ist etwas, was man im Training halt so gut wie gar nicht simulieren kann."
Dennoch ist auch der Fernseh-Kommentator überzeugt, dass sein Schützling es eines Tages auf die Main Tour schaffen wird. Sich dort allerdings auch zu etablieren, das wäre dann nochmal eine ganz andere Aufgabe: Denn jedes Jahr müssen einige der schwächeren Spieler die Tour auch wieder verlassen. Und selbst wenn ein Spieler genug Siege einfährt, um Profi zu bleiben, heißt das noch lange nicht, dass es sich auch finanziell rentiert: Nur etwa die besten 70 der 128 Profis verdienen mit ihrem Sport auch genug Geld, um davon leben zu können. Trotzdem ist Michael Heeger optimistisch, dass es innerhalb weniger Jahre einem Deutschen gelingen wird, sich auf der Tour festzuspielen:
"Wir haben in der zweiten Reihe auch noch genügend Spieler im Moment gerade, die willig sind und die auch förderungswillig sind dabei. Und genau um die kümmern wir uns alle zusammen, und da ist Lukas im Moment unser Steckenpferd. Wär schön, wenn er es schon schafft. Aber ich gehe davon aus, spätestens in fünf Jahren wird es ein anderer sonst geschafft haben, wenn er es nicht geschafft hat."
Und auch Fernseh-Experte Rolf Kalb ist optimistisch, was die Zukunft des deutschen Snookers angeht:
"Ich denke mal, die Entwicklung, die wir im Moment in Deutschland haben, ist eine relativ gesunde. Ich vergleiche das gerne mit dem Tennis-Boom, den wir erlebt haben, als Boris Becker, Steffi Graf und Michael Stich groß wurden und Erfolge einheimsten. Und als diese Großen Drei dann irgendwann ihre Karriere beendet hatten, brach das genauso schnell auch wieder zusammen. Sprich, das große Interesse an Tennis damals, das war nicht begründet in diesem Sport selber, sondern das letztendlich hing an der Nationalität dieser Protagonisten. Die Entwicklung von Snooker in Deutschland ist eine andere: Da haben wir im Moment noch nicht den deutschen Star, den Boris Becker des Snookers sozusagen. Von daher fällt dieser Anknüpfungspunkt für die Fans weg, sondern es ist wirklich ein Interesse am Sport."
Gegen einen Deutschen auf der Tour hätte aber auch Eurosport natürlich nichts einzuwenden. Im Gegenteil, schließlich ist das ja genau das Ziel der Kooperation zwischen dem Sportkanal und Lukas Kleckers. Und so wird Kleckers auch in der kommenden Saison hart dafür arbeiten, der Boris Becker des Snookers zu werden.
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