Science-Fiction-Anthologie "Kollaps und Hope Porn"

Wenn der Möglichkeitsrechner schwarz sieht

06:32 Minuten
Auf blauem Grund stehen die Namen einiger Autoren der Anthologie. Dazu gibt es die dreimal wiederholte, naive Zeichnung eines Auges, dessen Pupille einen Erdball darstellt.
© Mare Verlag
Kollaps und Hope Porn. 13 ZukunftsaussichtenMaro, Augsburg 2022

160 Seiten

24,00 Euro

Von Samuel Hamen · 09.12.2022
Audio herunterladen
Wie kann Literatur noch über Zukunft spekulieren, wenn die Wirklichkeit immer katastrophischer erscheint? Einige junge Autoren sind dieser Frage nachgegangen. Ihre Texte zeigen: Die Zukunft ist ein wichtiges Literaturthema geworden.
Das Hier und Jetzt kann nur der Anfang sein: Im April dieses Jahres trafen sich 13 Autoren in Berlin, um gemeinsam nach Erzählungen zu suchen, "die unseren Ängsten, Wünschen und Hoffnungen Raum geben". So formulieren es Lukas Dubro und Tim Holland, die im Anschluss an das Treffen die Sci-Fi-Anthologie "Kollaps und Hope Porn" herausgegeben haben.
Dort versammeln sie Texte, die allesamt einer für die Science-Fiction existenziellen Frage auf den Grund zu gehen: Wohin vermag die literarische Spekulation einen überhaupt noch zu führen in Anbetracht eines beschädigten Planeten, einer schwelender Zukunftsunlust und lauter prekären Aussichten auf das Kommende?

Virtual Reality bis Post-Apokalypse

Die Beiträger geben darauf unterschiedliche Antworten: Bei Lukas Dubro geht es mitten hinein in die Technik, zu Virtual-Reality-Simulationen von Gewächshäusern, in denen tausenden von Nutzern ein unnatürlich natürliches Erlebnis geboten wird. Aber am Ende steht auch die neue heile grüne Welt vor dem Aus.

Abonnieren Sie unseren Weekender-Newsletter!

Die wichtigsten Kulturdebatten und Empfehlungen der Woche, jeden Freitag direkt in Ihr E-Mail-Postfach.

Vielen Dank für Ihre Anmeldung!

Wir haben Ihnen eine E-Mail mit einem Bestätigungslink zugeschickt.

Falls Sie keine Bestätigungs-Mail für Ihre Registrierung in Ihrem Posteingang sehen, prüfen Sie bitte Ihren Spam-Ordner.

Willkommen zurück!

Sie sind bereits zu diesem Newsletter angemeldet.

Bitte überprüfen Sie Ihre E-Mail Adresse.
Bitte akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung.
Bei Anja Kümmel begibt sich der Leser auf einen Mutter-Tochter-Roadtrip, bei dem aufgegebene moderne Städte postapokalyptisch skizziert werden. Die Aufmerksamkeit richtet sich aber schnell darauf, in welche neuen planetarischen Zusammenhänge sich der Mensch fügen kann: "Wir kommunizieren, indem wir einander verformen, abstoßen, durchdringen. Die einzigen Spuren, die von uns bleiben, in der Vergangenheit."

Wie wird Wissen generiert?

Ganz anders dekliniert wiederum Samuel J. Kramer die Ausgangsfrage: Teile seines Gedichts stammen ursprünglich aus einem Fachaufsatz über die Entwicklung von Kakerlaken in einem bestimmten erdgeschichtlichen Zeitalter. Mithilfe von Übersetzungsprogrammen arrangierte er diesen um: "darin sind kahle fast zerstörte chöre / wo letzte erste vögel sangen / und darin das unentschiedne licht / an einem schwergewordnen tag".
Auch das ist auf seine Art zukunftsweisend: wie Wissen generiert wird, wie wir auf vergangenes Leben zurückblicken und wie wir dessen Auswirkungen bis ins Heute nachspüren können.

Science-Ficion wird wichtiger

Was die Anthologie nebst sprachlich besonders starken Texten (wie "Durch die falsche Brust mitten ins Herz" von Maxi Wallenhorst) so lesenswert macht, das ist die Gleichzeitigkeit von Erzählen und Reflexion. Immer wieder geht es darum, wo sich die Literatur (und mit ihr ihre Urheber) zwischen "Kollaps" und "Hope Porn" verorten kann. Unter letzterem ist eine obszön zur Schau gestellte, zwanghaft affirmierte Hoffnung zu verstehen, vorgetragen als Antwort auf eine zynisch apokalyptische Grundstimmung.
In diesem Sinne ist der Band auch ein Brevier, das eindrücklich zeigt, dass das Science-Fiction-Genre einen immer wichtigeren Platz in der jungen Gegenwartsliteratur einnimmt. Im Rahmen einer Selbstbefragung aktualisiert diese sich gerade insgesamt selbst, um so auf ökologische Umwälzungen und gesellschaftspolitische Problematiken zu reagieren: "Ich habe Angst vor meiner eigenen Vorstellungskraft", heißt es im Beitrag von Tim Holland. "Der Möglichkeitsrechner ist kaputt. Angesichts des Ungewissen tendiert er immer zum Schlimmstmöglichen."
Mit Science-Fiction in die Zukunft