Lübecker Carlebach-Synagoge wiedereröffnet

Ein sichtbarer Ort für das jüdische Leben

10:56 Minuten
Blick in die Carlebach-Synagoge Lübeck, kurz vor ihrer Wiedereröffnung im August 2021.
Lange war sie verschlossen, jetzt strahlt sie wieder: die Carlebach-Synagoge in Lübeck. © picture alliance/dpa/Christian Charisius
Von Johannes Kulms · 13.08.2021
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Nach langer Sanierung öffnet die Carlebach-Synagoge in Lübeck nun endlich wieder ihre Tore. Sie ist eines der wenigen jüdischen Gotteshäuser, die den NS-Terror weitgehend überstanden haben. Der Weg zur Wiedereröffnung war lang und schwierig.
Sieben Jahre lang musste die Gemeinde der Lübecker Carlebach-Synagoge wegen Sanierungsarbeiten für ihre Gottesdienste und die religiösen Feierlichkeiten in ein Kellergeschoss ausweichen. Doch jetzt war es soweit: Der Festakt zur Wiedereröffnung mit rund 100 geladenen Gästen konnte endlich stattfinden. Vorgesehen war sie bereits für das letzte Jahr, doch dann kam Corona.
Jetzt strahlt die Carlebach-Synagoge in der Lübecker Altstadt wieder. Auf den ersten Blick erinnert der große weitläufige Gebetsraum fast an eine Dorfkirche: die Fenster mit ihren gotischen Elementen, die glänzende Holzverkleidung im weiten Gebetsraum und auch die Backsteinfassade.

Die Sanierung dauerte Jahre

Noch im Sommer vor fünf Jahren sah es ganz anders aus in der Lübecker St.-Annen-Straße. Da war nicht nur von Pracht keine Spur, sondern auch nicht vom Ende der Bauarbeiten. Das Baugerüst war abgebaut, der nackte Gebetsraum mit dem Betonfußboden kalt und wenig einladend. Die so dringend benötigte Sanierung des Gotteshauses kam nicht voran.
Alexander Olschanski, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Lübeck, hat es in seiner Rede so ausgedrückt:
"Die Zeit der Renovierung war ein langer und schwerer Weg, sowohl für die Jüdische Gemeinde als auch für alle Beteiligten dieses Projekts."
Die Verzweiflung über die Umstände war ihm seinerzeit ziemlich anzumerken:
"Das ist eine Tragödie für unsere Gemeinde. Das ist ganz schlimm. Und vorher, der super Gebetssaal und die Synagoge - alles war schön. Aber jetzt? - Das ist unmöglich für uns, das jeden Tag zu sehen, das ist sehr, sehr problematisch."

Eine Finanzierung auf wackligen Füßen

Thomas Schröder Berkenthin hat das Projekt von Anfang an als Architekt begleitet. Die Ursache für den Stillstand benannte er im Sommer 2016 sehr klar: "Was schief läuft ist, dass wir kein Geld mehr haben. Und wenn man kein Geld mehr hat dann kann man nicht mehr bauen."
Die Finanzierung des Sanierungsprojekts habe von Anfang an auf wackligen Füßen gestanden, so der Architekt. Wer sich im Sommer 2016 nach den Gründen in der Hansestadt erkundigte, bekam oft Wörter zu hören wie "sehr sensibel" oder "heikles Thema".
Klar ist, dass bei dem Vorhaben eine Vielzahl von Akteuren involviert waren: die Jüdische Gemeinde ebenso wie die Stadt Lübeck, das Land Schleswig-Holstein, aber auch die Bundesregierung und mehrere gemeinnützige Stiftungen.
Eine Musikgruppe spielt beim Festakt zur Wiedereröffnung der Carlebach Synagoge.
Auftakt mit Musik: Die Lübecker Vagabund-Klezmer-Band spielt auf.© picture alliance/dpaPool/Christian Charisius
Architekt Schröder-Berkenthin sah die Gründe für die Verzögerungen nicht nur bei den Geldgebern, sondern auch bei der Jüdischen Gemeinde in Lübeck. Ein Großteil der rund 700 Mitglieder stammt aus Ländern der früheren Sowjetunion.
"Projekte dieser Art haben in der Regel auch einen Bauherren, der in der Lage ist, aufgrund seiner Körperschaft, einen Eigenmittelanteil nachzuweisen oder aber einen Förderkreis zu gründen oder aber Stifter zu suchen und zu finden, die diesen Anteil übernehmen. In unserem Fall ist es so, dass die Gemeinde selber schon rein sprachlich nicht in der Lage ist, so etwas zu leisten, und deshalb Hilfe von außen braucht."

Ein schützenswertes Haus mit besonderer Geschichte

Acht Monate hielt der Baustopp an. Dann gab es endlich Bewegung. Ein Projektkoordinator sollte fortan die Gemeinde begleiten. Weitere Gelder wurden bewilligt, um die Finanzierungslücken zu schließen. 8,4 Millionen Euro wird die Instandsetzung der Carlebach-Synagoge am Ende kosten. Die Bundesregierung trägt davon rund 40 Prozent, die Landesregierung in Kiel ein knappes Drittel. Auch die Hansestadt Lübeck und die Lübecker Possehl-Stiftung beteiligen sich an der Finanzierung der Arbeiten.
Offenbar ist 2016 allen klar geworden, dass man die jüdische Gemeinde der Hansestadt nicht allein lassen kann und dass das Gebäude mit der mächtigen Backsteinfassade in der St.-Annen-Straße eine ganz besondere Geschichte hat. So hat auch Kulturstaatsministerin Monika Grütters beim Festakt an diesem Donnerstag erklärt:
"Schützens- und erhaltenswert ist die Carlebach-Synagoge aber nicht nur als Ort des Gebetes, sondern eben auch als Erinnerungsort und als Teil des nationalen Kulturerbes. Mit den weiterhin sichtbaren Spuren des nationalsozialistischen Zerstörungsfurors erinnert sie an Gewalt und Grausamkeit gegen Jüdinnen und Juden, an die systematische Vertreibung und Vernichtung jüdischen Lebens und an die ihr zugrunde liegende, menschenverachtende antisemitische Ideologie."
Monika Grütters steht vor religiösen Symbolen am Rednerpult
Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) beim Festakt zur Wiedereröffnung der Lübecker Carlebach-Synagoge© picture alliance/dpa-Pool/Christian Charisius
1880 wurde die Lübecker Synagoge eingeweiht. Der Backsteinbau mit der maurischen Fassade und der mächtigen Kuppel auf dem Dach orientierte sich an einem Vorbild im 300 Kilometer entfernten Berlin, der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße.

Die Nazis wollten eine Turnhalle aus dem Gebäude machen

Vieles von der Pracht der Carlebach-Synagoge wurde in der Pogromnacht am 9. November 1938 zerstört. Doch anders als der Großteil der jüdischen Gotteshäuser im nationalsozialistischen Deutschland ging der Bau nicht in Flammen auf.
Die Nationalsozialisten wollten das Gebäude weiter nutzen – unter anderem als Turnhalle. Dafür wurde die maurische Fassade durch eine Backsteinfront ersetzt. Auch die Kuppel verschwand. Trotzdem blieb das 1880 eingeweihte Gebäude in seinen Grundfesten erhalten.
Auch nach den nun abgeschlossenen Sanierungsarbeiten ist die Fassade geblieben, denn auch sie gehört zur bewegten Geschichte der Carlebach-Synagoge.

Appell gegen erstarkenden Antisemitismus

Einer Geschichte, die längst nicht vorüber ist. Fast alle Rednerinnen und Redner warnten beim Festakt vor dem Erstarken von Antisemitismus und Rassismus. Josef Schuster, Vorsitzender des Zentralrats der Juden, machte dafür auch die AfD verantwortlich. Ziel müsste sein, die Partei aus den deutschen Parlamenten politisch wieder hinauszudrängen, sagte er:
"Diese Partei arbeitet nach meiner Einschätzung kontinuierlich daran, die demokratischen Grundwerte auszuhöhlen und unsere politische Kultur in der Bevölkerung zu diskreditieren. Dabei scheut sie vor Tabubrüchen nicht zurück. Minderheiten wie Muslime oder Asylbewerber werden verächtlich gemacht. Meine Damen und Herren, diese Politik der AfD halte ich für brandgefährlich. Sie bereitet letztlich den Boden für Anschläge wie in Halle. Oder wie in Hanau."

In den Neunzigern flogen Brandsätze

Die Carlebach-Synagoge blickt nicht nur auf eine bewegte Geschichte, weil sie als einziges intaktes jüdisches Gotteshaus in Schleswig-Holstein weiter existiert, sondern weil sie auch die erste Synagoge war, auf die nach dem Ende des NS-Terrors wieder ein Brandanschlag verübt wurde.
Im März 1994 hatten vier junge Männer aus der rechtsradikalen Szene einen Brandsatz in den Vorraum der Synagoge geworden. Verletzt wurde durch viel Glück niemand. Die Familie, die in der Nacht im ersten Stockwerk des Gebäudes wohnte, konnte sich im letzten Moment in Sicherheit bringen.
Jan Lindenau – heute SPD-Bürgermeister der Hansestadt – beschreibt den Anschlag von 1994 als Ereignis, das ihn im Alter von 14 Jahren politisiert habe. Der Jugendliche organisierte damals spontan eine Schülerdemo.
"Für mich war es im Grunde der Moment, als mir klar wurde, dass ich mich für die Gesellschaft engagieren muss, damit wir das, was wir in Nazi-Deutschland erlebt haben, kein zweites Mal erleben."
Jan Lindenau trägt Kippa und steht an einem Rednerpult, vor ihm ist eine Decke mit dem sechszackigen Judenstern ausgebreitet.
Lübecks Oberbürgermeister Jan Lindenau (SPD) spricht beim Festakt zur Wiedereröffnung der Carlebach-Synagoge.© picture alliance/dpaPool/Christian Charisius
Wenige Monate später, 1995, sollte es einen weiteren Brandanschlag auf die Lübecker Synagoge geben. Die Täter wurden nie gefasst.
Nicht nur für die jüdische Gemeinde – für die gesamte Bevölkerung der Hansestadt waren die beiden Anschläge ein Schock. Rund 50 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und des Holocausts zeigten sie, wie verwundbar die Gesellschaft weiterhin ist. Oder sollte man besser sagen: wieder?

Ein sichtbarer Ort des Glaubens in Schleswig-Holstein

Bereits seit einem Jahr ist die Sanierung abgeschlossen, die Carlebach-Synagoge wird wieder genutzt für Gottesdienste und Feiern. Doch mit dem nun nachgeholten Festakt gibt es für die Gemeinde in Schleswig-Holstein zumindest für ein paar Tage viel Aufmerksamkeit und Zuspruch von der Politik.
"Signal" – dieses Wort ist an diesem Donnerstag im lichtdurchfluteten Gebetssaal immer wieder zu hören. Jüdischer Glaube müsse gelebt werden können, sagt Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther:
"Er braucht Orte, an denen er sichtbar wird. Nicht verschämt am Rande, sondern strahlend inmitten unserer Gesellschaft. Die Carlebach-Synagoge wird dazu beitragen. Ich freue mich, dass wir der Gemeinde heute ihre Heimat zurückgeben können. Wir freuen uns mit Ihnen über den neuen, glanzvollen Mittelpunkt Ihres gemeindlichen Lebens. Dafür wünsche ich Ihnen alles erdenklich Gute!"

Kein Museum, sondern ein lebendiger Ort

Zur feierlichen Wiedereröffnung ist auch Levy Kahn angereist. Er ist Rabbiner in Paris. Und der Urenkel von Salomon Carlebach, der als Rabbiner 1880 bei der Eröffnung der Synagoge in der Lübecker Gemeinde aktiv war und den Bau des Hauses vorangetrieben hatte.
Kahn hofft, dass das nun wiedereröffnete Gebäude weniger als Museum betrachtet wird, ondern dass dort gebetet wird und dass das Gotteshaus so mit Leben gefüllt wird, wie es auch seinem Urgroßvater vorschwebte.
Ob es so kommt, liegt nun nicht nur in den Händen der Jüdischen Gemeinde, sondern auch der gesamten Bevölkerung der Hansestadt. Sie wird darüber entscheiden, welchen Platz die Carlebach-Synagoge künftig in der Gesellschaft bekommen wird und damit auch das jüdische Leben.
(thg/leicht bearbeitete Onlinefassung)
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