Lucy Fricke über "Klasse und Kampf"

Warum die Herkunft so schwer zu überwinden ist

09:41 Minuten
Lucy Fricke bei einer Lesung.
Die Schriftstellerin Lucy Fricke berichtet von ihrem sozialen Aufstieg und warum sie sich nicht entspannen kann. © imago / Gerhard Leber
Moderation: Eckhard Roelcke · 10.04.2021
Audio herunterladen
In Deutschland verschärft sich die soziale Spaltung. Der Essayband "Klasse und Kampf" beschäftigt sich mit den feinen Unterschieden, die die verschiedenen Milieus von einander trennen. Die Autorin Lucy Fricke erklärt, warum das heute noch so ist.
"Ich bemerkte lustigerweise oft eine Gemeinsamkeit mit meinen ostdeutschen Freunden, die auch sagen: Wir mussten ja alles lernen, wir mussten die Codes lernen. Wir mussten lernen, wie man sich bewegt. Wir mussten Themen lernen. Natürlich kannten wir uns nicht aus mit verschiedenen Weinsorten, Weingütern – all diesen Small-Talk-Themen", sagt die Hamburger Schriftstellerin Lucy Fricke, die einen Text zum neu erschienenen Essayband "Klasse und Kampf" beigesteuert hat.
14 Beiträge – unter anderem von Clemens Meyer, Sharon Dodua Otoo und Olivia Wenzel – erzählen darin von den feinen Unterschieden, die die verschiedenen Milieus oder Klassen von einander trennen, von der Spaltung, die sich immer mehr vertieft.
"Das liegt daran, dass sich Milieus einfach immer weniger vermischen, dass man auch immer weniger miteinander redet. Das ist auch der Sinn dieser Anthologie: Einfach mal Geschichten zu erzählen, die eben aus einem anderen Milieu stammen, als das klassische intellektuelle, künstlerische Milieu", sagt Lucy Fricke.

Trotz Unsicherheit zum Erfolg

In ihrem Text beschreibt Fricke ihre Jugend, die Arbeit als 17-Jährige in einer Fischfabrik, das wenig Behütete, das Unbehauste einerseits und andererseits das Gefühl, es geschafft zu haben und am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig zu studieren. Und schließlich wieder das Gefühl, sich doch nicht zugehörig zu fühlen. Dabei ist sie eine erfolgreiche Schriftstellerin, ihr letzter Roman "Töchter" wurde ein Bestseller.
Trotz ihres Erfolgs schwingt immer eine Unsicherheit mit, wie sie sagt, "eben nicht daran zu glauben, dass das jetzt so weitergeht, sondern immer zu denken: Na ja, jetzt muss man das, was man hat, irgendwie zusammenhalten und das verdiente Geld sichern; im Prinzip noch härter arbeiten, um das, was man gerade erreicht hat, nicht mehr zu verlieren."

Sozialer Aufstieg ist mühsam und anstrengend

Es geht also um Selbstvertrauen, wie sie sagt, von dem man etwas mehr hat, wenn man privilegiert aufgewachsen ist, und etwas weniger, wenn das nicht der Fall war: "Wenn man so nicht aufgewachsen ist, hat man diese ganzen Netzwerke schon mal nicht, man hat so einen Habitus nicht. Man hat auch die Bildung vielleicht nicht, für die man sich dann immer ein bisschen schämt. Dieser soziale Aufstieg ist eben doch sehr mühsam und anstrengend."
Doch mit dem Alter schwindet die Scham immer mehr, wie sie sagt, "und man fängt an, zum einen Witze darüber zu machen, aber auch zu denken: Es ist okay, man hat zwei Welten in sich, das kann auch ein Vorteil sein."
(ckr)
Mehr zum Thema