Anthologie "Klasse und Kampf"

Soziale Ungleichheit wie zu Kaisers Zeiten

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Ein Plakat mit der Aufschrift "Für eine solidarische Welt" steht nach einer Demonstration an eine Hauswand gelehnt.
Um Armut, Milieus und strukturelle Diskriminierung kreisen die 14 Texte in der Anthologie "Klasse und Kampf". © Picture Alliance / dpa / Sebastian Gollnow
Christian Baron im Gespräch mit Joachim Scholl · 29.03.2021
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„Klasse“ – das klingt nach Arbeiterbewegung und Vergangenheit. Dass die Klassenfrage heute wieder ein hochaktuelles, wenn auch vernachlässigtes Thema ist, belegt die Textsammlung „Klasse und Kampf“. Autor Christian Baron hat sie mit herausgegeben.
Themen wie "Race" und "Gender" sind in der Literatur – auch in der deutschsprachigen – in den zurückliegenden Jahren immer präsenter geworden. Was aber ist eigentlich aus dem Begriff der "Klasse" geworden und im Zusammenhang damit aus dem "Klassenkampf"?
Nach Meinung des Schriftstellers Christian Baron ("Ein Mann seiner Klasse") gewinnt die Klassenfrage wieder an Bedeutung – im gleichen Maße wie "die Sozialdemokratie aufgehört hat, sozialdemokratisch zu sein", der Neoliberalismus erstarkt sei und die sozialen Unterschiede sich verschärft hätten.

Die Klassenfrage galt lange als unsexy

"Klasse ist ja eine Dimension, die als unsexy galt in den letzten Jahren", sagt Baron. "Und jetzt bricht da ganz langsam wieder etwas auf, gerade, weil wir in der Coronapandemie deutlicher merken: Diejenigen, die am härtesten getroffen werden – sowohl gesundheitlich als auch ökonomisch -, das sind diejenigen, die arm sind."
Der Schriftsteller Christian Baron hält nach dem Erhalt des Klaus-Michael Kühne-Preises für seinen Roman «Ein Mann seiner Klasse» eine Dankesrede. Der mit 10 000 Euro dotierte Preis wird für den besten deutschsprachigen Debütroman verliehen. 
Zu lange wurde die Klassenfrage in Deutschland ignoriert, meint Autor Christian Baron.© picture alliance/dpa / Markus Scholz
Der Schriftsteller ist Herausgeber der Anthologie "Klasse und Kampf", die Erzählungen und Essays von 14 Autorinnen und Autoren über Armut und Prekariat in der heutigen Zeit versammelt. Die Texte beschreiben, was es bedeutet, im Deutschland des 21. Jahrhunderts zur "Unterschicht" zu gehören und dafür ausgegrenzt zu werden. Sie thematisieren aber auch das Unbehagen, in ein anderes Milieu aufzurücken und sich darin nicht so recht zu Hause zu fühlen.
Auch Baron, der selbst in armen Verhältnissen aufgewachsen ist und aus der Pfalz stammt, ist mit einer Erzählung über eine Beerdigung in seiner Familie, die diese selbst nicht bezahlen kann, vertreten. Unter den anderen Autorinnen und Autoren sind prominente Namen wie Clemens Meyer, Sharon Dodua Otoo oder Lucy Fricke.

Große Schere zwischen Arm und Reich

Die versammelten Texte wollen laut Baron "nicht zur Revolution aufrufen" oder agitatorisch die rote Fahne schwingen, sondern mit literarischen Mitteln auf ein großes Problem aufmerksam machen: "Wir haben soziale Unterschiede, die an die Zeiten des Kaiserreichs erinnern. Natürlich auf einem ganz anderen Niveau. Aber was die Unterschiede von Arm und Reich angeht, ist die Schere ähnlich weit aufgegangen. Und das ist für eine demokratische Gesellschaft, die im Grundgesetz stehen hat, dass sie ein sozialer Bundesstaat ist, ein absoluter Skandal."
"Klasse und Kampf", wünscht sich Baron, soll nachhaltig mit dem Mythos von der klassenlosen Gesellschaft aufräumen – und dadurch auch politische Kraft entwickeln.
(mkn)

Christian Baron (Hrsg.): "Klasse und Kampf"
Mit Texten von u. a. Clemens Meyer, Sharon Otoo, Lucy Fricke, Olivia Wenzel
Claassen Verlag, Berlin 2021
224 Seiten, 20 Euro

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