Loudon Wainwright III: "I’d Rather Lead A Band"

Zu Besuch im alten "American Songbook"

06:54 Minuten
Richard Thompson und Loudon Wainwright III in der Royal Albert Hall
Singt jetzt US-amerikanische Songklassiker: Loudon Wainwright III © picture alliance/dpa/Capital Pictures
Von Harald Mönkedieck · 07.10.2020
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Loudon Wainwright III thematisiert in seinen Songs oft sich selbst und seine Familienbande. Ganz anders allerdings klingt sein neues Album "I’d Rather Lead A Band". Es ist eine Stippvisite in einer längst vergangenen Ära.
Es ist keine seltene Kombination: Ein Künstler der Generation "Boomer" wendet sich im fortgeschrittenen Alter den Songs des American Songbook zu. Nicht selten wird es dann nostalgisch und sentimental. Loudon Wainwright III ist 74 und steht nicht im Verdacht, Nostalgiker zu sein. Ist es auch mit dem neuen Projekt nicht geworden. Wenn der Interpret Wainwright sich auf seinem liebevoll realisierten Album um Songs der 1920er- und 30er-Jahre kümmert, dann tut er es mit einem Bewusstsein für zeitlose Themen.
"Diese Songs wurden zu einer bestimmten Zeit geschrieben, zur Zeit der ‚Great Depression‘ oder in den ‚Roaring Twenties‘", sagt Wainwright. "Ich nehme an, das hatte einen Einfluss auf die Autoren. Aber es geht auch um Dinge, die heute passieren. In 'Giving It To Mary With Love' um Sex, in 'A Ship Without A Sail' darum, isoliert und einsam zu sein. 'You Rascal You' ist ein Song über Zorn, Eifersucht und Rache. Die Songs sind nicht nur für ihre Zeit bestimmt. Man kann sie auf jede Zeit beziehen. Das ist ein Grund, weshalb sie es verdienen, präsentiert zu werden."
Das Album entstand im Spätsommer 2019, gemeinsam mit dem New Yorker Swing-Experten Vince Giordano und seinem zwölfköpfigen Nighthawks-Orchester. Der Bandleader aus Brooklyn gilt als obsessiver Experte. Man lernte sich kennen schon vor Jahren, unter anderem bei Soundtrack-Aufnahmen zur HBO-Serie "Boardwalk Empire". Das Wainwright-Album nahm Gestalt an im einst von Jimi Hendrix etablierten Electric-Lady-Studio. Eine Präsenz der Rocklegende habe er nicht gespürt, scherzt Wainwright. Aber es sei ein atmosphärisch guter Raum. Es ging darum, sich die Songs zu eigen zu machen.
"Ich bin zwar gemeinhin ein Singer-Songwriter, der seine eigenen, speziellen, Songs singt", sagt Wainwright. "Aber ich bin auch Sänger. Schon als Teenager habe ich zum Radio gesungen. Ich singe seit 60 Jahren. Ich weiß jetzt, wie das geht, und es war keine Anstrengung. Als wir die richtigen Songs gefunden hatten, ging es darum, in ihnen zu leben. Das musste sein, um an die emotionale Bedeutung der Songs zu gelangen. Harte Arbeit war das aber nicht. Es sind so tolle Songs. Die Arrangements von Vince waren wunderbar, die Musiker unglaublich. Es war locker."

Gesegnet mit kräftiger Stimme

Der Sänger Wainwright beeindruckt in der Tat durch souveränes Timing und elegante Phrasierung, mit klarer Diktion – dazu auch mit Elementen der eigenen Künstler-Persona: schelmisch, humorvoll, melancholisch. Das Böse bleibt diesmal außen vor. Die Stimme funktioniert noch – und Wainwright ist dankbar. "Ich habe Glück gehabt – toi, toi, toi…", sagt er und klopft auf Holz. "Ich bin gesegnet mit einer kräftigen und beständigen Stimme."
Loudon Wainwright erinnert sich an alte Einflüsse durch die Plattensammlung des Vaters, die bei einem Hausbrand vor Jahren schon verloren ging. Er befindet sich auch nach seinem retrospektiven Ein-Mann-Bühnenstück "Surviving Twin" zum Thema Vater/Sohn – zu sehen bei einem Streaminganbieter – weiter in intensiver Auseinandersetzung mit dem Lebensthema "Familie". Eine Schwester ist im Hospiz, die 27-jährige Tochter Lexie hadert mit den Auswirkungen der Pandemie auf ihr Leben. Die reale Gegenwart macht Sorge.
"Das alles hätte so nicht passieren sollen", sagt Wainwright. "Es ist furchtbar, traurig, verwirrend – und sehr deprimierend. Die Pandemie hat sich mit dem Politischen verbunden. Es ist konvergiert, miteinander verschmolzen. Und das nicht, weil es so sein musste. Man wacht auf und denkt: Was zur Hölle wird bloß passieren? Aber auch diese Songs wurden geschrieben in schweren Zeiten. Börsencrash, Arbeitslosigkeit – und das ist auch ganz natürlich. Sie machen gute Laune, denn das brauchen die Menschen."

Vom Glück, jemanden bei sich zu haben

In der Tat könnte das Repertoire auf "I’d Rather Lead A Band" auch mürrischen Zeitgenossen ein Lächeln ins Antlitz zaubern. Wainwright, der 74-Jährige, hat der amerikanischen Gesellschaft ein Geschenk gemacht, dem sie sich zuwenden kann für etwas Erholung von der anstrengenden Nachrichtenlage, die maßgeblich bestimmt wird von einem ganz anderen 74-Jährigen. Einem, den Wainwright gar nicht schätzt. Doch auch der Songwriter Wainwright wird wieder an den Start gehen. Seinen jüngsten Song schrieb er über das Glück der Zweisamkeit in schwierigen Zeiten.
"'These Days It Takes Two' heißt mein neuester Song", sagt er. "Es geht darin um Isolation, denn auch ich bin mit meiner Freundin in einer Art Lockdown seit Monaten, in diesem Haus auf Long Island. Es geht um das Glück, einfach jemanden bei sich zu haben. Ich habe auch eine Strophe über Donald Trump geschrieben. Die ich jetzt wohl nicht machen kann. Verdammt! Ich für meinen Teil zähle deshalb zu denen, die wünschten, er wäre nicht erkrankt."
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