Lorena Salazar: „Der Fluss ist eine Wunde voller Fische“

Bootsfahrt ins Ungewisse

05:54 Minuten
Auf dem Buchcover "Der Fluss ist eine Wunde voller Fische" sind tropische Planzen zu sehen.
© Blumenbar Verlag

Lorena Salazar

Aus dem Spanischen übersetzt von Grit Weirauch

Der Fluss ist eine Wunde voller FischeBlumenbar Verlag, Berlin 2022

176 Seiten

20,00 Euro

Von Olga Hochweis |
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Im Debüt von Lorena Salazar fährt eine weiße Ich-Erzählerin in Kolumbien einen Fluss hinunter. Die Geschichte dreht sich um Themen wie Mutterschaft, Rassismus und den Wunsch, dazuzugehören. Die schwebende Sprache entschädigt für inhaltliche Schwächen.
„Du bist der Spanier“, bestimmt die Klassenbeste. Das trifft die namenlose Icherzählerin. Sie ist als Einzige in der Klasse weiß. Folglich muss sie in der Schulaufführung die Rolle des despotischen Kolonialherren übernehmen. Die anderen Mädchen tragen bunte Röcke und Ketten und freuen sich darüber, die ausgebeuteten Sklavinnen und Indianerinnen zu spielen.
Lorena Salazar wurde 1992 in Medellín geboren. Als Neunjährige zog sie mit ihrer Familie in die Region Chocó im Nordwesten Kolumbiens, in der die überwiegend afro-kolumbianische Bevölkerung bis heute vor allem vom und am Atrato-Fluss lebt. Mit ihrem Debütroman „Der Fluss ist eine Wunde voller Fische“ kehrt Salazar zurück an den Ort ihrer prägenden Lebensjahre.

Ein Baby – einfach in die Hand gedrückt

Ihre Protagonistin ist eine erwachsene Frau, die im Mai 2002 während einer mehrtägigen Fahrt auf dem Fluss von Quibdó nach Bellavista immer wieder gedanklich zurückkehrt in ihre Kindheit – und zum Wunsch dazuzugehören. Sie ist in Begleitung ihres Sohnes, eines ebenfalls namenlosen, circa sechsjährigen dunkelhäutigen Jungen.
Grund der Reise ist ein Wiedersehen mit der leiblichen Mutter des Kindes, Gina, die der Icherzählerin vor Jahren das Baby in die Hand gedrückt hatte mit den Worten, sie habe schon drei Kinder.
Diese Mutterschaft hatte der Icherzählerin Teilhabe in der Gemeinschaft der Afro-Kolumbianer verschafft, doch nun scheint beides in Gefahr. Wird sie das Kind behalten dürfen oder ist die Blutsverwandtschaft bedeutsamer?
Salazar verhandelt im Roman unterschiedliche Facetten des Mutterseins, sei es die Beziehung der Protagonistin zu ihrer eigenen Mutter oder die Geschichte einer auf dem schmalen Boot mitreisenden jungen Frau, die eine Fehlgeburt erleidet und stirbt.

Am Ende steht ein Massaker

Ihr Tod ist einer von mehreren dunklen Vorboten des Massakers, mit dem der Roman drastisch zu Ende geht. Salazar bezieht sich auf ein reales, historisches Ereignis vom Mai 2002, bei dem in Bellavista am Atrato-Fluss - dem Zielort der Protagonistin – 119 Schutz suchende Menschen, darunter viele Kinder, in einer Kirche von Farc-Rebellen ermordet wurden.
Dieses „Finale“ gehört nicht zu den besten Passagen des Debüts. Der Roman wurde auch für seinen positiven Rassismus - da ist von „kaffeebrauner" oder "cremefarbener Schönheit“ die Rede - gescholten. Dennoch ist dies ein lesenswertes Buch. Lorena Salazar findet einen eigenen Ton und eine bildhafte Sprache, die den Atrato-Fluss und seine Menschen sinnlich plastisch macht.
Zudem orientiert sich die Autorin, die Creative Writing in Madrid studiert hat, eindrücklich am Klang und Rhythmus mündlicher Tradition. Sie listet am Ende mehrere lateinamerikanische Wiegen- und Totenlieder sowie zwei Gedichte auf, die, so wie sie es nennt, „über dem Buch schwebten“. Dieser schwebende poetische und schöne Klang kennzeichnet den Roman.

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