Maya-Reporterinnen in Guatemala

Wie die katholische Kirche kritischen Journalismus fördert

09:31 Minuten
Guatemala
Der eigenen Community Gehör verschaffen: Eine indigene Reporterin nimmt ein Interview auf. © Andreas Boueke
Von Andreas Boueke · 11.12.2022
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In Guatemala werden die indigenen Mayas diskriminiert und zum Teil brutal unterdrückt. Mutige Lokalreporterinnen machen auf diese Menschenrechtsverletzungen aufmerksam. Unterstützung erhalten sie dabei von der Kirche.
"Es geht darum, denjenigen Menschen eine Stimme zu geben, die sonst nie gehört werden", sagt Luisa Fernanda Nicolau vom Bistum in Guatemala-Stadt. "Viele Berichte von Gemeindereportern handeln von denselben Misshandlungen, von denen schon Jesus gesprochen hat."

Das Bistum unterstützt Rechercheprojekte

Die katholische Medienwissenschaftlerin arbeitet seit 25 Jahren im Menschenrechtsbüro des Bistums. "Die Kirche unterstützt Rechercheprojekte indigener Journalistinnen, damit auch zukünftige Generationen der Mayabevölkerung die Möglichkeit haben werden, ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrzunehmen", erklärt Nicolau.

Viele der Lokalreporter berichten über die Lebensrealität der Urbevölkerung. Dabei gehen sie von einem Wunsch nach Gerechtigkeit aus und von der Erinnerung an all das Leid, das diese Menschen seit Jahrhunderten erleben.

Luisa Fernanda Nicolau, Bistum Guatemala-Stadt

Knapp einen Kilometer von der Kathedrale im alten Zentrum von Guatemala-Stadt entfernt, haben sich einige Dutzend Journalistinnen und Sympathisanten zu einem Demonstrationszug zusammengefunden. Während sie gegen die ungerechte Inhaftierung ihrer Kolleginnen und Kollegen protestieren, macht die Lokalreporterin Norma Sancir Fotos.
"In der Medienbranche werden gerade wir Frauen aus der Mayabevölkerung stigmatisiert", sagt Sancir. "Die Regierung, das Justizsystem und die etablierten Presseverlage und Sender erkennen unsere freiberufliche Arbeit nicht als legitim an."

Übergriffe der Polizei gegen Demonstranten

Norma Sancir stammt selbst aus dem Mayavolk der Kaqchikel. An diesem Tag ist sie nicht nur als Reporterin bei der Demonstration dabei, sondern auch als Betroffene. Einmal wurde sie festgenommen, als sie Fotos von gewaltsamen Übergriffen der Polizei gegen Demonstranten machte.
Eine Frau steht auf der Straße und richtet ihren Fotoapparat auf eine Frau im Vordergrund, die ein TRansparent hält und in zwei Mikrofone spricht.
Lokalreporterinnen berichten von den Protesten.© Andreas Boueke
"Die Polizisten waren vulgär, gewalttätig und haben mich sehr aggressiv behandelt, so als wäre ich eine gefährliche Kriminelle", erzählt Sancir. "Der Richter hat mir gar nicht erst zugehört. Ich kam ins Gefängnis, obwohl ich mich als Gemeindereporterin ausweisen konnte und musste dort abwarten, was passiert."
Die Anklage lautete: Unterstützung einer kriminellen Vereinigung. Trotz dieser erschreckenden Erfahrung berichtet Norma Sancir auch jetzt wieder über die Losung des Protestzugs.

Sie können Journalisten mundtod machen, aber die Wahrheit wird trotzdem nicht verstummen.

Norma Sancir, Gemeindereporterin

Dank dem Druck nationaler und internationaler Presseverbände kam Sancir schon wenige Tage nach der Verhaftung wieder frei. Doch sie ist überzeugt, dass die Pressefreiheit in Guatemala genauso wenig respektiert wird wie das Recht der Bevölkerung auf Informationen.

Morde und Verhaftungen – die Gefahr ist real

So sieht es auch Luisa Fernanda Nicolau, die Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit des katholischen Menschenrechtsbüros. In ihrem Büro sitzt sie hinter einem Schreibtisch aus Blech im Schatten der Kathedrale von Guatemala-Stadt. Die ausgebildete Journalistin engagiert sich schon lange für die Anerkennung der Rechte der indigenen Bevölkerung Guatemalas. Sie weiß aus Erfahrung, wie gefährlich die Unterstützung kritischer Reporterinnen auch für Kirchenangestellte sein kann.
"Sobald du den Sprachlosen eine Stimme gibst, gehst Du ein Risiko ein", sagt Nicolau. "Die Gefahr ist sehr real: Immer wieder kommt es zu Mordanschlägen und ungerechtfertigten Inhaftierungen. Umso deutlicher wird der Mut vieler Lokalreporter, die sich für die Wahrheit einsetzen. Schon wenn sie nur ein Mikrofon in die Hand nehmen, bringen sie sich in Gefahr."
Eine Frau interviewt eine andere Frau und filmt sie mit ihrem Smartphone. Beide tragen Strohhüte mit bunten Krempen.
Indigene Gemeindejournalistinnen bei der Arbeit© Andreas Boueke
Die Aufgabe der Kirche sei es, diese Reporterinnen zu begleiten, bekräftigt Nicolau: "Sie sollen spüren, dass sie nicht allein und schutzlos sind. Durch Therapieangebote und die Finanzierung von Sicherheitsmaßnahmen tragen wir dazu bei, das Risiko für ihr Leben, ihre Arbeit und ihre körperliche und seelische Unversehrtheit zu begrenzen."
Die katholische Kirche in Guatemala bildet auch selbst indigene Reporterinnen aus, damit sie aus ihren Dörfern für kirchliche Medien berichten können.

Indigene kämpfen gegen die Zerstörung der Natur

Norma Sancir hat die meiste Zeit ihrer journalistischen Karriere im Osten von Guatemala verbracht, in der Region des Mayavolks der Chortí. Diese abgelegene Gegend ist vor allem wegen ihrer hohen Unterernährungsrate bekannt. Zwei von drei Kindern bekommen nicht genug zu essen.
"Noch weniger Aufmerksamkeit bekommt der Kampf der indigenen Bevölkerung um die Bewahrung ihrer Lebensgrundlage. Tatsächlich aber leisten viele Menschen Widerstand. Sie verteidigen ihren Landbesitz und wollen Mutter Erde beschützen."
Eine Frau mit Atemschutzmaske steht an einer archäologischen Grabungsstätte vor staubigen Treppen und Kammern, die durch ein Bretterdach geschützt sind.
Reporterin Norma Sancir besucht die archäologische Grabungsstätte Kaminal Juyú bei Guatemala-Stadt.© Andreas Boueke
In den kleinen Dörfern in der Umgebung der Ortschaft Olopa hat die engagierte Journalistin viele Freunde gefunden, so auch den 33-jährigen Ubaldino García.

Ich bin im Widerstand unseres Dorfes gegen ein Bergbauprojekt aufgewachsen. Wir wollen den Wald und die Wasserläufe vor der Zerstörung durch die Maschinen eines multinationalen Minenkonzerns schützen. Doch die Regierung hat unseren legitimen Protest kriminalisiert.

Ubaldino García, Aktivist aus Olopa im Osten Guatemalas

Die freie Reporterin hat viele Aktionen der Menschen in Olopa begleitet, anfangs aus journalistischer Neugier. Mit der Zeit begann sie, die Bevölkerung in ihrem Widerstand zu unterstützen.
"Ich habe dokumentiert, wie sich alle administrativen Instanzen des guatemaltekischen Staats auf die Seite der ausländischen Firma gestellt haben. Die berechtigten Sorgen der lokalen Bevölkerung werden nicht ernst genommen. Sie bitten um Termine mit dem Bürgermeister, im Bergbauministerium, bei Kongressabgeordneten. Doch nirgends wird ihnen wirklich zugehört. Sie bekommen keine Hilfe."

Loyalität gegenüber Armen und Unterdrückten

Norma Sancir weiß, dass in westeuropäischen Redaktionsstuben großer Wert auf eine objektive und neutrale Berichterstattung gelegt wird. Diesen Ansatz kann sie respektieren, fühlt sich ihm aber nicht verpflichtet. Ihre Loyalität gilt vor allem den Menschen, die unter Armut und Repression leiden. Ihnen will sie ein Forum geben, weil ihre Stimmen sonst nahezu nie gehört werden.
Ubaldino García ist froh, dass die junge Frau nach Olopa gekommen ist: "Sie hat unseren Widerstand bekannt gemacht, nicht nur hier vor Ort, sondern auch auf der nationalen Ebene und sogar international. Sie war Tag und Nacht dabei, wenn wir Protestaktionen durchgeführt haben oder angegriffen wurden."
Straßenszene: Menschen mit Plakaten versammeln sich um eine kreisförmige Fläche, die mit Blütenblättern und Kerzen geschmückt ist.
Bei den Protesten werden oft religiöse Riten der Maya-Kultur gefeiert.© Andreas Boueke
Doch unabhängige Recherchearbeit in ländlichen Gegenden kann sehr gefährlich werden. In Guatemala provoziert kritische Berichterstattung nicht selten gewaltsame Reaktionen einflussreicher Konzerne, repressive Antworten staatlicher Behörden oder gar brutale Schläge skrupelloser Drogenkartelle.

Mut für gefährliche Recherchen

Auch Norma Sancir fällt es manchmal schwer, den nötigen Mut für gefährliche Recherchen aufzubringen. In Momenten der Verzweiflung sucht sie Trost in den religiösen Traditionen ihres Volkes.
"Die Spiritualität der Mayas ist seit Generationen Teil meiner Familie", sagt Sancir. "Meine Vorfahren waren spirituelle Führer. Meine Großmutter und Urgroßmutter haben den Frauen in ihrem Dorf bei den Geburten geholfen und in Zeremonien das Leben der Neugeborenen gefeiert. Ihr Erbe hat mir geholfen, trotz der Angst und der Bedrohung ein ausgewogenes Leben zu führen."
Sie habe gelernt, welche Risiken sie eingehen kann und wo ihre Grenzen liegen, sagt Sancir. "Es empört mich, wenn ich die Verschmutzung der Flüsse sehe, wenn ich sehe, wie die Bergbauindustrie ganze Berge zerstört, wenn Wasserquellen verschwinden, wenn Bäume gefällt werden, wenn die Tiere ihren Lebensraum verlieren. Wir Mayas spüren all das in unserer Seele. Die enge Beziehung zur Mutter Erde ist ein wichtiger Teil unseres Lebens."

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