Lobreden und Beschimpfungen

Der Autor und Übersetzer Harry Rowohlt gibt noch einmal seine Korrespondenzen der letzten Jahrzehnte preis. Auch der zweite Band seiner "Nicht weggeschmissenen Briefe" demonstriert, was diese alte Kommunikationsform SMS, E-Mail oder Twittern voraushat.
Wie gut, dass manche Menschen an ihren Gewohnheiten festhalten, und wie gut, dass Harry Rowohlt zu dieser im Grunde wertkonservativen Spezies zählt. Denn kaum auszuhalten wäre es, wenn sich der Übersetzer, Kolumnist, "Lindenstraßen"-Nebendarsteller und Autor Rowohlt plötzlich entschlösse, die Briefe, mit denen er seit mehr als 40 Jahren Zeitgenossen, gefragt und ungefragt, über seinen Seelenzustand auf dem Laufenden hält, ins Altpapier zu geben.

2005 erschien unter dem Titel "Der Kampf geht weiter!" seine erste Sammlung nicht weggeschmissener Briefe, die einen nachhaltigen Eindruck auf die Leserschaft machte und die oft zu Recht belächelte Gattung "Brief" aufs Schönste reanimierte. "Gottes Segen und Rot Front" heißt nun der die vergangenen vier Jahre umfassende Folgeband – erneut von der nimmermüden Anna Mikula zusammengestellt, die diesmal die vergleichsweise harmlose Aufgabe zu bewältigen hatte, sich nur durch 20 Ordner angehäuften Rowohlt'schen Schrifttums durchzukämpfen und dies und jenes zu entziffern. Herausgekommen ist eine Best-of-Kompilation, die alle Register der brieflichen Kontaktaufnahme zieht und zeigt, dass es eine Kultur jenseits von SMS, E-Mail und Twitterei gibt.

Adressaten der Episteln sind wieder einmal Gott und die Welt. Ausgehend von der selbstkritischen Feststellung "Richtig überzeugend gelingt mir nur Eigenlob", erfreut Rowohlt seine Briefpartner mit Nachrichten, die vom Hölzchen aufs Stöckchen kommen, von einer diabolischen Lust zeugen, es ja nicht allen Menschen recht zu machen, und mitunter nicht davor zurückschrecken, das Briefpapier des Absenders zu schmähen:

"Das sieht aus, als hätte es untenrum längere Zeit in was gelegen. Oder mariniert, um es mal neutral auszudrücken."

Mal weist er eine Anfrage der Grünen schroff zurück ("Lieber hänge ich tot über einen Zaun im Kosovo, als dass ich auch nur eine Sekunde lang die Grünen unterstütze"); mal schmettert er eine Anbiederung des Regierenden Bürgermeisters Wowereit kühl ab; mal mokiert er sich über Buchtitel, die mit "Wenn ..." beginnen, oder über sinnfreie Aktionen wie "Prominente kochen für Wohnungslose", und mal bittet er Regisseur Geißendörfer darum, seine an Gottfried Keller erinnernde Kurzhaarfrisur aufgeben zu dürfen, um glaubhaft als Karl Marx zusammen mit Gregor Gysi den Marx-Engels-Briefwechsel als Hörbuch einzulesen.

Harry Rowohlts Briefe sind Wehklagen, Beschimpfungen, Lobreden oder Säuseleien, die sogar die Journalistin Franziska Augstein in Versuchung führen, den Schreiber "Schnucki" zu nennen. Sie lassen sich als Lehrbeispiele für die Unterrichtseinheit "Wie lehne ich unliebsame Ansinnen ab?" hernehmen, und sie variieren ihre Stilmittel in kunstvoller Weise. Klammereinschübe, Frage- und Ausrufezeichen zuhauf, Versalien, obligatorische Postscripta und typografische Spielereien machen aus diesen Briefen ein literarisches Gesamtkunstwerk. Und wer sie liest, wird versucht sein, Harry Rowohlt umgehend eine Nachricht zukommen zu lassen – in der Hoffnung, eines dieser unverwechselbaren Schriftstücke als Antwort zu erhalten.

Besprochen von Rainer Moritz

Harry Rowohlt: Gottes Segen und Rot Front. Nicht weggeschmissene Briefe II.
Herausgegeben von Anna Mikula
Kein & Aber Verlag, 2009. 272 Seiten, 19,90 Euro
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