Mit Lust am musikalischen Experiment
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Was der Tonfilm spätestens ab den 1930er-Jahren verdrängte, lebt heute in manchen Lichtspielhäusern wieder auf. Zum Beispiel im Berliner Kino "Babylon": Dort werden Stummfilme live von einem Orchester begleitet.
Das Kino "Babylon" am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin wurde 1929 als Stummfilmkino gegründet. Auch 90 Jahre später haben Stummfilme samt Begleitung dort einen festen Platz im Programm. Sie erfreuen Generationen von Filmfans – vor allem aufgrund der Live-Soundtracks.
In den 1920er- und 1930er-Jahren hatten viele größere Kinos ein eigenes Orchester. Heute gibt es solch ein Ensemble in Deutschland nur im Berliner Kino "Babylon". Bis zu seinem Tod war Willy Sommerfeld an diesem Haus als Kino-Pianist aktiv und bot dem Publikum damit die älteste Form der Filmbegleitung. 2007 starb er im Alter von 103 Jahren.
Das jetzige "Babylon"-Orchester existiert seit Anfang 2019. Das Lichtspielhaus schenkte es sich selbst zum 90-jährigen Jubiläum. 14 bis 20 Musikerinnen und Musiker begleiten hier regelmäßig Stummfilm-Vorführungen. Marcelo Falcao ist ihr Dirigent. Die Musiker lassen die gezeigten Geschichten auf unterschiedlichen Wegen lebendig werden. Obwohl im "Babylon"-Kino ein Orchestergraben vorhanden ist, nutzt ihn das Hausorchester nicht. Die Musikerinnen und Musiker möchten für das Publikum sichtbar sein – und ihre pausenlose Schwerstarbeit demonstrieren.
Die Kino-Orgel wurde von der Dresdner Orgelbaufirma Jehmlich umfassend saniert. Sie ist als einziges deutsches Instrument seiner Art am Originalstandort geblieben. Schließlich wurde das "Babylon"-Kino im Zweiten Weltkrieg kaum beschädigt und sämtliches Inventar blieb erhalten. Viele Organistinnen und Organisten haben in all den Jahren die alte Dame zum Leben erweckt. Kontinuierlich gespielt wird sie allerdings erst wieder seit 2014, von der aus Moskau stammenden Kirchenmusikerin Anna Vavilkina.
Musikalische Experimente
Das "Babylon" ist nicht an die großen Filmverleiher gebunden. Dadurch kann das Haus sein Programm frei gestalten und viele Experimente wagen. Multiplex-Kinos stellen somit keine Konkurrenz dar. Im Berliner "Babylon"-Kino leben deshalb nicht nur die alten Vertonungsmethoden weiter, sondern das Haus zeigt sich auch offen für musikalische Experimente – und lädt ab und zu DJs ein, wie etwa den in Hamburg lebenden Raphael Marionneau, nicht zuletzt aufgrund seiner Erfahrung mit klassischer Musik.
Immer wieder baut Marionneau Werke von Bach, Mozart oder anderen Komponisten in seine Sets ein. Darin kommen auch elektronische Elemente vor. Mit dieser Mischung hat es der DJ schon in Konzerthäuser und zu Klassik-Festivals auf der ganzen Welt geschafft. Seit einer Einladung auf das Hamburger Filmfest im Jahr 2005 vertont Raphael Marionneau auch regelmäßig Stummfilme. Auch viele Filmstudenten den Stummfilm als Kunstform entdeckt. Im Berliner Babylon-Kino finden zweimal jährlich Kurzfilmfestivals statt, bei denen solche modernen Stummfilm-Streifen laufen.